Smetana, B. (Luks)

Má vlast (Mein Vaterland)


Info
Musikrichtung: Romantik

VÖ: 04.11.2022

(Accent / Note 1 / CD / 2021, live / Artikelnr. ACC 24378)

Gesamtspielzeit: 78:56

Internet:

Collegium 1704



AD FONTES

Ach, was hat man sich satt und übergehört an ihr - jener "Moldau", die das berühmteste Stück aus dem symphonischen Tondichtungszyklus "Má vlast" von Bedrich Smetana (1824-1884) ist. Wohl kaum eine/r ist im Musikunterricht an ihr als Paradebeispiel romantischer Programm-Musik vorbeigekommen. Und in wievielen Sonntagskonzerten ist sie zu Tode gespielt worden.
Aber was für eine Auferstehung feiert der unverwüstliche Klassiker in dieser Live-Aufnahme mit Václav Luks und seinem Collegium 1704 - eigentlich Spezialisten eher für das 17. und 18. Jahrhundert! Da ist die Moldau kein gemütliches Flüsschen, das am Ende in dickem Streicherbombast aufgeht. Nein, hier wird am Flussufer getanzt, gejagt, gelebt, hier verströmt sich naturverliebte Vitalität, was zum einen daran liegt, dass Luks akribisch nach den historisch korrekten Instrumenten um 1882 Ausschau gehalten hat - ein Riesenunterschied gerade beim Bläserapparat, der damit viel wärmer, runder und organisch eingebetteter tönt.

Zum anderen wurde mit philologischer Genauigkeit nach dem Verständnis des Orchesterspiels im ausgehenden 19. Jahrhundert recheriert. Das Ergebnis - ein extrem zurückhaltender Einsatz des Vibrato, dafür ein großzügiger Gebrauch des Portamentos und von Rubati - überzeugt aus sich heraus. Der Orchestersatz bekommt dadurch einen energischeren Zug und dramatische Power. Genau das braucht es auch bei den anderen, nicht weniger farbstarken Teilen des Zyklus, zumal den letzten beiden, von den Hussitenkriegen inspirierten. In diesen lässt Luks es hemmungslos krachen - Smetana meets Rammstein, könnte man sagen.
Doch auch die eher naturmalerischen Gegenpole (Aus Böhmens Hain und Flur, Vysehrad) nehmen in ihrem Flüstern und Schwärmen, ihrem volkstümlichen Kolorit für sich ein. Smetana rückt damit weit ab von romantischer Gemütlichkeit und zeigt sich als musikalischer Verwandter der Tonsprache von Liszt und Wagner, bereinigt jedoch um deren Neigung zum Pathos.

Vielleicht hat die energetisierende Wirkung des ersten Live-Auftritts nach der Corona-Zwangspause noch das ihre dazu getan. In jedem Fall ist dies die inspirierteste, glühendste und durchdachteste Einspielung des Zyklus seit Langem. So widerfährt dem Meisterwerk, das der ertaubte Smetana zugleich als Quintessenz seines Schaffens vorlegte, am Ort seiner Uraufführung - nämlich in Prag - interpretatorische Gerechtigkeit.



Sven Kerkhoff



Trackliste
Bedrich Smetana: Má Vlast
1 Vysehrad 15:39
2 Vltava 12:43
3 Sárka 10:20
4 Z ceskych luhu a háju 13:00
5 Tábor 12:04
6 Blaník 15:07


Besetzung

Collegium 1704

Václav Luks: Ltg



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>