Musik an sich


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Michy Reincke

Sie haben den Falschen


Info
Musikrichtung: Deutsch Pop/Songwriter

VÖ: 03.06.2016

(Rintintin)

Gesamtspielzeit: 48:19

Internet:

http://www.michyreincke.de/
http://www.presse-peter.de/
http://www.rintintinmusik.de/


„Der Name kommt mir nicht bekannt vor“ (2012), „Hatte ich dich nicht gebeten im Auto zu warten“ (2014), das waren die Titel der letzten beiden Platten des Musikers aus Hamburg. Und in dieser Trilogie nun Sie haben den Falschen. Was will uns Michy Reincke damit sagen?
Im Pressetext wird hinsichtlich des Albumtitels ausgeführt, dass ein nicht unwesentlicher Tenor auf diesem Werk die Kulturkritik sei, also das sich „fremd und falsch fühlen“ in der eigenen Existenz und der Mangel an Spiritualität.
Selbst äußert sich der Künstler wie folgt:
Ich bin bestimmt kein Schwarzseher, aber ich lasse gern – auch in meiner eigenen Kontroverse – offen, was lustiger und was tragischer ist: Mein Pessimismus oder mein Optimismus. Ich bin mit meinen Worten eigentlich nur auf der Suche nach Wahrheit und Schönheit..

Nun, bereits zu den beiden Vorgängern war mir aufgefallen, dass die Texte des Künstlers aus feinfühligen und präzisen Beobachtungen, die sich auf Beziehungen zwischen Menschen beziehen, resultieren. So gaben diese dem Hörer Raum zum Nachdenken oder ganz einfach zum Schmunzeln über eigene Erfahrungen. Auffällig war und ist stets, wie stark Reincke seine Philosophie durch seine Texte in klarer Sprache pointiert zur Sprache bringt.

All‘ dieses trifft uneingeschränkt auch wieder auf die neue Platte zu. Charaktervolle Songs, entstanden in Andalusien, mit einer Palette verschiedener musikalischer Ausprägungen.
Ungeachtet dessen, dass sich einige Texte auch mit den nicht so schönen Seiten des Lebens befassen, zum Beispiel wenn es um Alkoholsucht geht(„Noah“), bestimmen überwiegend solche mit lebensbejahenden und positiven Aussagen ausgestattete Songs das Gesamtbild. („Glücklich glücklich“, „Sie ist ganz genau mein Typ“)

Weiterhin war mir bisher sehr positiv aufgefallen, dass Reincke Popmusik der ganz besonderen Art bietet. Dabei ist die von mir schon früher bereits erwähnte Spitzenposition unter den deutschsprachigen Künstlern absolut verteidigt worden mit der neuen Platte. Weiterhin halte ich auch die neuen Songs für einzigartig im Meer deutschsprachiger Musik. Hier wird nicht nur einfach dumpf gereimt, hier werden Sätze in den Raum geworfen, die zu denken geben, über die man erst einmal nachdenken muss, bis man begreift, dass Tiefe existiert, aber nicht konstruiert, sondern aus offensichtlich echter Erfahrung heraus und mit Charisma und Charakter vorgetragen, manchmal auch augenzwinkernd.

Nun klingt es allerdings etwas anders, der Sound steuert in eine andere Richtung, die Stimmung ist relativ gleich geblieben. Beherrschten auf den Vorgängern mehr die Gitarrenarrangements das Geschehen, so vernehme ich nun verstärkt programmierte Effekte, mehr keyboardorientierte Dichte, mehr soulige Elemente, mehr Popmusik. Neben der eigentlichen Band als Fundament wurde bei dieser Platte noch ausgeschmückt, mit einem Bläserensemble und Streichern. Dabei ist auch jener Fagottspieler, den man aus dem Film über Udo Jürgens, „Der Mann am Fagott“, kennenlernte, Henning Stoll.

Der „Ozean“ spült uns den ersten Song an Land, einen Song, der bereits Anlass zum Nachdenken gibt, darüber, wo man das Wesentliche suchen sollte, und entsprechend wird wie folgt erklärt:
Wie das Meer der vergangenen Tage, der Erinnerungen ansteigt und zwischen Alltagstrümmern die Lebendigkeit, die Schönheit, die Unwiederholbarkeit und die Größe verlorenzugehen drohen, wenn die Fähigkeit sich selbst zu überraschen und eigenständig zu denken und handeln schwindet..
Track Nummer Vier - französisches Flair, durch das Akkordeon, die Posaune setzt dagegen und der Song schunkelt ungewöhnlich, und sehr eindringlich. Eine gewisse Melancholie und große Dramatik stecken hier darin, ohne dass man schon weiß, worum es hier geht, die Synthese von Musik und Text ist perfekt. Ja, das ist die traurige Geschichte des alkoholkranken „“Noah“ und seines unausweichlichen Schicksals.
Dabei erinnert mich der Song an einen alten, „Lass mich traurig sein“, es erscheint nun wie eine Fortsetzung.

„Wir zertanzen die Fundamente“ ist eine der antreibenden Tanznummern und „Die Frau, in der die Welt verschwand“ ist eine vorzügliche Ballade mit Klavier- und Streicherbegleitung, eine dramatische Stimmung, die auf dem ganz tief aus dem Herzen kommenden Text basiert, eine hervorragende Beobachtung einer Beziehung und ihrer Probleme.
Ganz ungewöhnlich und in ganz neuem Gewand kommt das stark groovende und funkende „Hinter meinen Augen scheint die Sonne“, und mit „Gestrandet“ hören wir den letzten Titel des Albums.
Wiederum geht es um das Thema Beziehung, eine Partnerin ist gegangen, und doch wirkt der Song sommerlich leicht, so gar nicht melancholisch und nach Trauer, sehr humorvoll sind solche Aussagen wie Dass unsere Trennungen bisher jedes Mal gescheitert sind, da kann schlechtes Wetter wahrscheinlich mehr dafür…, ein Monolog, offensichtlich vor einer Foto-Strand-Tapete gehalten, die zum Schluss mit richtiger Wut im Bauch von der Wand gerissen wird…

Eingängige Melodien und ein bunter stilistischer Mix bestimmen also wieder die Musik,
und ich greife noch einmal ein Zitat des Musikers auf, mit einer Aussage, die auf ihn mit Sicherheit nicht zutrifft: »Ich bedaure den Mangel an Erlebnistiefe in einem Großteil der abgebildeten deutschen Popmusik.« Diesem Mangel hat er mit seiner neuen Platte erneut ein Stückchen abgeholfen.



Wolfgang Giese



Trackliste
1 Ozean
2 Glücklich glücklich
3 Wenn Du gehst, komm ich mit
4 Noah
5 Schöne Seele
6 Sie ist ganz genau mein Typ
7 Du hier so
8 Wir zertanzen die Fundamente
9 Die Frau, in der die Welt verschwand
10 Hinter meinen Augen scheint die Sonne
11 Kein Grund nervös zu werden
12 Gestrandet
Besetzung

Michy Reincke (Klangmaschinen, Programmierungen, Gitarre)
Stephan Gade (Bass)
Jörn Heilbut (Gitarre, Saiteninstrumente)
Martin Meyer (Piano, Orgel, Clavinet, Akkordeon)
Jens Carstens (Schlagzeug)
Mat Clasen (Saxofon)
Johnny Johnson (Posaune)
Philipp Kacza (Trompete)
Sarajane McMinn (Chor)
Joscheba Schnetter (Chor)
Stefan Pintev (Violine, Viola)
Dana Anke Matchin (Violine, Viola)
Boris Matchin (Cello)
Henning Stoll (Fagott)



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