Michael Schenker

Rock Shock


Info
Musikrichtung: Hard Rock

VÖ: 2022

(Metal Bastard Enterprises)

Gesamtspielzeit: 56:58

Internet:

http://www.metal-bastard.com


Ob man eine offenbar für den spanischen Markt gedachte Best Of von Michael Schenker überhaupt in einem deutschen Elektromarkt finden dürfte, wie es dem Rezensenten unlängst widerfuhr, soll an dieser Stelle ebensowenig diskutiert werden wie der Exotenstatus, den der klassische Hardrock Schenkers im sonst überwiegend deutlich härteren Roster von Metal Bastard Enterprises einnimmt. Immerhin vermerkt die Rückseite des Digipacks, dass es sich um von In-Akustik lizensiertes Material handelt, und das ist tatsächlich das Label, auf dem viel vom jüngeren Stoff Schenkers veröffentlicht wurde, so dass es sich also tatsächlich um einen offiziellen Release handeln könnte.

Das erste Grundproblem besteht freilich darin, dass der erwähnte Vermerk neben der Tracklist die so ziemlich einzige Information darstellt, die man dem bedruckten Teil dieses Releases entnehmen kann, der nur aus einem Digipack ohne Booklet besteht, und auf der Innenseite des Digipacks prangt auch lediglich ein etwas verfremdetes Schenker-Bild in ähnlichem Stil wie das auf dem Cover befindliche. Beim Ergründen, wo das hier zu hörende Material herkommt, bleibt der Interessent also auf Eigeninitiative angewiesen. Unter den zwölf Songs befinden sich fünf alte Schenker-Klassiker aus den Frühachtzigern, der von ihm live gleichfalls oft dargebotene UFO-Song „Doctor Doctor“ sowie sechs Nummern vom anno 2008 erschienenen In The Midst Of Beauty-Studioalbum, das weiland tatsächlich bei In-Akustik herausgekommen war. Von den letztgenannten stehen vier en bloc in der zweiten CD-Hälfte, und bei ihnen handelt es sich offensichtlich um die originalen Studiofassungen. Die anderen acht Songs sind hingegen in Livefassungen vertreten, allerdings jeweils mit Ausblendungen dazwischen, so dass nicht davon auszugehen ist, dass hier ein einziges Konzert abgebildet ist. Wenn doch, muß es eins in Tokio gewesen sein – zwar sind fast alle Ansagen herausgeschnitten worden, aber innerhalb des Songtextes gibt es gleich im Opener „Feels Like A Good Thing“ einen entsprechenden Hinweis und dann in der einzigen dringebliebenen Ansage bei „Into The Arena“ einen weiteren. Die Frage ist zudem, wer hier singt – Gary Barden ist zumindest in einigen Aufnahmen dabei, aber der Gesang in „Rock My Nights Away“ und „Attack Of The Mad Axeman“ unterscheidet sich im Tonfall so deutlich von den anderen Songs und auch untereinander, dass davon auszugehen ist, dass wir hier noch mindestens eine weitere Person hören oder gar zwei.
Die Spurensuche, wo das Material herstammen könnte, führt zunächst zum 2010 erschienenen Album The 30th Anniversary Concert – Live In Tokyo. Alle acht Livesongs von Rock Shock tauchen dort tatsächlich in der Setlist auf, die vorderen sechs sogar in der Reihenfolge wie auf Rock Shock, allerdings mit etlichen dazwischen herausgeschnittenen Songs. In „Into The Arena“ hört man freilich zu Beginn noch das Ende des Wagnerschen Walkürenritts, der auf dem 1981er Klassiker One Night At Budokan als Showintro diente und diese Funktion offenbar auch hier erfüllte, denn danach wird durch wen auch immer zunächst die Michael Schenker Group angesagt, und nach Ende des Songs scheint gemäß Ansage von scheinbar der gleichen Stimme dann auch ein Vokalist dazuzustoßen, nämlich Gary Barden – da „Into The Arena“ ans Ende von Rock Shock geschoben wurde, geht die damit intendierte Dynamik allerdings völlig verloren. Auf dem 2017er Livealbum Tokyo International Forum Hall A dient „Into The Arena“ tatsächlich als Opener, wird dort allerdings von einem Intro namens „Searching For Freedom“ eingeleitet. Wer im Gegensatz zum Rezensenten diese beiden Livescheiben besitzt und masochistisch genug ist, auch noch Rock Shock zu kaufen, kann also nachhören, ob sie tatsächlich als Quelle gedient haben.
Der Terminus „masochistisch“ bezog sich freilich nur auf den Umstand, dass man für vielleicht bereits in der Sammlung befindliches Material noch ein weiteres Mal Geld ausgeben müßte. Musikalisch hingegen gibt es wenig auszusetzen. Dass die sechs Oldies zum Besten gehören, was im Bereich des traditionellen Hardrocks je erschienen ist, dürfte kein qualitätsbewußter Genrefreund ernsthaft in Zweifel ziehen wollen, und auch die Livefassungen machen durchaus Hörspaß, wenngleich wiederum niemand ernsthaft erwartet haben wird, die vier auch schon auf One Night At Budokan vertretenen Songs könnten vielleicht noch übertroffen werden. Und doch gibt es in „Attack Of The Mad Axeman“ zwei interessante Momente zu vermelden: Der Vokalist fügt an einer Stelle ein psychotisches Lachen ein, und außerdem singt er die große Melodie im Schlußteil des Solos parallel mit. An Bardens etwas tiefergelegte Linien kann man sich ebenfalls gewöhnen, und auch in den Studionummern (die er alle vier übernommen haben dürfte) macht er für sein fortgeschrittenes Alter keine schlechte Figur, wobei „City Lights“ vielleicht die längste Anlaufzeit braucht, kurioserweise allerdings gleich als Opener von In The Midst Of Beauty diente. Stilistisch weichen die neuen Songs nicht von den Tugenden des gepflegten melodischen Hardrocks mit Fokus auf starken Gitarrenleistungen ab, wobei „City Lights“ und „End Of The Line“ das Tempo recht hoch halten, „Come Closer“ selbiges mehr variiert und „Wings Of Emotion“ eine groß gedachte Midtempohymne darstellt. „End Of The Line“ fällt darüber hinaus durch das im Hintergrund hämmernde Boogie-Piano und einen Gitarrensound auf, der am ehesten dem auf Assault Attack entspricht. „A Night To Remember“ und „Ride On My Way“ zeigen zudem, dass die 2008er Songs auch live funktionieren, wobei letzterer mit seiner großangelegten Instrumentaleinleitung ein ebensolches antäuscht, aber letztlich doch regulär mit Gesang versehen wird.
Mit der musikalischen Qualität kann die aufarbeitungstechnische bei weitem nicht mithalten. Die praktisch informationslose, an einen Bootleg erinnernde Aufmachung wurde bereits erwähnt, aber auch die Livesongs wurden fast ausnahmslos einfach mit zwei, drei Sekunden Pause und ohne jegliche Ein- oder Ausblendung hintereinandergeklatscht, was einen total lieblosen Eindruck hinterläßt. Atmosphäre kommt auf diese Weise natürlich nicht auf. Solche Unterbrechungen ist der YouTube-Hörer von heute zwar gewöhnt, aber der kauft keine CDs, schon gar keine obskuren spanischen Best Ofs. So bleibt praktisch nur ein Urteil: Falls sich bewahrheitet, dass die Livenummern einer der genannten Scheiben entnommen worden sind, lege man sich bei Interesse die und dazu noch das Studioalbum In The Midst Of Beauty zu (und am besten auch noch gleich das gesamte Frühwerk bis einschließlich der drei Scheiben als McAuley Schenker Group) und lasse dieses mit gerade mal 57 Minuten für eine Best Of auch nicht gerade reichhaltig gefüllte Billigteil hier links liegen. Und für den Einsteiger, der Schenkers exorbitante Klasse kennenlernen möchte, ist One Night At Budokan definitiv die deutlich bessere Wahl.

Roland Ludwig



Trackliste
1Feels Like A Good Thing3:45
2A Night To Remember4:13
3Rock My Nights Away4:30
4Attack Of The Mad Axeman4:55
5Ride On My Way4:27
6Doctor Doctor5:17
7City Lights3:44
8Wings Of Emotion4:04
9Come Closer2:57
10End Of The Line4:01
11Lost Horizons9:52
12Into The Arena4:46
Besetzung

Gary Barden (Voc, 1, 2, 7-11)
Michael Schenker (Git)
Rest apocryph



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