Pressefreiheit! Schutz der Persönlichkeit! Transparente Arbeit der Behörden! Konsequente Strafverfolgung! Wichtige Werte in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Und manchmal rammeln sie kräftig aufeinander. So zurzeit in Berlin. Da wird in Neukölln ein Mädchen vermisst. Es ist keine Spur von ihm zu finden. Die Suche läuft auf Hochtouren. Die Ermittlungen werden in solchen Fällen routinemäßig einer Mordkommission übertragen. Die Öffentlichkeit ist überaus interessiert, (um es mal positiv zu formulieren).

Und natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Informationen. So wird irgendwann als Ermittlungsstand mitgeteilt, dass ein Verdächtiger in Untersuchungshaft genommen wurde. Und es sickert durch, dass es der Schwager der Vermissten ist. (Für viele ist er nun schon ein Mörder, obwohl man nicht einmal weiß, was passiert sein soll und wessen er überhaupt verdächtig ist.) Einen Tag später wird er wieder entlassen. Die Indizien reichen der Staatsanwaltschaft nicht für die Anordnung der Untersuchungshaft.

Rein juristisch ist damit alles sauber gelaufen. Die Polizei kann sich nicht vorwerfen, einem begründeten Verdacht nicht nachgegangen zu sein. Die Staatsanwaltschaft hat das in dubio pro reo souverän angewandt. Die Presse hat ihre Arbeit gemacht und die Polizei ist ihrer Informationspflicht nachgekommen.

Der Schwager gilt jetzt wieder als unschuldig (bis ihm das Gegenteil nachgewiesen werden kann). Wirklich? In den Gerichtsakten sicherlich! Aber was ist im Hausflur? In der Nachbarschaft? In der Familie? In der Firma? Alle wissen: Auf dem lastet ein Verdacht. Keiner weiß, was davon berechtigt ist. Ja, man weiß nicht einmal, was überhaupt passiert ist. Die Polizei, so heißt es, geht mittlerweile von einem Tötungsdelikt aus. Warum, sagt sie nicht, weil sie kein Täterwissen preisgeben will. Verständlich und richtig.

Alle haben richtig gehandelt… - …und der Schwager zahlt die Zeche. Wenn wir in ein paar Wochen erfahren, dass er tatsächlich der Täter war, kann man erleichtert sagen, das ist ihm zu Recht geschehen. Aber wenn wir erfahren, dass es jemand anders war, oder dass die Vermisste gar nicht tot ist, sondern mit einem neuen Freund abgehauen ist, …?

Ich frage mich gelegentlich, ob das Recht der Öffentlichkeit auf Neugier nicht etwas zu weit gefasst ist und man etwas mehr Vertrauen in die Arbeit der Behörden haben sollte. Für die interessiert sich besagte Öffentlichkeit in der Regel auch nur dann, wenn’s mal nicht läuft. Da schlägt dann allerdings tatsächlich der Moment für Transparenz und freie Pressearbeit.

Aber gibt es nicht genug andere Dinge, auf die man neugierig sein kann? Unsere Neugier hat sich in den letzten vier Wochen konsequent auf den Osten der Republik konzentriert. Roland hat sich wie gewohnt in deren südlichen Gefilden zwischen Altenburg, Jena und Leipzig herumgetrieben und dabei wieder einen sympathischen Mix aus klassischer Klassik und derbem Rock beobachtet.

Auch mich hat’s mal räumlich, mal thematisch aus dem alten West-Berlin herausgelockt. Mitch Ryder habe ich in Neuruppin bei der Arbeit beobachtet – gemeinsam mit seinen langjährigen Live-Gefährten, der DDR-Blues-Rock-Formation Engerling. Und in meiner monatlichen Kolumne befasse ich mich mit einer Leipziger Metal-Band, die vor 25 Jahre hoffnungsvoll mit einer Debüt-Single in ungewohnter Form auf sich aufmerksam machte.

Lediglich Mario hat die K.K. Downing-Autobiographie wohl westlich der Elbe gelesen (Und Altenburg, Jena und Leipzig liegen plötzlich östlich der Elbe...???; Red.) – und im Review-Teil wird’s natürlich wieder international.

Viel Spaß mit der Neugier am rechten Ort

Norbert von Fransecky