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Reviews

Solage – De Caserta –Senleches u. a. (Schmelzer)

Cesena. Songs for popes, princes and mercenaries (c. 1400)


Info

Musikrichtung: Mittelalter vokal

VÖ: 01.11.2011

(Glossa / Note 1 / CD / DDD / 2011 / Best. Nr. GCD P32106)

Gesamtspielzeit: 71:48

ÜBERREIFER HAUTGOUT

Wohl in keiner anderen Einspielung entwickelt das berühmte Rondeau Fumeux fume par fumee aus dem Codex Chantilly einen derartigen Hautgout! Björn Schmelzer und Graindelavoix zelebrieren nicht nur die nachgerade psychedelischen harmonischen und metrischen Unschärfen, mit denen Solage dieses enigmatische Stück versehen hat. Durch eine mitunter gewöhnungsbedürftig plärrend-nasale Tongebung erhalten die aromatischen Klang-Düfte und -Wolken, mit denen der spätmittelalterliche Komponist dem „Raucherclub“ um den Dichter Eustache Deschamps ein Denkmal gesetzt hat, überdies eine überreife Note. Was auch immer die Herren da seinerzeit inhaliert haben mögen: Es provozierte offenbar Visionen im Stil von Matthias Grünewald und Hieronymus Bosch!
Bei „Graindelavoix“ war kaum zu erwarten, dass sie es bei einer nüchternen Wiedergabe der sogenannten Ars Subtilior belassen. Schon bei früheren Einspielungen zeigten sich die Künstler fasziniert von außergewöhnlichen Klangfarbentexturen und multisensuellen Wahrnehmungen. Die Klangwelt des Mittelalters ist bei diesen Interpreten nicht einfach 'entrückt' und irgendwie 'mystisch', sondern wirkt sozusagen synästhetisch und bewusstseinserweiternd auf die Zuhörer.

Auf ihrer neuesten Produktion Cesena. Songs for popes, princes and mercenaries (c. 1400), die in Kooperation mit der Tanztheatergruppe Rosa beim Festival in Avignon im Juli 2011 Premiere feierte, kann man angesichts der Ausschöpfung interpretatorischer Freiheiten schon ins Grübeln kommen.
Liegt das Spiel mit reinen und unreinen Timbres sowie empfindlichen Dynamik- oder Tempospreizungen noch im Rahmen eines „historisch informierten Musizierens“ oder ist es schlicht eine moderne Übertreibung? Man ist als Hörer freilich immer wieder frappiert angesichts der avantgardistischen Wirkung, die einige souverän platzierte Verzierungen oder obertönig angeschärfte Vokalisen entfalten können. Oder von der esoterischen Atmosphäre, die diese Musik verbreiten kann. Das Ergebnis ist dann auch durchaus etwas für den erworbenen Geschmack, wobei die exzentrische Darbietung von Fumeux fume par fumee auf dieser Platte sicherlich das extremste Beispiel darstellt.

Björn Schmelzer geht es allerdings nicht um eine Masche, die lediglich neue Interpretations-Klischees produzieren würde. Auf dieser CD ist jedes Stück eine Einzelanfertigung, bei der die rein vokalen Mittel in immer neuer Registrierung zum Einsatz kommen, z. B. um durch Mischungen von solistischen und chorischen Stimmen bei den mehrtextigen polyphonen Stücken illusionäre Räume und Perspektiven zu erzeugen. Entscheidend ist, dass dies „authentisch“ gelingt, d. h. künstlerisch konsequent und überzeugend. Die Wirkung spricht dann für sich selbst. Der spätmittelalterliche Manierismus, der manchmal bis an die Grenzen zum Dekadenten überfeinert erscheint und sich damals wie heute an eine erlesene Kennerschaft richtet, zeitigt in dieser Neueinspielung wieder einmal unerhörte Ergebnisse.



Georg Henkel

Trackliste

1Pictagore per dogmata / O terra sancta / Rosa vernans caritatis (anon.)
2Espoir dont tu m’a fayt partir (Philipoctus de Caserta)
3Corps femenin (Solage)
4Fumeux fume par fumée (Solage)
5Par les bons Gedeon et Sanson (Philipoctus de Caserta)
6Inter densas / Imbribuis irriguis (anon.)
7Science n’a nul annemi (Matheus de Sancto Johanne)
8En attendant d’amer (Johannes Galiot)
9Le ray au soleyl (Johannes Ciconia)
10Fuions de ci (Jacob Senleches)
11Cujes li me Majko (anon., trad.)
12Hodie puer nascitur / Homo mortalis firmiter (Jean Hanelle)
13Adieu vous di (anon.)

Besetzung

Olalla Alemán, Eurudike De Beul: Sopran
Yves Van Handenhove, Albert Riera, Marius Peterson, Lieven Gouwy: Tenor
Tomàs Maxé, Antoni Fajardo, Thomas Vanlede: Bass

mit: Haider Al Timimi, Matej Kejzar, Julien Monty

Björn Schmelzer: Leitung
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