Musik an sich


Reviews
Verschueren, B. (Verschueren)

Catalogue de plantes – Pflanzen-Katalog


Info
Musikrichtung: Konkrete Musik

VÖ: 01.07.2009

(Fuga Libera / Note 1 CD / DDD / 1995-2008 / Best. Nr. FUG705)

Gesamtspielzeit: 65:47



SINGENDES GEMÜSE

Bob Verschuerens „Catalogue de plantes“ ist sicherlich die extremste Platte, die ich in dieser Rubrik seit langem vorstellen darf. Der belgische Künstler, der für seine meist ephemeren Installationen aus Pflanzenmaterialien bekannt ist, hat seit Mitte der 1990er Jahre mit den Klängen experimentiert, die sich mit und aus seinen Rohstoffen erzeugen lassen. Mit speziellen Mikrophonen hat er die Sonoritäten von Bambus, Artischocken, Möhren, Mais, Porree oder Rosen erforscht und daraus Stücke komponiert. Das klingt nicht nur als Idee bizarr, das ist auch als Musik extrem. Vorn Ferne erinnert der Ansatz an Karlheinz Stockhausens Mikrophonie I für Tamtam vom Ende der 1960er Jahre. Aber das Mikrophon spielte bei Stockhausen ein viel aktivere Rolle, und klanglich liegen zwangsläufig Welten zwischen den Werken.

„Konkrete Musik“ passt als Gattungsbezeichnung am ehesten auf Verschuerens vegetarischen Katalog, da es sich im weitesten Sinne um reale Umweltklänge oder -geräusche handelt, die eben entstehen, wenn man Pflanzenteile knickt, reibt, knüllt, rührt, klopft oder anders bearbeitet.
Das ergibt eine überwiegend perkussive Klangwelt, bereichert durch Rauschen, Knistern und Quietschen. Für Verschueren lag die Herausforderung darin, diese doch begrenzte Welt in ihren Möglichkeiten auszureizen. Im Beiheft zur CD sind „Partiturausschnitte“ wiedergeben: Listen mit Symbolen für bestimmte Aktionen, die häufig zu „Ensembles“ oder „Gruppen“ von bestimmten Klängen zusammengefasst oder erweitert werden, so dass sich eher globale Klangeffekte unbestimmter Herkunft ergeben. Mehrkanaliges Sampling sorgt für quasi-orchestrale und stereophone Effekte.

Beim Bambus klingt es, als wenn – unterschiedlich „artikuliert“ - in Gläsern gerührt oder daran geklopft wird, dazu das Rascheln von Blättern. Hm. Viel spannender ist da der getrommelte Pointilismus, den Verschueren aus dem Carex (dt. Seggen) erzeugt. Diese eher zerbrechliche Graspflanze mit unzähligen Unterarten wächst am Wegesrand. Ich hätte gerne gewusst, wie Verschueren diese Sounds erzeugt hat. Das Quietschen und Rauschen kommt wahrscheinlich von geriebenen Gräsern. Musikalische Strukturen entstehen hier und in den anderen Stücken durch die periodische Schichtung solcher Klänge, zu denen andere Effekte Kontrapunkte setzen. Sukzessive werden solche Felder auf- und abgebaut. Beim Sellerie beginnt es mit unbestimmten Rauschen, der mit schlagzeugartigen Klängen zu einer Art „Regenschauer“ wird, bevor er von spröden Knack- und Knister-Rotationen abgelöst wird (manchmal meint man, einfach enorm verstärkte Kaugeräusche zu hören, vielleicht von einer großen Raupe). Daran schließt sich wieder ein Rauschen an, aber anders im Timbre als das anfangs gehörte, ein pulsierend Klang, bevor eine Art quietschig-vergnügtes Wuseln einen neuen Abschnitt einleitet. Und so weiter. Für Assoziationen ist reichlich gesorgt. Die Klänge der Zuckerhutfichte erinnern z. B. an ein ungeöltes Scharnier, vielleicht von einer Tür, die im Wind knarrt. Und die Rose? Sie schabt vor sich hin wie Holz auf Sandpapier.

Also: Das tönt mal mechanisch und abstrakt, dann wieder sehr organisch und seltsam lebendig. Und hat mal mehr oder weniger musikalisches Potential. Einiges wirkt interessant, manches ist gut für einen Gag, vieles bleibt eher im Ungefähren und belanglos. Aber ein originelles Experiment ist Verschueren da schon gelungen.



Georg Henkel



Besetzung

Bob Verschueren: Realisation


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