„Schallplatten sind keine Musik.“ Sagte einst John Cage, der bekanntlich keine Platten besaß, oder wenn, dann nur ein paar geschenkte, aber keinen Plattenspieler, um sie anzuhören. Die ‚Musik der Straßen‘ New Yorks hat ihm gereicht. Einfach dem lauschen, was man gerade jetzt hören kann.

Da schaut man also als Rezensent auf die übervollen Regale im Wohnzimmer und denkt sich: „Alles keine Musik.“ Stimmt, aktuell stehen die CDs ja nur still im Regal! Man könnte also eine einlegen ... wäre für Cage aber immer noch keine Musik. Würde man sie aber alle gleichzeitig abspielen, dann könnte man mit ihm vielleicht darüber reden.

CDs verlieren übrigens pausenlos digitale Informationen. Vinylplatten altern, CDs verstummen. Wenn man sie möglichst lange erhalten will, dann muss man sie konstant bei 18° C in speziellen Räumen lagern. Tja, durch den Hitzesommer dürfte die Datendemenz beschleunigt worden sein … irgendwann, so in 100 Jahren, werden die CDs einfach schweigen, wenn man sie in einen Player legt. Dann sind die Hüllen und Silberscheiben nur noch Epitaphe: „Hier ruht das unhörbar gewordene letzte Streichquartett von Ludwig van Beethoven. Geh mal wieder ins Live-Konzert.“ Sollte ich in 100 Jahren noch Bedarf haben und funktionstüchtige Ohren, werde ich mir das zu Herzen nehmen.

Wobei Claude Debussy, dessen 100. Todestag in diesem Jahr begangen wird, ja empfahl, lieber einen Sonnenuntergang anzuschauen, statt ein Konzert zu besuchen. Schön: Von meinem Wohnzimmerfenster aus schaue ich nach Westen und habe einem weiten Blick in den wolkenverhangenen Himmel. Jeden Abend gibt’s ein Farbkonzert der Extra-Klasse. Da würde Musik wirklich nur stören. Durch das geöffnete Fenster dringt fernes Autobahnrauschen, der Wind steht heute günstig. Kinderstimmen aus dem Garten, Hundegebell, irgendein Hämmern von der Baustelle gegenüber. „Alles ist Musik.“

Gut, dass Cage diese Frage - welche eigentlich? - beantwortet hat. Irgendwie schließt das ja auch die stummen CDs mit ein, das ist tröstlich. Die atomare Struktur der Träger und Plastikhüllen z. B. schwingt selbst ja noch, wenn die Bits und Bytes unleserlich geworden sind, das atomare Summen könnte man mit geeigneten Mitteln hörbar machen. Cage berühmtestes Stück, „4’33‘‘, besteht ja auch nur aus Stille. Jede Aufführung ist wie ein geöffnetes Fenster: Mal sehen, was so reinkommt.

Eine andere Aussage von ihm gefällt mir noch besser: „Das ist eine sehr gute Frage. Ich möchte sie nicht durch eine Antwort verderben.“ Diese Antwort hatte er vorbereitet für die Diskussion nach seinem Vortrag Lecture on Nothing, wo er gegen Ende einen längeren Absatz einfach immer wieder wiederholt. Jeder Abschnitt endet mit: „Wenn jemand schläfrig ist, soll er schlafen.“ Ich schlafe in Konzerten übrigens immer mal wieder ein, aber nie bei der Betrachtung von Sonnenuntergängen. Trotzdem nehme ich erfreut zur Kenntnis, dass die totgesagte Klassik im Augenblick mal wieder boomt und die Konzerte weitgehend ausverkauft sind. Was überdies den Vorteil hat, dass die Menschen, die im Konzert sind, draußen keinen Lärm machen, so dass der Sonnuntergang nicht gestört wird.

Musikansich.de ist ja auch ein stilles Magazin: online, digital, nicht zum Blättern, sondern zum Scrollen. Das ist schön, weil man sich dann umso mehr auf die Musik konzentrieren kann, über die hier geschrieben wird. Geschrieben wurde übrigens wieder einiges, trotz der Sommerpause.

So befragte Mario Karl Colin Hendra von Wytch Hazel zu dem neuen Album II:Sojourn und erkundigte sich, ob die Gruppe auf der weißen oder schwarzen Seite des Metal steht. Norbert macht sich in seiner monatlichen Kolumne Gedanken über das Crossover von Briefmarken- und Platten-Sammeln. Stefan war in Zagreb bei Iron Maiden, Roland unter anderem beim Leipziger Universitätsorchester im Gewandhaus. Und Jürgen hat mal wieder gelesen – ein Buch des viel schreibenden Martin Popoff über die viel beschriebenen Led Zeppelin.

Ich wünsche Euch viel Spaß mit unserer neuesten Ausgabe!

Georg Henkel