Musik an sich


Reviews
Donizetti, G. (Gergiev)

Lucia di Lammermoor


Info
Musikrichtung: Oper

VÖ: 1.8.2011

(Mariinsky Label / Note 1 / 2 SACD hybrid / 2010 / Best. Nr. MAR0512)

Gesamtspielzeit: 131:05



LUCIA IM TOPF

Zuerst denkt man "Hoppla, habe ich beim Staubwischen versehentlich die Einstellung meiner Stereo-Anlage verstellt? Hat auf der letzten Party jemand Bier in die Boxen gekippt?" Doch leider - oder zum Glück - weit gefehlt, es ist tatsächlich der Tonträger. Es tut einem in der Seele weh, wenn man mit anhören muss, was aus den technischen Möglichkeiten unserer Zeit gemacht wird: Da legt das hauseigene Label des Petersburger Mariinsky-Theaters eine Einspielung auf SACD vor, deren Sound an die Zeiten der Mono-Konserve gemahnt. Die Sänger sind zum Teil so sehr im Hintergrund abgebildet als agierten sie hinter der Bühne, der Orchesterklang kommt als Einheitsbrei daher.

Hat man sich akustisch durch den Grauschleier hindurchgekämpft, zeigt sich allerdings, dass der diskographische Verlust sich in Grenzen hält. Zwar hat das Mariinsky sein Hausensemble mit Natalie Dessay und Piotr Beczala um zwei renommierte Stars von Weltgeltung in den Hauptrollen ergänzt, die ihre Sache souverän meistern. Wobei die Dessay im Vergleich zu den großen Rollenvorbildern (Callas, Aliberti, Gruberova) noch immer viel zu stark am Schönklang orientiert bleibt, stimmlich zu leicht, in den Spitzentönen gar etwas instabil wirkt und der Wahnsinn ihrer Lucia daher arg milde daherkommt. Beczala hingegen gibt mit lyrischer Stimme einen angenehm schmalzfreien und dennoch feurigen Edgardo. Die übrigen Sänger reichen an das Niveau der Stars indes nicht heran.
Enttäuschend ist jedoch vor allem das Dirigat von Valery Gergiev. Er hat die Sache offenbar auf die leichte Schulter genommen und angenommen, wer mit Schostakowitsch und Brahms reüssiere, für den sei Donizetti so etwas, wie für den Herzchirurgen eine Blinddarm-OP. Er verschenkt zumal im ersten und zweiten Akt so manchen Effekt und geht in der Differenzierung der Tempi zu unpointiert vor, so das Donizettis ohnehin nicht immer feinsinnige Instrumentalbegleitung plumper als nötig wirkt. Die Verabredung von Edgardo und Enrico zum Duell auf Leben und Tod hat dadurch beispielsweise etwa so viel Dramatik wie die Verabredung zu einer Partie Golf. Erst im letzten Akt stellt sich Besserung ein, Gergiev scheint zu spüren, dass man auch bei einer Blinddarm-OP den Patienten auf dem Tisch verlieren kann. Hier hätte er es fast so weit kommen lassen.

Insgesamt jedoch bleibt es dabei: Die großen Zeiten der Donizetti- und Bellini-Interpretationen scheinen vorerst hinter uns zu liegen. Diese sind zwar nicht auf SACD, dafür aber klanglich keineswegs schlechter überliefert. Wohl denen, die hierauf zurückgreifen können.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Vladislav Sulimsky: Enrico
Natalie Dessay: Lucia
Piotr Beczale: Edgardo
Dmitry Voropaev: Arturo
Ilya Bannik: Raimondo
Zhanna Dombrovskaya: Alisa
Sergei Skorohodov: Normanno

Sascha Reckert: Glasharmonika

Mariinsky Orchester und Chor

Valerie Gergiev: Ltg.


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