Ives, Ch. (Sinclair, J.)

Sets Nr. 1-10 für Kammerorchester. Set for Theatre Orchestra


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne / Kammerorchester

VÖ: 09.06.2023

(Naxos / Naxos / CD / DDD / 2022 / 8:559917)

Gesamtspielzeit: 68:15



TRANSZENDENTALISMUS, ANARCHIE & HUMOR

Der Ives-Experte James Sinclair bringt zusammen mit dem New England Orchestra weiter Licht in das komplexe Schaffen des amerikanischen Musikpioniers Charles Ives. Sie fügen der auch sonst bemerkenswerten NAXOS-Ives-Edition eine weitere lohnende Aufnahme hinzu, die erstmals die zehn Orchestral-Sets für Kammerorchester sowie das Set für Theatre Orchestra in toto präsentiert, darunter einige Ersteinspielungen auf der Grundlage neuer kritischer Editionen. Sie ergänzen damit die früheren ausgewählten Set-Einspielungen von Sinclair selbst wie auch diejenigen von Richard Bernas (Decca) oder Ingo Metzmacher (EMI).

Mit dieser Aufnahme erhält man einen Einblick in Ives kreatives Laboratorium. Er hat die Gattung "Orchestral Set" erfunden. Sie diente ihm dazu, einzelne selbstständige, meist kürzere Stücke zu einer Art "Suite" von drei oder mehr "Sätzen" zusammenzufassen, manchmal unter einem verbindenden Thema. In den zehn "Sets" für Kammerorchester, deren Stücke oft kaum mehr als ein oder zwei Minuten dauern, hat er viele Dinge ausprobiert, die dann in seinen großen Werken zum Tragen kommen: Polyrhythmik und -metrik, Poly- oder Atonalität, Collagetechniken unter der Verwendung von Liedern, Hymnen oder Ragtimes, eine neuartige Harmonik. Es ist diese für ihn typische Mischung aus retrospektiver Romantik und Primitivismus, aus der Spiritualität des Transzendentalismus, avantgardistischer Anarchie und natürlich viel Humor, mit der Ives die Zuhörenden immer wieder für sich einnimmt. Die Sets sind ideal, um seine Musik in konzentrierter Form kennenzulernen.

Ives komponierte viele der Werke angepasst an das Instrumentarium ambitionierter Theaterbands, was die ungewöhnlichen Besetzungen erklärt. Grundlage der Stücke sind oft seine eigenen Songs, die er auch mehrfach bearbeitet und in verschiedene Sets eingefügt hat, wie z. B. "The Indians" oder "The new river". Kleine poetische Skizzen ("The pond (Remembrance)"), Anekdotisches ("Calcium light night", "In the cage") oder auch Porträts von literarischen Zeitgenossen wie Robert Browning, Walt Whitman oder Matthew Arnold finden sich da, letztere wirken trotz der Verknappung mitunter wie Mini-Sinfonien.
Neben der typisch Ives'schen Lust an der Kombination heterogener Materialien wie in der Kneipenszene "In the inn (Potpourri)" oder einem atmosphärischen Notturno wie "In the night" gibt es zahlreiche elegische und melancholische Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint. Ives war eben auch einer der letzten Romantiker. Sehr interessant ist zudem die Urfassung des Ives-Klassikers "The unanswered question" als Abschluss von Set Nr. 9.

Sinclair und sein Ensemble bürgen für authentische Aufführungen und bringen ein tiefes Verständnis der eigenwilligen Klangwelten mit, die Ives geschaffen hat. Sie treffen den spezifischen Ives-Ton, der mal launig, lebendig und lustvoll lärmig, aber eben genauso oft auch verhalten, misterioso und sensibel bis zum Flüstern sein kann.
Auch klanglich ist dies eine sehr einnehmende Produktion: durchhörbar und präsent. Beim Booklettext hätte man sich noch mehr Hintergrundinformation zur Edition und den Quellen gewünscht. Hilfreich sind die dort abgedruckten Songtexte der zugrundeliegenden Lieder. Zum Nachhören empfiehlt sich z. B. die ebenfalls bei Naxos erschienene Gesamteinspielung der 114 Songs.



Georg Henkel



Trackliste
Sets für Kammerorchester Nr. 1-3, Set for Theatre Orchestra, Nr. 4 "Three Poets and human Nature"; Nr. 5 "The other Side of Pioneering, or Side Lights on American Enterprise"; Nr. 6 From the Side Hill"; Nr. 7 "Water Colors"; Nr. 8 "Songs without Voices"; Nr. 9 "Set of three Pieces"; Nr. 10 "Set of three Pieces"
Besetzung

Orchestra New England

James Sinclair, Leitung


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