Necrytis

Dread En Ruin


Info
Musikrichtung: US-Metal

VÖ: 29.06.2018

(Pure Steel / Soulfood)

Gesamtspielzeit: 49:38

Internet:

http://www.facebook.com/Necrytis


Dieses Album dürfte dasjenige sein, mit dem die meisten europäischen Metal-Anhänger Necrytis erstmals kennengelernt haben – tatsächlich aber handelte es sich schon um den Zweitling der Truppe: Das Debüt Countersighns war 2017 nur als Quasi-Eigenproduktion erschienen, und Dread En Ruin kam dann als offizieller Labelrelease bei Pure Steel Records heraus, die ein Jahr danach wiederum den Erstling re-releasten. Im Vergleich zu jener Scheibe (siehe Rezension auf diesen Seiten) fällt auf Dread En Ruin erstmal eine Personalverkleinerung auf: Bassist Mark Sobus ist hier nicht zu hören, so dass Toby Knapp neben den vielen Sechs- auch noch die Viersaitigen übernahm. Verkleinert hat sich auch die Anzahl der Songs, und das trotz um reichlich drei Minuten erhöhter Gesamtspielzeit: Das Debütalbum enthielt zehn Songs, der Zweitling nur sechs. Mit den gegebenen Informationen kann jetzt jeder der Mathematik Kundige errechnen, dass da was mit den Songlängen passiert sein muß. Und richtig: Das Debüt hatte Nummern zwischen knapp drei- und reichlich fünfeinhalb Minuten aufgewiesen, aber mit sowas gibt sich der Zweitling gar nicht erst ab – die Bandhymne „Necrytis“ ist mit 6:21 die kürzeste Komposition, „Heresiarch Profane“ am anderen Ende der Skala bringt es auf reichlich 13 Minuten, und die anderen vier Songs pendeln sich zwischen knapp sieben und reichlich acht Minuten ein.
Nun könnte der Hörer mutmaßen, diese strukturelle Änderung gehe möglicherweise auch mit einer stilistischen einher, und Necrytis seien vielleicht weiter in den Progmetal gerückt. Diese These läßt sich freilich schon beim ersten Hörduchlauf widerlegen – und eher ist das Gegenteil der Fall: Eine hochkomplexe Nummer, wie sie die Band auf dem Debüt mit „Praetorian X“ gleich an den Anfang gestellt hatte, gibt es auf der neuen Scheibe nicht. Klar, die Kompositionen enthalten immer noch mannigfache Tempowechsel, und über das technische Können der nur noch zwei Musiker braucht man natürlich auch nicht zu diskutieren. Trotzdem geben Knapp und Drummer Shane Wacaster den Ideen gefühlt ein wenig mehr Raum zum Atmen und heben sich damit noch wohltuender vom anstrengenden Teil der Mathcore-Fraktion ab, die glaubt, es genüge, im Sekundentakt neue Ideen aneinanderzureihen, um den Terminus „Songwriting“ gebrauchen zu dürfen. Nein, Knapp und Wacaster wissen genau, wie sie die Stärken der einzelnen Elemente richtig zur Geltung bringen können, und da greifen sie oft und gern auf Prinzipien zurück, die man schon im 80er-US-Metal kennenlernen konnte, beschränken sich aber natürlich nicht auf solche. Der angedüsterte Mittelteil von „Necrytis“ wäre in den Achtzigern sicherlich nicht so gestaltet worden, der komplexen Speed vom Feinsten bietende Rahmenteil aber schon. Und wenn im Opener „Starshine“ nach dem eröffnenden Geplänkel kurz vor Minute 1 ein griffiger Melodic-Metal-Part losreitet, denkt man unwillkürlich an Led Zeppelins „Achilles Last Stand“, allerdings in der Fassung von Dream Theater im Bonusteil von A Change Of Seasons, und das soll als klares Kompliment für Necrytis verstanden werden, die natürlich nicht blindlings drauflosklauen, aber ihre Einflüsse auch nicht verleugnen. Am deutlichsten wird das in „Call Us Insanity“: Gute Teile des Neunziger-US-Metals gestalteten ihre Musik ja als speedig-komplexe Weiterentwicklung klassischer Iron-Maiden-Elemente, wenn man beispielsweise an Steel Prophet oder an New Eden denkt, und genau das tun Necrytis mit diesem Wirbelwind von Song auch, in dem sie besonders dann, wenn Drummer Shane Wacaster kurz vorm Blastbeat steht, auch noch ein wenig Dragonforce-Feeling verbreiten. Die Dynamikgrenzen haben sie aber schon zuvor mit „Blood In The Well“ ausgelostet, in dem sie sowohl in leicht angedüsterte Halbakustikparts herunterschalten als auch an der Thrashgrenze losbrettern – und der große schwelgerische Midtempoteil winkt zudem fröhlich hinüber in die Welt des Epic Metals. Was es im Gegensatz zum Debütalbum auf Dread En Ruin hingegen nicht gibt, sind erstens externe Gastmusiker (der einzige, der in „Heresiarch Profane“ gelegentlich Orgel und Klavier einschaltet, ist Arenas Watches, und der fungierte zugleich als Engineer, Produzent und Mixer) und zweitens Balladen: Zwar verarbeiten Necrytis etwa in „Heresiarch Profane“ durchaus auch balladeske Elemente, aber eine komplette Ballade wie „Dawn’s Aurora“ bleibt aus. Natürlich bilden die ruhigen Passagen wichtige Bestandteile des Aufbaus dieser 13 Minuten, aber sie sind nicht losgelöst vom Rest konzipiert, fügen sich allerdings logisch in diesen ein, wenngleich man wie üblich durchaus mehrere Durchläufe braucht, um alle Wechsel verinnerlicht zu haben. Und beispielsweise in „Call Us Insanity“ will die Einbindung des langen verschleppten Breaks vor dem ersten großen Solo auch nach etlichen Durchläufen nicht zünden und wirkt ein wenig erzwungen. Aber das macht der starke Refrain dieser Nummer, wohl der markanteste der ganzen Scheibe, problemlos wieder wett.
Damit ist ein weiteres wichtiges Stichwort gefallen: Auf Countersighns konnte Wacasters Gesang noch nicht durchgehend überzeugen, was die Anbindung der Gesangslinien an den instrumentalen Unterbau betraf. Diesbezüglich hat der Vokalist auf dem neuen Album deutlich an Sicherheit gewonnen. Freilich, es gibt immer noch die eine oder andere Passage, wo sich der Hörer auch nach etlichen Durchläufen noch nicht sicher ist, ob Wacaster hier die Ideallinie fährt, aber die Abweichungen von selbiger, wenn man es so bezeichnen will, sind deutlich geringer geworden. Am grundsätzlichen Gesangsstil des Drummers hat sich selbstredend nichts geändert, und auch der hohe Schrei kurz vor Ende von „Odyssey Divine“ sitzt, nachdem man einen Moment geglaubt hat, er täte das nicht. Nur die seltsame Cleanstimme in den balladesken Outrosekunden dieses Songs macht einen eher unbeholfenen Eindruck. Das macht der Sänger in der ersten balladesken Überleitung in „Heresiarch Profane“ deutlich geschickter, wenn er zum Klang eines sehr alt klingenden Pianos in seinem normalen Stimmgewässer bleibt, und weil er weiß, dass das gut ist, tut er das in der zweiten balladesken Überleitung, wo das Piano abermals alt klingt und diesmal auch noch einen angedüsterten zirkusartigen Effekt erzeugt (ein Stilmittel, das man schon vom Titeltrack des Vorgängeralbums kennt), gleich nochmal. Daß er im Refrain von „Heresiarch Prophecy“ oftmals nur zwei Tonschritte nach oben geht und dann auf dem mit dem zweiten Schritt erreichten Ton bleibt, obwohl Knapp, der mit einer Gitarrenlinie die Melodie parallelisiert, zum Schluß noch einen dritten Tonschritt nach oben macht, geht als kleines Kuriosum durch, über das man bei jedem Hördurchlauf erneut stolpert, wenn man die erste so gestaltete Stelle vernimmt, bevor jedes Mal aufs Neue ein Gewöhnungseffekt einsetzt. So steckt auch Dread En Ruin voller liebevoll arrangierter Details, ersetzt den futuristischen Anstrich des Debüts, was Lyrics und Optik angeht, diesmal aber durch einen mythologischen, was freilich ähnlich gut paßt. So liegen trotz aller Unterschiede in der Struktur die beiden Alben generell doch auf Augenhöhe, und wer das eine mag, kann sich bedenkenlos auch das andere zulegen.



Roland Ludwig



Trackliste
1Starshine6:58
2Necrytis6:21
3Blood In The Well8:00
4Call Us Insanity8:06
5Odyssey Divine6:56
6Heresiarch Profane13:13
Besetzung

Toby Knapp (Git, B)
Shane Wacaster (Dr, Voc)



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