Mahler, G. (Roth, F.-X)

Sinfonie Nr. 3


Info
Musikrichtung: Romantik Orchester

VÖ: 22.02.2019

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2018 / HMM 905314.15)

Gesamtspielzeit: 93:00



DIE STIMME DER NATUR

"Meine Symphonie wird etwas sein, was die Welt noch nicht gehört hat! Die ganze Natur bekommt darin eine Stimme und erzählt so tief Geheimes, das man vielleicht im Traume ahnt! Ich sage Dir, mir ist manchmal selbst unheimlich zumute bei manchen Stellen, und es kommt mir vor, als ob ich das gar nicht gemacht hätte." - So äußerte sich der Komponist Gustav Mahlers 1896 gegenüber seiner Freundin Anna Bahr-Mildenburg über seine Sinfonie Nr. 3. Das Werk ist eine große Reise durch irdische und überirdische Räume, durch die sichtbare und die unsichtbare Welt. In ihren sechs Sätzen beschwört sie die kosmischen Natur- und Schöpferkräfte des Mikro- und Markokosmos, in deren Zentrum sich der Mensch vorfindet.

Das sehr große Orchester wird dafür noch einmal erweitert durch einen Damen- und Kinderchor sowie eine Altistin. Doch wird dieser Apparat von Mahler über weite Strecken ausgesprochen ökonomisch genutzt: Zwar gibt es an den Knoten- oder Gipfelpunkten auch große Klangmassierungen, über weite Strecken ist die die Musik aber geradezu kammermusikalisch disponiert. So dienen die verfügbaren Kräfte dazu, ein Maximum an immer wieder neuen Farben, Stimmungen und Gestalten zu formen. Für den Hörer entfaltet sich die Sinfonie wie eine große, reich gestaltete Landschaft: Man durchwandet eine Folge von Sphären oder Räumen, in denen grundlegende Aspekte des des Daseins auf poetische Weise musikalisch verhandelt werden. Ein ursprünglich zugrundeliegendes Programm bzw. assoziativ-beschreibende Titel für die einzelnen Sätze hat Mahler später zurückgezogen, um die Musik zu einer möglichst unmittelbaren Wirkung zu bringen. Was Mahler zu sagen hat, sagt er in der und durch die Musik - auch da, wo der Chor oder die Solistin einen Text singen und damit eine "Botschaft" transportieren.

François-Xavier Roth hat bereits bei seiner ersten Mahler-Einspielung mit dem Gürzenich-Orchester - der 5. Sinfonie - gezeigt, dass er Mahlers epische Sinfonik tief durchdrungen hat und mit Hilfe seines bestens besetzten Ensembles eindrucksvoll zur Darstellung bringen kann. Der monumentale Eingangssatz der 3., mit über 30 Minuten einer der längsten, die Mahler komponiert hat, bewahrt trotz seiner mäandernden Struktur eine große Geschlossenheit. Mahler dachte an eine Art bacchantische Prozession und kreierte eine orchestrale Nah-Fern-Perspektive, die räumliche Bewegungen simuliert. Auch, weil die Tontechniker wie schon bei der Vorgängerproduktion für ein plastisches und luftiges Klangbild gesorgt haben, teilt sich das dem Hörer unmittelbar mit.
Das Idyllische und Unheimliche, das Trunkene und Ekstatische, das Mahler dieser Natur-Apotheose einkomponiert hat, wird packend herausmusiziert. Dabei drängt sich das Hymnische, mitunter auch Orgiastische dieser Musik unter Roth jedoch nie auf Kosten der Detailklarheit in den Vordergrund. Das Grelle ist nicht bloßer Effekt, Klangkraft und präzise Durchgstaltung finden glücklich zusammen. Damit sind die Eckpunkte von Roths Mahler-Auffassung umrissen; sie sorgen auch in den Folgesätzen für ein reiches, bewegendes Hörerlebnis.

Die kunstvoll-naive Bimbam-Idylle des 5. Satzes mit Kinder- und Frauenstimmen kann sich da in seiner Zartheit ebenso reizvoll (und, unter Oberlfäche auch ironisch) entfalten wie der dunkel-romantische Ton der Nietzsche-Vertonung im 4. Satz, die durch Sara Mingardos herrlich glosende Altstimme noch einmal eine besondere Eindringlichkeit gewinnt. Und das ergreifende, sehnsuchtvolle Singen und Drängen im Finalsatz schlägt nie um in Sentimentalität. Vielmehr steigern die Interpreten die Spannung bis zum grandiosen Schluss, eine der gewaltigsten Dur-Akkord-Architekturen der Sinfoniegeschichte, hier als wahrhaft strahlendes, glaubwürdiges Gipfelereignis inszeniert, das ohne Überwältigungspomp auskommt. Wie heißt es in der Nietzsche-Vertonung aus dem "Zarathrustra": "... all' Lust will Ewigkeit -, Will tiefe, tiefe Ewigkeit!" Da wünscht man sich, dass Roth und das Gürzenich-Orchester auch die übrigen Sinfonien Mahlers nach und nach auf diesem Niveau erarbeiten.



Georg Henkel



Besetzung

Sara Mingardo, Alt
Frauenchor der Schola Heidelberg
Jugendchor des Kölner Doms

Gürzenich-Orchester Köln



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