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Brahms, J. (Belcea-Quartet)

Streichquartett Nr. 1 / Streichquintett Nr. 2


Info
Musikrichtung: Streichquartett

VÖ: 23.01.2004

EMI Classics / EMI (CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. 7243 5 57662 2 9)

Gesamtspielzeit: 62:19

Internet:

EMI Classics



AUF DEN SCHULTERN DES RIESEN

Johannes Brahms (1833-1897: der Titan der (deutschen) Spätromantik. Der Vollender. Der letzte Klassiker. Das Nachzüglerische, Spätling-hafte war dem Komponisten wohl bewußt. Dass ihm das Erbe von Mozart, Haydn, Beethoven, Schubert, Mendelssohn und Schumann nicht nur Fundament, sondern auch schwindelerregender Anspruch war, zeigt sich an der immensen, langwierigen Arbeit, die er auf die eigenen Werke verwandte: Allein 20 Jahre beschäftigte ihn die Komposition seiner ersten Sinfonie. Den beiden einzigen Streichquartetten gingen zwanzig Versuche voraus, von denen der überaus selbstkritische Komponist keinen gelten lassen wollte.

Zwei schlicht überwältigende Ergebnisse dieser Mühen stellt diese Aufnahme mit dem jungen britischen Belcea-Quartet in nicht minder meisterhaften Einspielungen vor: Das erste der beiden Streichquartette op. 51 in C-Moll (1873) ist wie das spätere Streichquintett op. 111 Nr. 2 in G-Dur (1890) Ausdruck von Brahms intensiver Beschäftigung mit der Tradition, die noch einmal zusammengefaßt und schließlich grandios überhöht wird: Riesen auf Riesenschultern, sozusagen.
Der Ton ist im ersten Fall leidenschaftlich und dunkel, irrlichternd und verschattet, im zweiten Fall dagegen von erstaunlich jugendlicher Kraft und optimistisch, wenngleich durch die reife Kunst gezügelt. Gemeinsam ist beiden Stücken die kaum steigerbare konstruktive Dichte und der geradezu orchestrale Klangkörper (vor allem im Quintett): Das sind ausgewachsene Kammer-Sinfonien.

Das junge britische Belcea-Quartet gleitet mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die phantastischen Labyrinthe von Brahms "entwickelnden Variationen". Wie kann man diese Musik nur als schwer und verrätselt empfinden, wenn sie, wie hier, mit solch struktureller Klarheit und Mühelosigkeit gespielt wird, ohne jemals akademisch zu klingen? Wie kann man davon unberührt bleiben, wenn der Ausdruck derart intensiv und viel schichtig ist?
Der Ton der Balcea-Leute ist weniger offensiv und nicht so starkfarbig leuchtend wie der des Alban-Berg-Quartetts (zwei Einspielungen, die sich eigentlich nur klangtechnisch - analog / digital - unterscheiden, ebenfalls EMI). Ihr Akzent liegt auf dem Spiel von Licht und Schatten, dem sie subtil nachspüren; statt starker Emotionen (die gleichwohl nicht zu kurz kommen) gibt es mehr Atmosphärisches, was vor beim Quartett der Brahmschen Schreibweise mit ihren ständigen harmonischen Stimmungs- und Farbwechseln sehr angemessen ist.
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann ist es - und das ist jenseits aller 'Historisierungen' sicher auch eine Stil- und Geschmacksfrage, über die sich weidlich streiten läßt - das allzu reichliche, enttäuschend konventionelle Dauer-Vibrato, mit dem die Linien befrachtet werden. Gerade in den langsamen Sätzen bekommt die Musik davon einen 'Gelbstich'. Erstaunlich, dass so junge Musiker diesem sogenannten Klangideal mit solcher Inbrunst anhängen ...

Ärgerlich ist, dass diese sogenannte kopiergeschützte CD auf zwei Markenspielern durch Knackser und Wackler den Genuss doch erheblich getrübt hat. Das ist auch den Künstlern gegenüber unfair.



Georg Henkel



Trackliste
01-04 Streich-Quartett Op 51, Nr. 1 C-Moll
05-08 Streich-Quintett Op. 111 G-Dur
Besetzung

Belcea Quartet:
Corina Belcea (Violine)
Laura Samuel (Violine)
Krzysztof Chorzelski (Viola)
Alasdair Tait (Cello)
und Thomas Kakuska (Viola, op. 111)


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