Musik an sich


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Die West Side Story gibt sich in Berlin als Rock-Konzert




Info
Künstler: Leonard Bernstein

Zeit: 28.12.2014

Ort: Komische Oper, Berlin

Besucher: 1190 (ausverkauft)

Veranstalter: Komische Oper

Fotograf: Iko Freese (drama-berlin.de)

Internet:
http://www.komische-oper-berlin.de

In einer Hinsicht dürfte die Inszenierung der West Side Story für die Komische Oper recht preisgünstig gewesen sein. Auf ein Bühnenbild wurde praktisch völlig verzichtet. Neben wenigen eher improvisierten Requisiten wurde vor allem geschickt eingesetztes Licht zur optischen Gestaltung genutzt.

Immer wieder einmal lag die Bühne im hellen weißen Licht. Dann standen die Ziegelmauern des Bühnenraumes nackt vor den Augen - auf ihnen rostige Installationen, hinter denen wohl Stromleitungen entlanglaufen, eine Industriearchitektur, die eher an den vorletzten Jahrhundertwechsel denken lies. Dazu gut erkennbar der kreisförmige Rand der Drehbühne. Eine mehr als geschickte Entscheidung. Man fühlte sich sofort auf einen heruntergekommen Baseballplatz in einer Seitenstraße eines New Yorker Ghettos versetzt. Bühnenbildner Barrie Kosky hat sich erkennbar von der Eingangsszene der Filmversion der West Side Story inspirieren lassen.

Heute muss man die West Side wohl verlassen und nach Harlem, Brooklyn oder in die Bronx ausweichen, um in New York solche Orte zu finden. Aber das passt zur Geschichte der West Side Story, die ebenfalls gewandert ist und ursprünglich East Side Story heißen sollte. Anfang der 50er Jahre wollten Leonard Bernstein und Arthur Laurents das Thema von Shakespeares Romeo und Julia in die Atmosphäre eines Stadtteils verlegen, in dem die Konflikte zwischen verarmten osteuropäischen Juden und katholischen Immigranten aus Irland und Italien mit den Händen zu greifen waren und hatten dafür die Elendsviertel der Lower East Side im Blick. Das Projekt blieb im Planungsstadium stecken und wurde erst Jahre später wieder aufgegriffen, als es nun in der West Side Konflikte zwischen neu eingewanderten Puerto Ricanern und „alteingesessenen Amerikanern“ gab.

Barrie Kosky und Otto Pichler erliegen bei ihrer Berliner Inszenierung der nahe liegenden Versuchung, die Geschichte einfach in den aktuellen Kontext der Hauptstadt zu verlegen, nicht. Es gibt also keine deutsch-türkische, -arabsiche, -russische, oder schwäbisch-berlinerische Inszenierung. Bis auf einige wenige Passagen, die den Einfluss von Rap-Gesängen erkennen lassen, wird Gesang und Musik des knapp 60-jährigen Musicals eher konservativ inszeniert. Dabei hat man sich für eine zweisprachige Fassung entschieden. Gesungen wird auf Englisch. Die gesprochenen Parts sind deutsch. Die Liedtexte funktionieren auf Deutsch nicht, erklärt Kosky im Programmheft. Außerdem seien die englischen Versionen zum Teil so bekannt, dass das Publikum sie mitsingen könnte. Daher sei man hier beim Original geblieben.


Im gewissen Sinn hat sich die Komische Oper so dem Zwang entzogen, irgendetwas neu erfinden zu müssen. Sie hat das gemacht, was jede (Rock)Band ständig tun muss. Sie hat gut bekannte Musik auf die Bühne gebracht, um das Publikum zu unterhalten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger Und das ist gelungen! Auch die gesamte Bühneninszenierung fast ausschließlich mit Licht zu gestalten, entspricht sehr einem heutigen Rockkonzert.



Und die West Side Story ist ein Stoff, der sich für dieses Experiment in der Oper bestens eignet. Bernsteins Kompositionen sind Pop genug, um mitzureißen und gerade in den Massenszenen merkte man, dass das Ensemble selber mitgerissen war. Michael Pflumm wirkt in der Rolle des Tony zum Beginn etwas gehemmt, dreht aber im weiteren Verlauf überzeugend auf. Neben ihm und der Maria (Katja Reichert) ist es vor allem Sigalit Feig, in der Rolle ihrer Schwester Anita, die am Ende den stärksten Beifall einfahren kann.



Norbert von Fransecky



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