····· Avantgarde Metal aus Italien begibt sich mit Gotho in unerforschte Galaxien  ····· Assaf Levitin lebt im Spagat zwischen Israel und Deutschland ····· Abgesagt: MEET & GREET mit Huxley Would Approve / Single Celled Organism / Syrinx Call / Vlyes ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Artikel

Häuser statt Strichcodes - Switchfoot versuchen in Deutschland Fuß zu fassen

Info

Gesprächspartner: Andrew Shirley (Git) und Joe Foreman (Voc, Git)

Zeit: 03.06.2010

Ort: Berlin, Postbahnhof

Interview: Face 2 Face

Stil: Alternative

Internet:
http://www.switchfoot.com

In Amerika sind Switchfoot ein Platin-Act, der bei Tourneen Besucher im siebenstelligen Bereich zieht. In Deutschland sind die christlichen Alternativ-Rocker dagegen so gut wie unbekannt, was sicher zum Teil daran liegt, dass ihre Alben hier bisher nur über kleine christliche Vertriebe zu bekommen waren. Das soll sich ändern. Das aktuelle Werk Hello Hurricane läuft über Atlantic / Warner und sollte in jedem Plattengeschäft abgreifbar ein.
Norbert von Fransecky hat vor dem Berliner Gig in diesem Sommer mit Bandleader Joe Foreman und Gitarrist Andrew Shirley gesprochen.

MAS: In Deutschland kennen euch noch sehr wenige Menschen. Wie hat das alles mit Switchfoot angefangen?

Joe Foreman: Unsere erste CD erschien 97. Mein Bruder hatte damals gerade die Highschool abgeschlossen. Das war noch bevor ich das College verlies. Wir haben bis heute insgesamt sechs Alben aufgenommen und sind um zwei Bandmitglieder gewachsen. Auf der einen Seite hat sich seitdem viel verändert, wenn ich an all die neuen Lieder denke, die wir heute spielen. Auf der anderen Seite sind wir immer noch sehr enge Freunde und glauben wirklich an das, was wir tun. Im Vordergrund stand immer der Wunsch Rock'n'Roll zu machen und davon zu leben.

MAS: Ich weiß, dass Ihr heute daran interessiert seid im Mainstream und der säkularen Welt aktiv zu sein. Aber eure Wurzeln sind in kirchlichen Strukturen, u.a. bei dem berühmten Produzenten Charlie Peacock und der christlichen Plattenfirma Sparrow Records.

Joe Foreman: Also, ich glaube wir haben jedem etwas zu sagen. Das schließt auch die Kirche mit ein und ich fühle mich jedes Mal geehrt, wenn ich mit dem Namen Christus in Verbindung gebracht werde, weißt Du, hier für mich.
Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, wenn du anfängst die Menschen in verschiedene Gruppen aufzuteilen, nach der Hautfarbe, ihrem Glauben oder sonst was, dann endet das mit der Zerstörung der Kunst. Für mich als Musiker haben viele unserer Stücke eine tiefe spirituelle Wurzel. Aber muss das für jeden gelten?
Sollen uns die Leute also bezeichnen, wie sie wollen. Wir selber verzichten darauf, uns als christliche Band zu bezeichnen. Das erscheint uns als etwas zu engstirnig. Ich möchte nicht über die Bezeichnung reden. Ich rede lieber über Christus oder über Rock'n'roll. Über eine Bezeichnung zu reden, die vor allem wegen des Marketings gemacht wurde, um etwas zu verkaufen, das ist als würde man über Strichcodes reden. Mich interessieren Strichcodes nicht. Ich möchte über die Produkte reden.

MAS: In Deutschland dürfte es für viele Menschen kaum vorstellbar sein, dass Christentum und jugendliche Popkultur etwas miteinander zu tun haben können.

Joe Foreman: Mir geht es darum, dass wir uns selber in zwei Welten aufteilen. Wir sagen: Das ist mein Glaube und der hat nichts mit meinem Job zu tun. Das ist mein Glaube und der hat nichts mit dem Rock'n'Roll zu tun. Ich glaube, wenn Du die christliche Musik auf die eine Seite des Zaunes stellst, macht Du etwas, was die Integrität deiner gesamten Existenz in Frage stellt

MAS: Fanden Eure ersten Konzerte eher in Kirchen oder in Clubs statt?


Joe Foreman: Wo immer man uns hat spielen lassen. Wir haben in Bars gespielt, in Coffe Shops, in Kirchen. Die Szene in San Diego, in der wir aufgewachsen sind, war sehr offen. Lautstarke Bands kamen von den unterschiedlichsten Orten, um dort zu spielen und wir sahen da überhaupt kein Problem, obwohl es überall auf der Welt Menschen mit sehr engen Vorstellungen gibt, die jedes Ding in seine eigene Ecke stellen.

MAS: In den USA seid ihr eine große Nummer mit einem Millionenpublikum auf euren Touren. Wie erlebt ihr da Deutschland?

Drew Shirley: Es ist toll. Wir sind glücklich hier in Deutschland zu sein. Wir versuchen uns möglichst alles anzusehen. Das Historische hier ist fantastisch. Wenn Du die Straßen lang läufst, kannst du gar nicht alles aufnehmen. Ich bin ständig dabei im Internet zu lesen und zu googeln, was hier früher geschehen ist.
Außerdem ist die Reaktion des Publikums toll. Ich habe entdeckt, dass die Menschen hier Musik lieben, wenn sie etwas hören und ihnen der Sound gefällt. Ich bin sicher, dass es auch hier etliche Trends gibt, die gerade angesagt sind. Aber die Menschen sind sehr offen. Es kann dir passieren, dass jemand Deine Musik zum ersten mal hört und sagt: „Oh, ich mag das. Mir gefällt der Sound. Ich werde mir ein Ticket kaufen und zu Euerm Konzert kommen.“

MAS: Sprechen Euch die Menschen auf Eure Texte an?

Drew Shirley: Die Texte sind immer ein wichtiges Element, durch das Menschen angezogen werden. Ich habe gestern Abend ein Mädchen getroffen, die aus der Ukraine angereist war, um nach Köln zu kommen...

MAS: Extra zu euerm Konzert?

Drew Shirley: Ja! Und sie hatte die kompletten Texte aufgeschrieben und sie übersetzt, um sie besser zu verstehen. Was ist das für eine Hingabe (Einwurf Joe: Es ist erstaunlich!). Ich meine, sie hat sich die kompletten Texte mehrerer Alben geschnappt und jedes einzelne Wort übersetzt, nur um unsere Texte besser zu verstehen. Sie ist von den Texten in die Musik hineingezogen worden und sie sind ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden.
Mit Musik ist das ganz interessant. Wenn du so viel Arbeit in die Übersetzung investierst um die Sprachbarriere zu überwinden, dann kannst du etwas Besonderes fühlen, wenn das Stück beginnt.

MAS: Eure Texte beschäftigen sich oft mit sozialen und humanitären Fragen. Und der kritische Blick auf die Mächtigen nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Ist das so richtig beobachtet?

Diskografie

1999 New Way to Be Human
2000 Learning to Breathe
2003 The Beautiful Letdown
2005 Nothing Is Sound
2007 Oh! Gravity
2008 The Best Yet
2009 Hello Hurricane
Joe Foreman: Das mag sein. Ich weiß, dass ich die Macht erhalten habe, jeden Tag zwischen Leben und Tod zu wählen. Ich habe die Macht den Geist der Hoffung zu wählen. Natürlich gibt es Menschen, die sich in machtvolleren Positionen befinden und solche in weniger machtvollen, aber ich habe die Vorstellung, dass du die Welt an jedem Tag Deines Lebens veränderst, mal mehr mal weniger.
Die meisten unserer Songs behandeln die Spannung zwischen dem was richtig ist, und dem was in der Welt geschieht. Jeden Tag sterben Kinder an Krankheiten, die man verhindern könnte. Jeden Tag werden Frauen zur Prostitution gezwungen. Jeden Tag geschehen überall in der Welt Greultaten.
Die Weise, wie die Welt ungerecht ist, stürzt das Herz ins Chaos. Und gleichzeitig verfällst du in Hoffnungslosigkeit, weil Du nicht weißt, was du tun kannst, wo du anfangen sollst. Für mich ist das Schreiben eines Songs, manchmal der beste Weg damit umzugehen.

MAS: Als christliche Band wollt ihr nicht bezeichnet werden. Seht Ihr euch als politische Band?

Joe Foreman: Es ist mir wirklich egal, wie die Leute uns bezeichnen. Aber ich sehe eine Gefahr darin, irgendwelche Dinge mit dem Namen Christi zu versehen. Schließlich ist nicht meine Musik für unsere Sünden gestorben.
Ein christlicher Architekt? Ein christlicher Möbeltischler? Ist das christlich? Dinge sind gut oder schlecht. Sie sind ethisch korrekt, gut oder schlecht gemacht. Aber dafür den Titel „Christ“ zu benutzen ist gefährlich. Im Grunde ist das der Weg, auf dem wir es rechtfertigen, dass eine Linie zwischen dem gezogen wird, was heilig und was säkular ist. Aber Christus ist gekommen um die Versöhnung zu vollenden. Er kam um Licht in die Dunkelheit zu bringen. Er kam um Prostituierte in die Kirche zu holen. Er kam um Süchtige und Sünder, wie ich einer bin, in seine Reinheit zu holen.
Wenn du den Schöpfer des Himmels und der Erde kennst, brauchst du vor nichts mehr Angst zu haben. Und plötzlich bist du in der Lage, die Unannehmbaren anzunehmen, die Unliebbaren zu lieben. Du bist in der Lage für die Menschen aufzustehen, die nicht in der Lage sind, selber für sich aufzustehen. Für mein Gefühl ist das das Evangelium. Das ist die frohe Botschaft.

MAS: Sieht man sich die Texte von Switchfoot an muss man nicht zwingend bemerken, dass da Christen singen.

Drew Shirley: Das Wunderbare an unsern Songs ist, dass sie für unterschiedliche Menschen Unterschiedliches bedeuten können. Die besten Songs sind die aufrichtigen. Darum will man Sänger hören, die über Dinge singen, die aufrichtig sind. Die besten Songwriter schreiben über Dinge, die sie selber durchleben und an denen du dich reiben kannst. Das ist alles. Das ist der aufrichtige Ausdruck von etwas, was ein Mensch durchlebt.

Joe Foreman: Ich hatte die Gelegenheit mit Bono über dieses Thema zu sprechen. Er sagte „Gott braucht keinen Anwalt“. Das sollte man sich merken.
Christus hat Geschichten über Brot und Wein und weltliche Dinge erzählt. Ich gehe an Songs auf eine ähnliche Weise heran. Wir sprechen über Dinge, die wir täglich erleben. Wir singen ein Lied über eine Frau. Wir singen ein Lied über einen Baum. Wir singen ein Lied über die Sterne. Wenn wir die Tür öffnen, werden wir daran erinnert, dass es da draußen eine Welt gibt, die viel größer ist, als unsere.
Der Atheist hat seine Religion. Der Agnostiker hat seine Religion. Die Christen haben ihre Religion. Häufig war das der Grund, dass Kriege begannen - aus diesen strikten Systemen, die wir aufstellen. Und Liebe überwindet das. Das ist das Wesentliche.

MAS: In einem eurer Stücke steht die Zeile „We got no generation“. Was wollt Ihr damit ausdrücken?

Joe Foreman: Wir sind ohne Richtung, ohne Ziel. Alles liegt vor uns. Alles ist käuflich und wir haben keine Identität. Es gibt kein Gemeinschaftsgefühl in dieser Generation.

MAS: Ist das eine Reaktion auf das „My generation“ von den Who und der berühmten Flower-Power-Hymne „and another generation is talking about their generation“?

Joe Foreman: Ich bin mir sicher, jede Generation hat etwas, was sie vereint. Da waren die Beatles. Es kam Hip Hop. Es kam Trip Hop. Aber die einzelnen Szenen werden immer kleiner und kleiner. Es gibt kein gemeinsames Gefühl wie in den Sixties mehr.

MAS: Ist der Name eurer „Appetite for Construction“ Tour nur ein Seitenhieb auf den Guns'n'Roses Klassiker „Appettite for Destruction“?

Drew Shirley: Das hat einen ganz konkreten Bezug. Wir bauen gemeinsam mit der Organisation „Habitat for humanity“ Häuser, für Menschen, die sich alleine kein Haus leisten könnten. Eine tolle Organisation.

(„Habitat for humanity“ baut einfache Häuser und stellt zinslose Kredite für den Erwerb zur Verfügung, die zurückgezahlt werden müssen. Gleichzeitig verpflichten sich die Kreditnehmer in der Zeit, in der sie das Geld zurückzahlen, beim Bau weiterer Häuser mitzuhelfen. So bleiben die Preise niedrig und das helfende Geld fließt an die Organisation zurück, um neu verliehen werden zu können; NvF)

MAS: Kommen wir mal direkt zu Musik. Ich habe den Alben, die ich von Euch besprochen habe, wechselnde Genre-Bezeichnungen gegeben. Das begann mit Grunge/ Brit Pop, setzte sich über Post-Grunge und Alternative/ Rock zu einem reinen Rock fort.

Joe Foreman: Das kann ich so stehen lassen

MAS: Hello Hurricane ist also auch in Euren Augen das härteste Album bisher?

Joe Foreman: Es ist heavier als die anderen Alben, aber es hat auch sehr leichte Momente. Wir haben uns bemüht, das Spektrum zu erweitern.

MAS: Joe, Du hattest ja zwischendurch unter deinem eigenen Namen auch die beiden Doppel-EPs über die vier Jahreszeiten veröffentlicht. Von der Spielzeit her hätte man die Sachen auch auf eine normale CD packen können.

Joe Foreman: Ja, aber sie sind in der jeweiligen Jahreszeit eingespielt worden und an ihrem Ende veröffentlicht worden.

MAS: Okay! Das war in Deutschland nicht zu bemerken, da alle vier EPs zum selben Termin veröffentlicht wurden. Laut Wikipedia hattet ihr 2009 genug Material für vier CDs zusammen. „Hello Hurricane“ war das erste; für „Vice Verses“ gibt es noch keinen Termin. Hört ihr für die nächsten Jahre erst mal mit dem Schreiben auf um das Material zu verbrauchen.

Joe Foreman: Wir werden weiter Sachen schreiben und das, wofür unser Herz am meisten schlägt, werden wir veröffentlichen. Der Rest kommt in den Müll. Das Ziel bei jedem Album ist es, ein großes Album zu machen.
Wir werden weiter Alben machen. Das Nächste wird Vice Verses heißen. Vielleicht wird es auch ein Doppelalbum.

Norbert von Fransecky


Zurück zur Artikelübersicht