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Sheppard, J. (Stile Antico)

Media vita & andere liturgische Werke

Info Musikrichtung: Renaissance vokal VÖ: 15.01.2010 (Harmonia Mundi / Harmonia Mundi SACD / 2008 / Best. Nr. HMU 807509) Gesamtspielzeit: 70:16

Das Kernstück dieser Produktion, die rund 25 Minuten währende Antiphon Media vita, ist ohne Zweifel ein Höhepunkt im Schaffen von John Sheppard (c. 1515-1558) und der englischen Tudor-Church-Music überhaupt: „Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben.“ Ein Gesang über die Vergänglichkeit des Menschen, seine Ergebung in Gottes Willen, aber auch das Vertrauen in Gottes Liebe und Hilfe. In seinen Dimensionen, seinem Ausdruck und musikalischen Anspruch ist diese Kompositionn durchaus einem Adagio von Anton Bruckner zu vergleichen.
Sheppard führt die sechs Stimmen imitatorisch und ohne besonderes Interesse an der Wortverständlichkeit durch eine Musik von starker kontemplativer Kraft und ergreifendem harmonischen Ausdruck. Der Kontrapunkt wird zum expressiven Klangereignis, das in seinen an- und abschwellenden, mit köstlichen Dissonanzen durchwobenen Wellen ein Musterbeispiel für die meditative Entrückung der Zuhörer ist. Allein die ersten vier Zeilen werden, in moderner Übertragung, in 146 Takte Musik gesetzt! Erst dann gibt es mit dem gregorianischen Einschub der vier Verse des biblischen „Nunc dimittis“ eine deutliche Zäsur, bevor der vollstimmige Satz erneut einsetzt.
1990 haben The Tallis Scholars (Gimell) das Stück erstmals auf CD veröffentlicht und eine Lanze für den lange Zeit wenig beachteten Sheppard gebrochen. Nun hat sich das junge Ensemble stile antico an eine Neueinspielung gemacht. Sie lassen sich nicht nur zwei Minuten mehr Zeit, sondern schenken dem Stück eine vokale Wärme und Innigkeit, die den modernen Hörer wohl noch tiefer zu berühren vermag als die zwar überirdische, aber auch gläserne Perfektion der Tallis Scholars.

Doch es gibt noch andere Seiten von Sheppards Schaffen zu entdecken. Im Gegensatz zur prachtvollen Komplexität seiner katholischen Kirchenmusik stehen die Werke für den anglikanischen Gottesdienst. Sie sind schlichter, homophoner und damit auf Wortverständlichkeit angelegt. Ergreifend sind die kurzen Vertonungen The Lord’s Prayer, das in einer Fassung für Gambenkonsort die Zeiten überdauerte, sowie dreier Anthems. Unter diesen ist vor allem das choralartige I give you a new commandment hervorzuheben. Kunstvolle, im Ausdruck freudig-festliche lateinische Rahmenstücke der Produktion sind das vielschichtige Responsorium Gaude, gaude, gaude Maria und der ambrosianische Hymnus Te Deum, dessen Verse alternierend in gregorianischer Einstimmigkeit und polyphonem Satz erklingen.

Die vierzehn Sänger/innen von stile antico zeigen mit dieser technisch und künstlerisch gelungenen Einspielung erlesener Meisterwerke erneut ihr profundes Können. Der religiöse Gehalt teilt sich auch über das digitale Medium mit.

Georg Henkel