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Reviews

My Dying Bride

The Ghost Of Orion


Info

Musikrichtung: Gothic Metal

VÖ: 06.03.2020

(Nuclear Blast)

Gesamtspielzeit: 56:27

Internet:

http://www.mydyingbride.net

My Dying Bride spielten in der ersten Hälfte der Neunziger eine maßgebliche Rolle bei der musikalischen Horizonterweiterung des Rezensenten. In seinem Gymnasiumsjahrgang war er der einzige, der traditionellen Metal hörte – eine Handvoll weiterer Metaller war eher im Death Metal unterwegs, und gemeinsam mit diesen entdeckte er den sich damals gerade entwickelnden Gothic Metal, darunter natürlich auch die „Peaceville Three“, also Paradise Lost, Anathema und eben My Dying Bride. Deren Zweitling Turn Loose The Swans und besonders der Drittling The Angel And The Dark River wurden fleißig gehört und entfalteten eine eigentümliche Faszination, wie sie nur diesem elegisch schwebenden Doom innewohnt, so sinngemäß eine Formulierung aus Band 4 von „Matthias Herr’s Heavy Metal Lexikon“. Auch zwei Liveerlebnisse datieren aus den Mittneunzigern, darunter das eher kuriose Package als Vorband von Iron Maiden (!) während deren Tour zum The X Factor-Album. Später verlor der Rezensent die Band allerdings aus den Augen, so dass The Light At The End Of The World das einzige weitere Studioalbum der Briten ist, das sich im durchgehörten Teil der Tonträgerkollektion befindet, auf dem sich die Formation nach den gemäß der Literatur eher experimentell geprägten Alben der späten Mittneunziger wieder ein Stück weit in Richtung ihres Zweit- und Drittlings bewegte.

Nun liegt also The Ghost Of Orion im Player, mittlerweile Studioalbum Nr. 14, wenn man die Neueinspielungsscheibe Evinta mitzählt. Und siehe da, zumindest ein Teil des alten Feelings ist sofort wieder da: Aaron Stainthorpe pendelt zwischen vorherrschendem Klargesang und einigen harschen Einlagen und klingt im besten Sinne so, als hätte es die letzten 25 Jahre nie gegeben. Andrew Craighan, auf dieser Scheibe Alleinverantwortlicher für die Gitarrenarbeit, erzeugt immer noch diese typisch „singenden“ Gitarrenlinien, wie man sie schon vor einem Vierteljahrhundert lieben gelernt hat. Und die Geige, ja, die ist auch wieder da, nachdem dieses Instrument nach dem Abgang von Martin Powell geraume Zeit aus dem Bandkosmos verschwunden war – jetzt aber sorgt Shaun MacGowan wieder für melancholische Melodien und bedient zugleich die sporadisch den Klangteppich bereichernden Keyboards.
Soweit, so bekannt. Zumindest im vom Rezensenten bisher erschlossenen MDB-Kosmos eine seltene Zutat ist weiblicher Gesang – den hatten Anathema und Paradise Lost ja schon in den Frühneunzigern auch in Leadfunktionen eingesetzt, MDB aber nur als hintergründige Zweitstimme im Turn Loose The Swans-Closer „Black God“, und so betritt das knapp sechsminütige „The Solace“ in gewisser Weise Neuland, arrangiert lediglich aus zwei Leadgitarrenlinien und eben dem Gesang von Linda-Fay Hella. Und hier stellt sich auch dieser schwebende Gestus wieder ein, der in den drei zuvor erklungenen Songs fehlte, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund: Am Schlagzeug sitzt auf dieser Scheibe Jeff Singer, und der spielt einen ganz eigentümlichen, mal beschwingten (wie im Opener „Your Broken Shore“), mal fast progressiv zu nennenden (wie im zweiten Song „To Outlive The Gods“) Stil und verleiht der Musik damit einen grundlegend anderen Eindruck als auf den Frühwerken, zumal er auch noch relativ weit in den akustischen Vordergrund gemixt worden ist, jedenfalls im Vergleich zu den Baßlinien von Lena Abé, die nur begrenzt eine Symbiose mit dem Drumming eingehen, sondern eher hinter den Rhythmusgitarren verschwinden. So entsteht eine Klangwelt, die dem Hörer einerseits durchaus vertraut anmutet, aber andererseits doch ein gutes Stück entfernt von dem angesiedelt ist, mit dem man eigentlich vertraut ist. Interessanterweise hat Singer ja auch vier Jahre bei Paradise Lost am Schlagzeug gesessen, 2004 bis 2008, um genau zu sein, und mit diesen den schrittweisen Rückbezug auf die Frühwerke eingeleitet, der mit den Alben Paradise Lost und In Requiem Gestalt annahm, allerdings auf letzterem zu einem Ergebnis führte, das sich phasenweise stärker nach Amorphis als nach Paradise Lost anhörte. Eine entsprechende Vergleichsband findet sich für The Ghost Of Orion freilich nicht – trotzdem könnte es sein, dass das Werk in der globalen Nachbetrachtung eine gewisse Sonderstellung im Oeuvre von My Dying Bride einnehmen wird, da Singer den Drumhocker zwischenzeitlich wieder geräumt hat, so dass mit Spannung zu erwarten ist, wie sich zukünftige Platten ohne ihn gestalten. Und die zurückliegenden wären zumindest für den Rezensenten bei Gelegenheit ja auch noch zu hören und zu analysieren.
Dass der Drummer tatsächlich zum Alleinverantwortlichen für das etwas eigentümliche Feeling zu stempeln ist, wird außer in „The Solace“ vor allem in längeren Passagen der zweiten Albumhälfte deutlich. Im geringfügig zügiger angelegten hinteren Teil von „The Long Black Land“ spielt er nämlich genauso urtypisch wie im großen doomigen Teil von „The Old Earth“ und in dessen Midtempofortsetzung ab 6:30, wobei die Doublebassattacken in letzterem schon wieder eine Grenze überschreiten, die die Band 25 Jahre zuvor noch von der Ferne aus betrachtet hatte. Das hat selbstverständlich nichts mit der Qualität der Musik zu tun, und so mancher Hörer wird Singers Spiel vielleicht sogar als Bereicherung begreifen, während andere Probleme haben werden, sich darauf einlassen zu können. Jo Quails Cello hingegen, auch eine für den Rezensenten neue Erfahrung im Kontext von My Dying Bride, fügt sich in der Einleitung von „The Long Black Land“ so harmonisch ins Gesamtbild ein, dass wohl kaum ein Hörer den Eindruck eines Fremdkörpers gewinnen wird. Aus dem strukturellen Rahmen fallen auch die beiden kurzen atmosphärischen Stücke „Your Woven Shore“, als zweiminütiges Outro dem Opener in der auf dem Backcover kreisförmig abgedruckten Tracklist benachbart, auch Themen von ihm aufgreifend und nochmal markant vom Cello Gebrauch machend, und „The Ghost Of Orion“ – ja, auch der Titeltrack geht als Miniatur durch, in diesem Falle als Miniatur von „The Solace“, nur mit dem Unterschied, dass hier Stainthorpe im Hintergrund flüstert und die beiden Gitarren halbakustisch spielen.

So bleibt The Ghost Of Orion für den Rezensenten ein willkommenes, partiell gewohntes und partiell überraschendes Wiederhören mit My Dying Bride, das allerdings auch ohne entsprechenden Background mit Genuß zu hören sein dürfte, wenn man Gothic Metal klassischen Zuschnitts mag. Wie sich der konkrete Wert bemißt, wenn man das Komplettwerk der Band besitzt, müssen Menschen entscheiden, die in der betreffenden Lage sind.



Roland Ludwig

Trackliste

1Your Broken Shore7:40
2To Outlive The Gods7:54
3Tired Of Tears8:35
4The Solace5:50
5The Long Black Land9:59
6The Ghost Of Orion3:29
7The Old Earth10:30
8Your Woven Shore2:08

Besetzung

Aaron Stainthorpe (Voc)
Andrew Craighan (Git)
Shaun MacGowan (Violine, Keys)
Lena Abé (B)
Jeff Singer (Dr)
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger