Musik an sich


Reviews
Rousseau, J.-J. (Reize)

Le Devin du Village


Info
Musikrichtung: Barock Intermezzo

VÖ: 27.08.2007

CPO / JPC
CD (AD DDD 2006) / Best. Nr. 777260-2


Gesamtspielzeit: 77:00



KUNST DER EINFACHHEIT

Jean-Jacques Rousseaus Opernintermezzo Le Devin du Village (Der Dorfwahrsager) von 1752 spiegelt aufs Schönste die Ambivalenz des Kulturbetriebes. Im Ambiente einer harmlosen Pastorale wollte der komponierende Philosoph seinem höfischen Publikum die Leviten lesen: Wie unmoralisch dieser ganze adelige Klüngel in Versailles doch sei. Und wie hehr dagegen das Landleben mit seinen unverdorbenen Naturmenschen.
Dass die in der Realität häufig kaum besser als ihre Haustiere unter sehr elenden Bedingungen dahinvegetierten, spielt in dem Öperchen keine Rolle. Zuförderst geht es da um innere Werte, nicht ums Überleben. Und natürlich traten die Darstellenden seinerzeit auch nicht in stinkendem Sackleinen und Holzpantinen auf. Abgesehen davon wird sehr hübsch musiziert. Rousseaus Landleben ist eben eine Idealwelt, für die sich auch der unterbeschäftigte Adel begeistern ließ.
Der Komponist hat die kurzen Arien bewusst volksliedhaft und einfach gestaltet, gewissermaßen zum Mitsingen. Heute würde man von Schlagern sprechen. Auch das sorgte nach der Uraufführung zuerst in Versailles und später in Paris für den Erfolg des Stückes. Ludwig XV. selbst soll „mit der falschesten Stimme im ganzen Königreich“ die Klage des unglücklich verliebten Landburschen Colin angestimmt haben. Er lud den Komponisten nach Versailles ein, eine lukrative Pension stand zu erwarten – Rousseau aber sagte ab und demonstrierte so künstlerische Unabhängigkeit.
Auch wenn Rousseaus Musik den Vergleich mit seinen professionellen Zeitgenossen, allen voran Rameau, nicht standhält, so hat sie doch trotz mancher Eintönigkeiten in den Arien und Rezitativen einigen Charme. Sie ist übrigens viel französischer als oft behauptet wird. Einige eigentümliche Wendungen und vor allem die melodischen Arien zeigen italienische Einflüsse. Vor allem die vielen Tänze im Schlussteil sind aber eine sehr französische Zutat (und das Reizvollste am ganzen Werk).

Dieser Livemitschnitt aus dem Schweizerischen Solothurn besticht durch seinen beschwingten Ton und die instrumentale Kolorierung u. a. durch reichlichen Schlagzeugeinsatz und nachkomponierte Hornpartien. Leichte Heiserkeiten im Chorklang stören nicht weiter. Die Solisten klingen jung und frisch: Gabriela Bürgler gibt der Colette einen charmant-tändelnden Ton, Michael Feyfars mimt als Colin überzeugend den reuigen Landburschen, der des dekadenten Stadtlebens überdrüssig geworden ist. Rousseaus künstliche Naivität darf sich bei den beiden ungehindert entfalten.
Andreas Reize leitet das cantus firmus kammerorchester samt Chor mit sicherer Hand, sorgt aber auch für die notwendigen dynamischen Kontraste in den Divertissements.

Eine willkommene Platte, zumal derzeit keine weitere Einspielung vom Werk erhältlich ist.



Georg Henkel



Besetzung

Gabriela Bürgler – Colette
Michael Feyfar – Colin
Dominik Wörner – Wahrsager

cantus firmus orchester und chor

Andreas Reize



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