Musik an sich


Reviews
Händel, G. F. (Jacobs - Nel)

Belshazzar


Info
Musikrichtung: Barock Oratorium (Oper)

VÖ: 10.05.2011

(Harmonia Mundi / Bel Air / Harmonia Mundi / 2 DVD / live 2008 / Best. Nr. HMD 9909028.29)

Gesamtspielzeit: 166:00



HÄNDELS OPERNREFORM

Unter den Händen eines anderen Komponisten als G. F. Händel hätte aus diesem Stoff schnell ein moralisierender Fürstenspiegel werden können. So aber ist daraus ein echtes Musikdrama geworden, das keine Bühne benötigt: Das 1744 uraufgeführte Oratorium Belshazzar erzählt die biblische Geschichte des babylonischen Königs Belshazzar, der durch seinen gotteslästerlichen Hochmut schließlich seinen Untergang provoziert. Den gedemütigten Israeliten, die er in die Verbannung verschleppt hat, schenkt der Perserkönig Cyrus, der mit Gottes Hilfe über Belshazzar triumphiert, die Freiheit. Für die göttlichen Verheißungen und Wunder, die gleichsam im Hintergrund die Geschichte vorantreiben, steht dagegen der Prophet Daniel ein.
In dieser Aufzeichnung einer Bühnenversion von den Festspielen von Aix-en-Provence aus dem Jahr 2008 hat sich Regisseur Christof Nel für eine reduzierte Inszenierung im abgedunkelten Bühnenraum entschieden. Darin und in der eher stilisierten Aktion auf der Bühne mag man eine noble Zurückhaltung erkennen. Dass Händels Oratorium aber im Grunde eine versteckte Reform der opera seria vor Chrirstoph Willibald Gluck darstellt, wird leider nicht richtig deutlich. Zu viele szenische Möglichkeiten verschenkt Nel zugunsten einer etwas ermüdendenden Oratorien-Statik.

Immerhin kann die Musik so ganz für sich selbst sprechen. Sie ist bei den Interpreten auch meist in guten und sehr guten Händen: Belshazzar wurde von Händels Librettisten Charles Jennens als lasterhafte Kreatur gezeichnet, die sich selbst zerstört. Kenneth Tarver, ein eher leichter Tenor mit (zu) schöner Farbe, gibt ihn eindimensional als launiges, augenrollendes Kind. Durch die Einführung von Belshazzars Mutter Nitocris erhielt Händel die Gelegenheit, ein weiteres seiner großen Frauenporträts zu schaffen. In dieser Frau, die ihren Sohn trotz seiner Verdorbenheit liebt, schlägt das Herz von Händels leidenschaftlicher Musik besonders berührend. Man denkt sofort an seine großen Opernheroinnen: Kleopatra, Rodelinda, Alcina. In der vokal wie schauspielerisch herausragenden Darstellung von Rosemary Joshua wird die die von Händel angelegte Tiefe in jeder Arie neu ausgelotet.
Kein strahlender, sondern ein nachdenklicher, auch zweifelnder Held, der an den Krieg nicht so richtig glauben mag, ist König Cyrus. Händel vermeidet auch hier alle Statik in der Personenzeichnung. Beim Countertenor Bejun Mehta fallen zwar gelegentlich unausgeglichene Registerfarben bei schnellen und großen Intervallsprüngen auf, er verfügt jedoch über Wärme, eine mitreißende Virtuosität und ein großes (vokal)schauspielerisches und Charisma und zeichnet die Entwicklung der Figur zu Gottes erwähltem Werkzeug sensibel und facettenreich nach. Kristina Hammarström verleiht dem Propheten Daniel ihre volle, vor allem in der Tiefe reizvoll androgyne Mezzo-Stimme. Dieser Daniel ist nicht nur ein erhabener Gottesbote, aus ihm spricht neben dem Feuer prophetischer Leidenschaft auch menschliches Mitgefühl.

Dirigent René Jacobs zeigt in seiner fantasievollen und affektschärfenden Deutung, wie viel echte Oper in diesem eher selten gespielten Oratorium steckt. Wie sehr hat sich der Zugriff hier doch seit Trevor Pinnocks eher bedächtiger Einspielung aus den 1980er Jahren gewandelt: Statt schöner, aber auch flächiger Klänge gibt es dramatische Zuspitzung und szenische Verdichtung.
Nicht nur Akademie für Alte Musik Berlin besticht durch Pointierung, Lebendigkeit und Lust an der Ausreizung von klangfarblichen Effekten. Auch der häufig geforderte Rias Kammerchor erweist sich wieder einmal als gleichberechtigter Akteur, der in verschiedene Rollen schlüpft. Ein Favoriten-Ensemble belebt das Ganze noch durch zahlreiche solistische Einlagen, so dass die Grenzen zwischen den Arien der Hauptdarsteller und der namenlosen Volksmenge sinnvoll überschritten werden.

Es sei noch angemerkt, dass die Einteilung auf den beiden DVDs sich an den Szenen orientiert, was das Aufsuchen einzelner Nummern unnötig erschwert.



Georg Henkel



Trackliste
Keine Extras
Besetzung

Kennetz Tarver: Belshazzar
Rosemary Joshua: Nitocris
Beju Mehta: Cyrus
Kristina Hammarström: Daniel
Neal Davies: Gobrias

Rias Kammerchor

Akademie für Alte Musik Berlin

René Jacobs: Leitung

Christof Nel: Regie

Don Kent: Bildregie


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>