Musik an sich


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Traumtheater in Traumkulisse



Info
Künstler: Dream Theater & Riverside

Zeit: 13.06.2007

Ort: Zitadelle, Spandau

Veranstalter: Trinity Concerts

Fotograf: Norbert von Fransecky

Internet:
http://www.dreamtheater.net
http://www.riverside.art.pl

Dream Theater und Riverside live in der Spandauer Zitadelle

Glühend heiße Tage waren vorausgegangen und dieser 13. Juni war drückend schwül. Der Himmel sah aus als wolle er jeden Moment die Schleusen öffnen. Am Abend aber sah es dann ganz anders aus. Ein frischer Wind hatte die feuchtwarme Luft davon geblasen. Der Himmel hatte sich geöffnet. Und so begrüßte ein angenehmer Sommerabend die Horden, die die Tore der Zitadelle zu stürmen gedachten.


Die Havelstadt Spandau hat mittlerweile ihre gute Stube für Rockkonzerte geöffnet. Das so genannte „Zitadellen-Festival“ (nichts anderes als der griffige Name für ein recht unterschiedliches Sommerkonzertprogramm, das von Helmut Lotti über Tocotronic und Joan Baez bis zu Marilyn Manson, Korn und Schandmaul reicht) darf tatsächlich in den Mauern der alten Festung stattfinden, wo sich zwischen Schloss, Juliusturm, alten Remisen und Bastionen ein herrliches Gelände auftut. Damit hat sich Spandau eine der interessantesten Open Air Locations in Berlin geschaffen. Positive Draufgabe: 2 Euro für ein gutes Fischbrötchen und 3 Euro für 0,4 Liter Bier sind durchaus keine Selbstverständlichkeit.


So standen also nach einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten wieder einmal Sturmtruppen vor dem Wassergraben der Festung. Dieses Mal wurde aber nicht gestürmt. Man lies sich britisch gesittet nach und nach von der freundlichen Security auf das Gelände befördern.
Ganz nebenbei: ein gutes Beispiel für gelungene Rüstungskonversion. Dort wo Friedrich der Große seine Soldaten hat drillen lassen und die Nazis Labors zur Giftgasproduktion untergebracht hatten, spielten nun friedlich vereint eine US-amerikanische und eine polnische Band vor deutschem Publikum.

Riverside

Etwas überpünktlich betraten kurz vor 19 Uhr Riverside die Bühne. “Eine gute Band, aber nicht unbedingt für ein Konzert“ erklärte mir nach der Show ein leicht gruftig gekleideter Besucher.
Daran ist zumindest so viel wahr, dass die düster melancholischen Klänge in der hellen Nachmittagssonne ein wenig fehl am Platz wirkten. Da die auf einer schwarzen Bühne schwarz in schwarz gekleideten polnischen Metall-Floyds zudem so gut wie kein Stage Acting sehen ließen, fragte man sich gelegentlich tatsächlich, ob es unbedingt notwendig war, die Musiker mitzunehmen. Eine CD hätte es doch auch getan.
Aber das ist eben nur die eine Hälfte der Wahrheit. Riverside sind in den vergangenen Monaten nicht umsonst als einer der Senkrechtstarter im Prog-Circus gefeiert worden. Und so nutzten sie ihren ersten Auftritt in Berlin, um dem Publikum zu zeigen, was sie im Arsenal haben. Das atmosphärische Material wurde mit elegischen Keyboards, druckvollem Bass, heftigen Gitarrenriffs und nicht zuletzt mit der charismatischen Stimme von Mariusz Duda präsentiert. Auch ein Vorgeschmack auf das nächste im Herbst erscheinende Album wurde gegeben.
Riverside

Nach einer knappen Dreiviertelstunde war das Publikum in seiner Begeisterung zwar nicht expressiv, aber deutlich. Kaum einer, den ich ansprach, war von dem, was er gehört hatte, nicht angetan. Dass das keine reinen Lippenbekenntnisse waren, zeigte eine ganze Anzahl von Riverside-Leibchen, die nach dem Auftritt nach und nach zu sehen waren.

Präzise um 20.15 Uhr stiegen Dream Theater in die Eisen. Genauso pünktlich um Viertel vor Neun war dann erst einmal Schluß. Der TV-Bürger hatte jetzt genau die „Tatort“-Zeit investiert – und ja es passte – die 20-minütige Zugabe ersetzte dann genau das „Heute Journal“. Zeit ins Bett zu gehen, wenn man denn das Adrenalin, das die New Yorker in die Adern gejagt hatten, wieder unter Kontrolle bekam.

Was zwischen diesen Uhrzeiten geschah, war zum Teil der reinste Wahnsinn. Nicht einmal der Verzicht auf fast alle frühen Hits – mit Ausnahme von “Surrounded“ - konnte enttäuschen. Denn da gibt es auf der aktuellen CD formidablen Ersatz (s. Review).
Ein erster Höhepunkt war nach 15 Minuten die Metallica-artige Thrash-Granate „Constant Motion“. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatten Dream Theater klar gemacht, dass sie mit mindestens vier Frontmännern am Start waren.

John Myung

Der „natürliche Star“, Sänger James LaBrie, überlies dem Rest der Band erst einmal einige Minuten die Bühne. Das nutzte Bassist John Myung um sich effektvoll in Szene zu setzen. Den Oberkörper nach vorne über den Bass gereckt oder mit zurückgeworfenem Kopf, zwei seiner typischen Posen, lies er nichts von der vornehmen Zurückhaltung erkennen, die Bassisten oft eigen ist. Gleich die erste Minute dominierte er das Geschehen.

Mike Portnoy

Das ließ sich Mike Portnoy nicht lange gefallen. Während des ganzen Konzertes zog er die Augen auf sich, wenn er sich hoch über sein monströses Drumkit erhob und ein oder zwei der acht bis zehn Arme in die Höhe reckte, die nötig sind, um das Inferno auszulösen, das die Sticks auf den Fellen auslösten.

Jordan Rudess

Etwas zurückhaltender gab sich Jordan Rudess. Mit kahlem Haupt, freundlichem Grinsen und Ziegenbart wirkte er wie ein chinesischer Mandarin, der sich hinter seinem um 360° drehbaren Keyboard aber auch in einem irrwitzigen Magier verwandeln konnte und das Publikum bei Stücken wie „The dark eternal Night“ aus dem Hintergrund heraus in einen Hexenkessel verwandelte, der nicht wusste, ob er vor mitgerissener Begeisterung überkochen, oder mit weit geöffneten Augen starr vor Staunen beobachten sollte, was auf der Bühne abging, auf der sich die Lightshow langsam gegen die hereinbrechende Dämmerung atmosphärisch durchsetzen konnte.

John Petrucci

Die bei den meisten Bands dominierende Positionen, Sänger und Gitarrist, stechen bei Dream Theater nicht in dem Masse heraus, wie man das gewohnt ist. John Petrucci verzichtet auf die große Geste, arbeitet vorwiegend mit den Fingern und erzeugt damit ähnliche Ergebnisse, wie Rudess.
LaBrie frontet die Band – selbstverständlich. Gerade den ruhigeren und den hymnischen Stücken verleiht seine klare, relativ hohe Stimme den entscheidenden Kick. Wenn die Band laut wird und richtig zupackt, fehlen ihm aber gelegentlich das Volumen und die Kraft, um sich an die Spitze zu setzen. Zu einr Band, die derart von instrumentaler Virtuosität lebt, ist das aber vielleicht sogar eher passend, als ein Fehler.

Mit „Surrounded“ setzt die Band etwa in der Mitte der Show einen der wenigen Ruhepunkte. Danach fängt sich „Forsaken“ etwas Nieselregen ein, der nach wenigen Minuten aber wieder aufhört. Der Hauptteil schließt mit dem Finale furiose, das man von Dream Theater erwarten darf. Die Zugabe beginnt mit sanftem Piano und glänzt noch einmal mit einer langen Verbeugung vor der Vergangenheit, dem epischen „Learning to live“ vom Überalbum Images at Work.

James LaBrie

Und das Schönste an der ganzen Sache ist der Abschied. Mit „See you in Fall“ erinnert LaBrie daran, dass das nicht der letzte Deutschlandabstecher in diesem Jahr gewesen sein wird.



Diskografie
When Dream and Day unite (CD 1989)
Images and Words (CD 1992)
Another Day (Single 1992)
Live at the Marquee (Live EP 1993)
Images and Words - Live in Tokyo (Video 1993)
Lie (Single 1994)
The silent Man (Single 1994)
Awake (CD 1994)
A Change of Seasons (EP 1995)
Hollow Years (Single 1997)
Falling into Infinity (CD 1997)
Once in a LIVEtime (2-CD 1998)
5 Years in a LIVETime (Video 1998)
Scenes from a Memory (CD 1999)
Through her Eyes (Single 2000)
Live Scenes from New York (3-CD 2001)
Metropolis 2000: Scenes From New York (DVD 2001)
Six Degrees of inner Turbulence (2-CD 2002)
Train of Thought (CD 2003)
Live at Budokan (3-CD 2004)
Live at Budokan (2-DVD 2004)
Live In Tokyo / 5 Years in a LIVETime (2-DVD 2004)
Octavarium (CD 2005)
Score - 20th Anniversary World Tour (3-CD 2006)
Score - 20th Anniversary World Tour (2-DVD 2006)
Systematic Chaos (CD 2007)
Systematic Chaos (Special Edition) (CD+DVD 2007)


Norbert von Fransecky



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