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Reviews

Monteverdi, C. (Christie)

Il ritorno d'Ulisse in patria


Info

Musikrichtung: Barockoper

VÖ: 23.01.2004

Virgin Classics / EMI (DVD (AD 2002) / Best. Nr. 7243 4 90612 9 3)

Gesamtspielzeit: 174:00

Internet:

Virgin Classics

Les Arts florissants

DOPPELTE PREMIERE

Virgin Classics veröffentlicht seine erste Opern-DVD - und auch für die Interpreten William Christei und Les Arts Florissants ist es die erste DVD-Produktion. Auf dem Programm steht die zweite der drei erhaltenen Opern Claudio Monteverdis: Die Rückkehr des Odysseus, ein reifes Alterswerk, geschrieben für eines des ersten kommerziellen Operntheater in Venedig und in der Karnevalssaison 1640 mit großem Erfolg uraufgeführt. Die Mischung aus Heldenepos, tragischer Lovestory und Götterzauber ist für heutige Interpreten nach wie vor eine Herausforderung. Denn die "Partitur" liegt in einer Fassung vor, die nicht von Monteverdi stammt (was immer wieder Zweifel an der Autorenschaft provoziert hat). Abgesehen von den nicht genau instrumentierten Ritornellen ist jeweils nur die Singstimme mit unbeziffertem Begleit-Bass notiert - das ist alles.

AUF DER SUCHE NACH DER WAHREN INTERPRETATION ...

Was damit anfangen? Bei den ersten Aufführungen Anfang des 20. Jahrhundert hat man das Werk an die damalige Opernästhetik angepaßt, indem man es recht unbekümmert um die historischen Aufführungsverhältnisse mehr oder weniger üppig und einfühlsam bearbeitet hat, sprich: vor allem orchestrierte. Heute, nach rund 50 Jahren historisierender Aufführungspraxis und entsprechenden Erfahrungen, ist man da sehr viel sensibler: Die privaten Opernhäuser Venedigs hatten nur sehr kleine "Orchester", kaum mehr als ein Streichquartett und ein allerdings sehr differenziertes Continuo-Ensemble mussten genügen; vieles, selbst zusätzliche Begleitstimmen, wurde währende der Proben und Vorstellungen improvisiert und ad hoc eingearbeitet. Die "Partitur" fungierte als Aufführungs-Skizze und bewahrte die musikalische Substanz.

Zurück also zum Original! Aber welche Instrumente im Detail wählen? Darf's nicht doch noch die eine oder andere Flöte oder gar ein Trompetchen sein? Wieviel Instrumente für den Continuo-Part? Welches spielt was? Fügt man - zu Monteverdis Zeiten durchaus üblich - noch Stimmen hinzu? Ergänzt man "Fehlstellen" durch Musik anderer Komponisten (was bei den frühen Opern ebenfalls gemacht wurde)? Schmückt man die Partien improvisierend aus?
Fragen über Fragen. Jede Interpretation kann nur eine mögliche Antwort sein, die mehr oder weniger überzeugt und mehr oder weniger von der Substanz der Musik zur Geltung bringt

NAHE AN DEN QUELLEN: LAF

Wofür entscheiden sich nun Christie und LAF? Sie wählen eine eher 'minimalistische', am überlieferten Notentext orientierte Fassung, die sich auf das damalige continuostarke "Norm-Orchester" beschränkt und lediglich in den Ritornellen mit Flöten und Zinken für zusätzliche Klangfarben sorgt.
Damit verschieben sich die Akzente auf den ausdrucksvollen Gesang bzw. das 'gesungene Schauspiel'. Christies aus sonst eher 'erzählendem' Duktus kommt das sehr entgegen. In dieser Produktion gibt es dafür weniger orchestralen und vokalen Schmelz als in anderen Produktion zu hören: Nikolaus Harnoncourt z. B. bietet in seiner auch szenisch sehr gelungenen DVD-Fassung aus dem Opernhaus in Zürich (Arthouse Nr. 100 353) ein recht großes Orchester und entsprechende Sänger auf, läßt sein Ensemble sonor, geschmeidig und sanglich agieren. Die Interpretation und klanglichen Proportionen sind unter Beibehaltung der barocken Verhältnisse und Musizierweisen den Erfordernissen eines großen Opernhauses angepaßt.

Christies Aufführung wurde dagegen im viel kleineren, geradezu intimen Barocktheater Théâtre du Jeu de Paume mitgeschnitten. Hier ist seine kammermusikalische Besetzung freilich genau am richtigen Ort. Wenngleich der Klang aufnahmebedingt etwas trocken und spröde ist, so ist er doch nirgends dünn oder unterbelichtet und wartet gelegentlich mit überraschenden Effekten auf, die sich mit einem kleinen, flexibel agierenden Ensemble besser realisieren lassen.
Auf dem tragfähigen Fundament der jeweils szenengerecht "abgemischten" Bass-Istrumente agieren die Sänger als singende Schauspieler, will sagen: Mehr als auf perfekten Schönklang kommt auf Ausdrucksintensität, Spontaneität in der Darstellung und Sprachnähe an. Diese Akzentsetzung dürfte auch der historischen Realität recht nahe kommen. Vor allem die komische Rolle des faulen Vielfraß' Iro braucht eine gewisse Derbheit (die sie dann auch von Robert Burt inklusive eines perfekt intonierten Rülpsers bekommt). Die Qualität der Sänger/innnen ist fast durchweg von gleich hohem Niveau (einzige Ausnahme: der recht enge Tenor von Zachary Stains) und auch die Bühnen-Präsenz beeindruckt, aber es ist vor allem Marijana Miljanovic in der Rolle der Penelope, die mit ihrer androgynen Contralto-Stimme und ergreifendem Spiel den größten Eindruck hinterläßt.

NAHE AN DER SZENE: DIE INSZENIERUNG

Die unspektakuläre Regie und Inszenierung von Adrian Noble und Anthony Ward verlagern das Geschehen in den nahen Orient und ordnen sich ansonsten ganz der Handlung unter. Das läßt den Darstellern Raum, ihre Charaktere zu entwickeln. Die bildschirmgerechte Detailarbeit bei der Darstellung tut ein übriges, um eine langweilig abgefilmte Operninszenierung zu verhindern. Vor allem die dynamische Personenführung im 2. Akt mit einer sehr dramatisch choreographierten "Bogenprobe" zum Schluss sorgt für Theaterspannung. Der erste Teil dagegen tritt - auch librettobedingt - etwas auf der Stelle, vor allem die Götter Neptun und Jupiter werden (auch stimmlich) zu starr in Szene gesetzt. Dabei hat Monterverdi sie doch mit genauso leidenschaftlicher Musik bedacht wie die irdischen Protagonisten.

Persönlich und allein unter musikalischen Gesichtspunkten würde ich der Harnoncourt-Version doch den Vorzug geben. Christies Fassung, so idiomatisch sie auch sein mag, hat mich über die immerhin drei Stunden nicht durchweg gepackt. Auch was die Sänger angeht - Vesselina Kasarova und Dietrich Henschel in den Hauptrollen! - besitzt Harnoncourts Einrichtung doch mehr Charisma. Man vergleiche nur den Schluss, wenn Penelope Ulisses wiedererkennt: Bei Harnoncourt bleibt da kein Auge trocken ...



Georg Henkel

Besetzung

Kresimir Spicer (Ulisses)
Marijana Mijanovic (Penelope)
Cyril Auvity (Telemaco)
Joseph Cornwell (Eumete)
Bertrand Bontoux (Antinoo)
Anfinomo (Andreas Gisler)
Christophe Laporte (Pisandro)
Zachary Stains (Eurimaco)
Katalknin Károlyi (Melanto / Fortuna)
Robert Burt (Iro)
Geneviève Kaemmerlen (Ericlea)
Rachid Ben Abdeslam (L'Umana Fragiligà)
Olga Pitarch (Minvera / Amore)
Paul-Henry Vila (Nettuno / Il Tempo)
Eric Raffard (Giove)
Rebecca Ockenden (Giunone)

Orchester Les Arts Florissants

Ltg., Regal, Orgel und Cembalo: William Christie
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