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Reviews

Britten, B. (Bedford)

The Turn of the Screw


Info

Musikrichtung: Oper

VÖ: 17.11.2003

Naxos / Naxos (2 CD DDD (AD 1993) / Best. Nr. 8.660109-10)

Gesamtspielzeit: 106:23

Internet:

Naxos

GOTHIC NOVEL, PSYCHODRAMA, OPER: THE TURN OF THE SCREW

BRITTENS VERTONT JAMES

Es ist leicht zu verstehen, warum Henry James' Geistergeschichte The Turn of the Screw den Komponisten Benjamin Britten (1913-1976) als Opernstoff fasziniert hat: Die Geschichte einer Gouvernante, die auf einem einsamen Landgut die beiden ihr anvertrauen Kinder vor der unheimlichen Macht zweier Geister zu bewahren sucht, bot bereits in der literarischen Fassung eine Fülle von Deutungsmöglichkeiten. Sind die Gespenster in Gestalt der ehemaligen, inzwischen verstorbenen Hauslehrerin und eines tödlich verunglückten Dieners real oder wahnhafte Einbildungen der Gouvernante? Symbolisieren sie das verführerische Böse oder versinnlichen sie eine unterbewußte Macht? Dazu kam das Motiv der bedrohten Unschuld (die Kinder), die einer übermenschlichen, bösen Macht ausgesetzt sind, die verführen, verderben und zu ihresgleichen machen will. Ganz zu schweigen von dem (homo)sexuellen Subtext.

Britten komponierte das Werk als Kammeroper auf das eng an das Original angelehnte Libretto von Myfnawy Piper 1953. Und zwar in nur vier Monaten. Der Musik ist die Eile nicht anzumerken: Wie immer kann man über die unerschöpfliche, sinnliche Klangphantasie Brittens nur staunen. Wie der Komponist das Ensemble - im Grunde handelt es sich um ein um Holzbläser, Harfe, Schlagzeug und Klavier erweitertes Streichquintett - durch seine Orchestrierungskünste zu einem sprachmächtigen, tragfähigen Partner der Sänger macht, wie er im vollen Klang schwelgt, Stimmungen malt und Atmosphären beschwört, ist für sich genommen schon ein musiktheatralischer Coup.
Britten hat seine Partitur sehr systematisch aufgebaut. Er folgt der Spannungskurve der Handlung, indem er jede Szene mit einer Variation des musikalischen Grundthemas der Oper einleitet. Allein diese schillernden Miniaturen würden schon eine Aufnahme lohnen: Jede Variation basiert auf einem bestimmten Grundton, der im 1. Akt mit jeder Szene zunächst aufsteigt (a h c d e f g as), im 2. Akt dagegen absteigt (as fis f es cis c b), wobei die letzte Variation um alle zwölf Töne kreist: eine Metapher für die Auflösung der vertrauensvollen menschlichen Beziehungen und den (tödlichen) Kampf der Gouvernante um die Seelen der Kinder. Bis zu diesem Showdown wandelt sich die Musik: Die (vordergründige) Idylle des Beginns gestaltet Britten mit betörenden, leuchtenden Spätsommerfarben; in dem Maße, wie das Unheimliche Einzug hält und die Macht der Geister über die Kinder wächst, verdüstert und verschärft sich auch die Klangwelt (Britten 'zieht' hier sozusagen harmonisch und satztechnisch die Spannungs-Schraube an), bis sie sich gegen Ende in einer tödlichen Stille auflöst.
Der Musik haftet freilich gleich von Beginn etwas Unwirkliches, Fragiles an. Die Geister mögen zwar exotische Sirenengesänge anstimmen, um die Kinder zu locken - musikalisch sind sie Teil der 'realen' Welt, zumal es hier auch thematische Verknüpfungen gibt. Und umgekehrt kann man dann die 'reale' Welt auch als eine Verlängerung der Geisterwelt deuten.
Mit diesem streng konstruierten Vexierspiel hat Britten James' mehrdeutige Vorlage kongenial in Musik gesetzt.

BEDFORD DIRIGIERT BRITTEN

Nachdem Naxos bereits im letzten Jahr mit Brittens komischer Oper Albert Herring eine Produktion des Labels Collins Classics aus den 90er Jahren wiederveröffentlicht hat (8.660107-08), legt man nun auch The Turn of the Screw vor. In beiden Fällen stand Steuart Bedford am Pult. Während mir Albert Herring etwas zu aufgekratzt und geschwätzig daherkam, überzeugt mich die drei Jahre ältere Aufnahme der "Schraubendrehungen".
Das mag gewiss auch mit Brittens geschmeidiger, lyrischer Musik zusammenhängen, der das ebenso sensibel wie zupackend musizierende Aldeburgh Festival Ensemble nichts schuldig bleibt. Vor allem aber gibt es hier ein vorzügliches Solistenensemble zu hören: Felicity Lott als Gouvernante und Phyllis Cannan als Haushälterin Mrs. Grose halten gekonnt die Spannung zwischen Schwärmerei, Liebe, Angst, Traum, Verdrängung und Hysterie. Sam Pay ist ein vorzügliche Besetzung für den Knaben Miles, wenngleich er - naturbedingt - im Ensemble etwas hinter der volleren, reiferen Stimme seiner 'Schwester' Eileen Hulse (Flora) zurücksteht. Nadine Secunde und Philip Langridge verbreiten als Geisterpaar je nachdem betörenden oder diabolischen Schrecken.
Eine lohnende Ausgrabung.



Georg Henkel

Besetzung

Felicity Lott (Gouvernante)
Phyllis Cannan (Mrs. Grose)
Sam Pay (Miles)
Eileen Hulse (Flora)
Nadine Secunde (Miss Jessel)
Philip Langridge (Prolog / Quint)

Aldeburgh Festival Ensemble

Ltg. Steuart Bedford
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