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Reviews

Witt

Bayreuth 3


Info

Musikrichtung: Neue Deutsche Härte

VÖ: 10.02.2006

(Primadonna / Edel)

Auf die Vergangenheit von Joachim Witt brauche ich, denke ich, nicht weiter einzugehen. Als er 1998 mit der Single “Die Flut“ und dem zugehörigen Album Bayreuth 1 wie die Phönix aus der Asche auf den Olymp der damals noch aussagefähigen deutschen Charts stürmt, ist dies ebenso überraschend wie erfrischend. Auf diesem Werk setzt er neue Maßstäbe für die deutsche Musik, ähnlich wie am Anfang seiner Solokarriere. Textlich hatte er sich kaum verändert, dunkle, manchmal leicht verstörende deutsche Prosa die den Wahnsinn der Menschheit in all Ihren Facetten anprangert. In diesem Falle war es meist elektronisch umgesetzt und die darüber gelegten Gitarren prägten den Stil „Neue Deutsche Härte“. Wie immer polarisierte Witt, nun warf man ihm einen Hang zum Rechtsradikalismus vor, begründet durch den Bezug auf Bayreuth und einigen anderen Aussagen, was aber ziemlicher Quatsch ist, denn Witt positioniert sich deutlich politisch, aber auf der anderen, nämlich linken Seite. Dies unterstreicht er auch auf Bayreuth 2, auf dem er mit einigen Musikern von Silly zusammenarbeitet und einen Silly Song covert, und die Musiker sind noch heute fest im Musikerzyklus des Witt verankert. Dieses Zweite Werk fiel musikalisch wie textlich eine Spur weicher und akustischer aus, aber in vielerlei Ohren auch qualitativ ab, was sich auch in den Verkaufszahlen widerspiegelte. Es folgten zwei weitere, nicht in der Werkreihe Bayreuth eingegliederte Alben, Eisenherz und Pop, beide bekamen eher schlechte Kritiken, ich selbst kenne sie nicht.

Nun folgt dann also Bayreuth 3. Und es geht wieder munterer zu. Nach einem klassisch anmutenden Intro knallt “Aaah!“ gleich kräftig los. Strammer Beat, ein harter Schlagzeugsound, kräftige, dunkle Gitarren und Keyboardsounds, dazu die tiefe, manische Stimme, ein Witt-Klassiker. Auch in “Menschen“ dominieren die schweren, metallischen Gitarren, auch wenn die Zwischenpassagen etwas ruhiger mit Keyboardsounds daher kommen, ein Waverocker der dunklen, harten Sorte. Die Single “Wem gehört das Sternenlicht“ ist dann eine Ballade, dunkle Gitarrenläufe, schwerer Bass, tief brummende Gitarren, dazu die verloren klingende Stimme Witts im Kontrast zur weiblichen Stimme im Refrain, ein toller Song und sicher gut als Single gewählt. “Schmutz“ beginnt mit an Kraftwerk gemahnender Rhythmik, die sich jedoch schnell in einen hektischen Rocksong mit Witt Sprechgesang verwandelt. Hier trifft der ganz frühe Witt auf den aktuellen. Das sich anschließende “Wo versteckt sich Gott?“ ist ähnlich gelagert, jedoch eine Spur langsamer und dafür hymnischer, insbesondere durch die Streichersounds im Refrain. Danach kommt ein weiteres, eigentlich logisches und längst fälliges Duett. Diesmal hat sich Joachim Witt mit Tilo Wolff von Lacrimosa zusammengetan. Und das passt auch sehr gut, wenn auch “Abendrot“ eher wie ein Lacrimosa Stück daher kommt, als dass es ein Witt Song zu sein scheint.

“Neuland“ beginnt elektronisch und bekommt dann fast Tekkno Beats. Darüber mächtige Orchesterklänge aus der Synthese, ein dunkles, mächtiges Stück Musik. Darauf setzt dann mit “Hundert Leiber“ ein typischer Witt Popsong ein, mit großer Melodie, schönen Spinettklängen und diesmal zurückgenommenen Gitarrenwänden. Es folgen noch sechs weitere Stücke, die sich munter in den unterschiedlichen Lagen des bisher Beschriebenen bewegen, allerdings sind in der zweiten Hälfte des Albums die schweren Gitarren doch etwas weiter zurück gefahren, was auch als positiv zu werten ist. Auffällig sind das im Duett mit seiner Partnerin Nadja Marie Saeger gesungene “Die Macht“, das in seinen elektronischen Passagen wiederum ein Brückenschlag zu den Witt´schen Anfangstagen ist. Außerdem das elektronisch dunkle und tief bedrohlich wirkende “Tiefenrausch“. Aber es sei auch klar gesagt, auch die nicht erwähnten Titel fallen nicht großartig zum Rest ab. Somit zum Fazit: Bayreuth Drei ist ein typisches Werk des Witt der letzten Jahre. Es ist wesentlich tiefschürfender und musikalisch interessanter als Bayreuth 2 und wohl auch den letzten beiden Alben, wenn die Kritiken, die ich gelesen habe, stimmen. Bleibt zum Schluss natürlich noch die Diskussion über den textlichen Inhalt. Die schwer, und manchmal auch etwas seltsam anmutende deutsche Prosa ist natürlich nicht jedermanns Sache. Doch mit den Texten auf Bayreuth Drei positioniert sich Witt gesellschaftlich wie politisch deutlich, spricht einige Wahrheiten wie den Wahnsinn von angeblichen Glaubenskriegen oder auch die Zerstörung der Umwelt aus reinem Kommerz Gedanken mal deutlich, mal verklärter ausgedrückt an. In “Menschen“ stellt er eigentlich die komplette zivilisierte Welt in Frage. Aber er appelliert auch an den Einzelnen, nicht darauf zu warten, das andere was ändern, sondern jeder für sich selbst damit beginnt (Neuland). Auch Romantik und persönliches lässt er nicht fehlen, und mit “Der Turm (Edelweißpiraten)“ wird er sich wieder altbekannten Anfeindungen preisgegeben haben. Und deshalb ist dieser neue Witt eigentlich gar nicht so neu, denn polarisiert hat er, wie eingangs gesagt schon immer. Diese Musik, und auch diese Texte sind und werden niemals jedermanns Sache sein.

Bayreuth Drei ist ein kräftiges, rockiges Album, das gut produziert ist und Stoff zum Nachdenken bietet. Ich denke, es ist Kunst. Und Kunst tut manchmal weh!



Wolfgang Kabsch

Trackliste

1Dämmerung
2Ahhh!!!
3Menschen
4Wem gehört das Sternenlicht?
5Schmutz
6Wo versteckt sich Gott?
7Abendrot (Duett mit Tilo Wolff / Lacrimosa)
8Neuland
9Hundert Leiber
10Leben im Staub (Bonustrack der Ltd. Edition)
11Die Macht
12Tiefenrausch
13Der Turm (Bonustrack der Ltd. Edition)
14Ich spreng den Tag!
15Tief in der Tiefe
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