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...And Beyond – Live In Japan, 2017

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Info
Musikrichtung:
Progressive Metal
![]() VÖ: 08.04.2022 ![]() (InsideOut / Sony) ![]() Gesamtspielzeit: 55:18 ![]() Internet: ![]() http://www.insideoutmusic.com lostnotforgottenarchives.dreamtheater.net |

Anno 2017 jährte sich das Erscheinen von Images And Words, Dream Theaters Zweitling und zugleich kommerziellem Durchbruchsalbum, zum 25. Mal, und dieses Jubiläum lieferte den Anlaß, das Werk bei praktisch allen Gigs des besagten Jahres komplett zu spielen, so auch am 11. September 2017 im legendären Budokan in Tokio. Dieser Gig wurde gestreamt und für das japanische Fernsehen mitgeschnitten, und das Material erscheint in zwei Teilen im Rahmen der „Lost Not Forgotten Archives“-Reihe – der erste Set mit acht Songs jüngeren Datums unter dem Titel ...And Beyond – Live in Japan, 2017 und der zweite Set mit eben dem kompletten Images And Words-Material, also gleichfalls acht Songs, auf der bereits im Rahmen dieser Serie rezensierten CD Images And Words – Live in Japan, 2017. Kurioserweise wurden beide nicht etwa parallel oder wenigstens in der originalen chronologischen Reihenfolge des Sets veröffentlicht – aber im ersteren Falle hätte man auch gleich eine Doppel-CD draus machen können, und von den beiden Sets dürfte für viele potentielle oder schon überzeugte Anhänger der Images-Teil den stärkeren Anreiz gebildet haben, so dass seine „Vorausschiebung“ irgendwie auch wieder logisch erscheint, sozusagen als Testballon, dem der erste Set dann nachgereicht wurde.
Dieser erste Set besteht aus sieben Eigenkompositionen und einer Coverversion, und da der zweite tief in der Bandvergangenheit gräbt, erscheint es nicht unlogisch, hier im ersten eher die jüngeren Werke zu berücksichtigen. Mit dem Instrumental „Hell’s Kitchen“ datiert nur eine der sieben Eigenkompositionen aus dem letzten Jahrtausend, eine Rarität zudem, nämlich das Instrumental von Falling Into Infinity, das es nach dem Willen der Band eigentlich gar nicht als eigenständige Nummer hätte geben sollen – aber Produzent Kevin Shirley schnitt eine entsprechende Sektion aus dem Song „Burning My Soul“ aus und formte daraus dieses eigenständige Werk, das von der Band in der Folge live sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Die allerjüngste Vergangenheit hingegen wird mit „The Gift Of Music“ und „Our New World“ von The Astonishing berücksichtigt – selbiges Werk war das zum Zeitpunkt der Tour aktuellste Studioalbum, und so erscheint es nur natürlich, dieses mit zu promoten. Die restlichen vier Eigenkompositionen liegen zeitlich dazwischen, wobei mit „The Dark Eternal Night“ von Systematic Chaos gleich ein großer feister Brocken den Gig eröffnet – aber als Dream-Theater-Anhänger weiß man natürlich, dass man sich von der ersten Minute an auf entsprechende Herausforderungen einzustellen hat, und da ist auch so eine zerklüftete, überwiegend ziemlich harte, aber immerhin mit einem sehr eingängigen Refrain ausgestattete Nummer dort nicht fehl am Platze. Mike Mangini darf hier sogar mal kurz Blastbeats trommeln, während der ganze Schlußteil großen Bombast-Doom auffährt, dessen spaciger Charakter ein wenig durch die etwas zu hintergründig abgemischten Keyboards von Jordan Rudess leidet, aber seine Größe trotzdem deutlich durchscheinen läßt. Ein wenig zurückhaltender geht „The Bigger Picture“ vom selbstbetitelten 2013er Album zu Werke, trotz seines Titels – aber groß genug ist auch dieses Bild allemal, und nachdem James LaBrie im Opener auch gelegentlich herb shouten durfte (der namenlos bleibende Backingvokalist wirft sogar fieses Gekreisch ein), ist er hier eher im melodischeren Fach gefragt und klingt dort nicht ganz so angestrengt wie bisweilen in anderen Livesituationen der jüngeren Vergangenheit. Allerdings darf er sich dann sowieso gleich wieder erholen, denn es folgt das besagte Instrumental „Hell’s Kitchen“, mit wabernden Sounds beginnend und schrittweise immer komplexer werdend, bis sich John Petrucci an der Gitarre zu einer langen epischen Melodielinie aufschwingt und das tatsächlich auch eigenständig prima funktionierende Stück krönt. Mit „The Gift Of Music“ und „Our New World“ folgt der erwähnte Doppelpack aus The Astonishing, beide Male eher zugängliches Material – erstgenannter würde ohne die Rhythmik als reiner kerniger traditioneller Melodic Metal durchgehen, mündet dann allerdings in einem furiosen Solo, das indes etwas unmotiviert endet: Hier fehlt der Albumkontext für die volle strukturelle Wirkung. „Our New World“ scheint in Japan zum Hit geworden zu sein – jedenfalls fordert LaBrie das Auditorium zum Mitsingen auf: „You know this one“. Die Nummer ist gerade erst im Vorjahr erschienen, hat also noch keinen zeitlichen Klassikerstatus und muß demzufolge aus irgendwelchen Gründen größere Popularität im Land der aufgehenden Sonne erlangt haben – auch der abschließende Jubel fällt hier entsprechend groß aus.
Der Digipack dieser CD geizt serientypisch mit Informationen, und so muß man schon den kompletten Dream-Theater-Katalog besitzen oder aber über anderweitiges Wissen verfügen, um ergründen zu können, dass das, was jetzt in den nächsten reichlich zwei Minuten kommt, die Coverversion des ersten Sets ist: „Portrait Of Tracy“, ein Solostück für Bassist John Myung, stammt ursprünglich von Jaco Pastorius und steht auf dessen selbstbetiteltem Album aus dem Jahr 1976. Aber das Quintett setzt in diesem Teil des Konzertes nochmal auf Fremdmaterial, wenn auch nur kurz: „As I Am“ trägt bekanntlich ein paar Metallica-Parallelen mit sich herum, und hier bekennen sich Dream Theater auch offen zu diesem Einfluß, indem sie im Schlußteil nach Minute sechseinhalb kurzerhand den Einleitungsteil und die erste Strophe plus Refrain von „Enter Sandman“ einjammen, was sie durchaus nicht immer tun – in Wacken zwei Jahre zuvor etwa hatten sie darauf verzichtet. Der Set endet mit einem weiteren Epos, nämlich „Breaking All Illusions“ von A Dramatic Turn Of Events, das in seinen ersten dreieinhalb Minuten erstmal die Illusion aufbaut, es hier mit schön zugänglichem Material zu tun zu haben, auch wenn Manginis Drumarbeit hier schon den einen oder anderen Fallstrick andeutet, von denen dann im Hauptsolo viele ausgelegt werden und dem Hörer letztlich doch größere Aufmerksamkeit abverlangen – aber das verdientermaßen: Die Instrumentalisten zaubern hier und werfen sich kleine Solospots wie Bälle zu, ehe Petrucci wieder so eine große sehnsuchtsvolle Sololinie auspackt und damit abermals eine Illusion aufbaut, die in der Folge wieder auf hochkarätige Weise zerstört wird.
Noch eine weitere Illusion bricht beim Hörer: Als Zugabe nach der Komplettaufführung von Images And Words spielten Dream Theater an diesem Abend noch „A Change Of Seasons“, und zwar in voller Länge. Auf die CD mit dem zweiten Set hätte dieses Stück nicht mehr gepaßt, da diese Scheibe bereits reichlich 68 Minuten dauert. Aber der erste Set geht mit reichlich 55 Minuten durchs Ziel – Platz für die 23 von „A Change Of Seasons“ wäre also noch gewesen, falls die Band die Spielzeit der Studiofassung nicht wesentlich ausgedehnt haben sollte. Schade um eine vertane Chance – den Hörspaß der acht letztlich hier versilberten Songs beeinträchtigt dieser Faktor aber natürlich nicht, trotz erwähnter leichter Inkonsistenzen im Sound, die zur Abwechslung mal nicht den in weiteren Teilen der Serie nicht selten etwas untergebutterten Baß betreffen, denn der ist hier durchaus angemessen berücksichtigt.


Roland Ludwig

Trackliste
1 | The Dark Eternal Night | 9:30 |
2 | The Bigger Picture | 7:32 |
3 | Hell’s Kitchen | 6:12 |
4 | The Gift Of Music | 4:08 |
5 | Our New World | 4:23 |
6 | Portrait Of Tracy | 2:15 |
7 | As I Am | 8:37 |
8 | Breaking All Illusions | 12:36 |
Besetzung
John Petrucci (Git)
Jordan Rudess (Keys)
John Myung (B)
Mike Mangini (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |