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Reviews

Dream Theater

Images And Words Demos 1989 - 1991


Info

Musikrichtung: Progressive Metal

VÖ: 09.09.2022 (02/2005)

(Inside Out / Sony)

Gesamtspielzeit: 141:43

Internet:

http://www.insideoutmusic.com
lostnotforgottenarchives.dreamtheater.net

Die Jahre 1989 bis 1991 waren für Dream Theater eine hochspannende Zeit, sollte sich, wie wir rückblickend wissen, in ihnen doch das künftige Schicksal der Band entscheiden. Der erste markante Einschnitt erfolgte, als sich die vier Instrumentalisten nicht lange nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums When Dream And Day Unite entschlossen, sich von ihrem Sänger Charlie Dominici zu trennen, der, ein Jahrzehnt älter als die jungen Wilden, nicht so richtig in die Band gepaßt haben soll und mit dessen Bühnenpräsenz die Instrumentalisten ebenfalls nicht zufrieden waren. Zumindest rein gesanglich stellte seine Entlassung auf alle Fälle einen markanten Verlust dar – den ergreifenden Schlußteil von „The Killing Hand“ etwa hat nach ihm nie wieder jemand so hinbekommen.
Jedenfalls standen die vier Instrumentalisten nun vor der doppelten Aufgabe, einen neuen Sänger zu finden und zugleich im Songwriting fortzufahren, ohne sich vom fehlenden Vokalisten ausbremsen zu lassen. Zumindest letztgenanntes aber waren sie ja bereits aus der Prä-Dominici-Zeit gewöhnt, und so entstand alsbald ein größerer Haufen an Songs in Instrumentalfassungen. CD 1 der vorliegenden Doppel-CD aus der „Lost Not Forgotten Archives“-Serie hebt mit drei solchen an, allesamt Frühfassungen von Nummern, die dann letztlich auch den Weg auf Images And Words fanden, und dazu kommt als Auftakt noch „Metropolis“, das bereits zur Dominici-Zeit geschrieben und mit diesem am Mikrofon auch schon live gespielt worden war; die hiesige Demoaufnahme stammt vom Sommer 1989 und ist damit die älteste der Doppel-CD. Die Grundstrukturen oder zumindest die Grundgedanken sind schon weitgehend die gleichen wie auf dem Album, aber so manches Detail vor allem in „Take The Time“ und „Learning To Live“ fand noch Veränderung, und hier und da empfindet man es beinahe als schade, dass die Ur-Idee später ad acta gelegt wurde, etwa der schöne Grand-Piano-Sound nach Minute dreieinhalb von „Take The Time“ oder das spacige Pfeifen im gleichen Song bei Minute sechseinhalb, wobei sich der etwas entrückte Gestus auch noch in den folgenden Part hineinzieht, was dann bei späteren Aufnahmen nivelliert worden ist. Im Chaos am Ende des Songs behält interessanterweise Bassist John Myung das letzte Wort – für den Stillen unter den Instrumentalisten eher ungewöhnlich. Gelegentliche Kürzungen bzw. Anlängungen kann man auch aus den Spielzeitangaben erschließen, wenngleich mit Vorsicht – bei „Under A Glass Moon“ ist nämlich ein wenn auch kurzer Systemdialog zu Beginn erhalten geblieben, und auch ins Intro hinein ruft einer der Musiker, wohl Mike Portnoy, noch irgendwelche Anweisungen. Ansonsten könnte man diese vier Nummern bei entsprechender Kenntnis der regulären Albumfassungen zumindest phasenweise auch als Karaoke-Vorlagen einsetzen und müßte nur hauptsächlich in „Take The Time“ und „Learning To Live“ an diversen Stellen etwas genauer aufpassen, um die richtige Wendung nicht zu verpassen.
Musikgeschichtlich hochinteressant sind die folgenden vier Songs, und das teilweise gleich in mehrfachem Sinne. Reguläres Studiomaterial von Dream Theater gibt es bekanntermaßen nur mit zwei Sängern, neben Dominici noch James LaBrie. Hier aber hören wir drei andere Sänger, die sich im Laufe des Jahres 1990 bei der Band bewarben und es bis zur Stufe von Probeaufnahmen schafften. Kandidat Nr. 1 singt auf zwei Songs, deren erster dann gleich noch hochgradigen und deren zweiter zumindest gewissen Raritätenwert besitzt. „Don’t Look Past Me“ schaffte es letztlich auf keinen offiziellen Tonträger der Band und fand sich lediglich auf der streng limitierten 1999er Fanclub-Weihnachts-CD Cleaning Out The Closet (zusammen mit diversen in den Archiven verbliebenenen Demo-Songs von Falling Into Infinity), was ein wenig schade ist – mit geringfügigen Glättungen im vorderen Teil hätte das eine richtig starke Nummer werden können, die den Rush-Background relativ deutlich macht, aber genügend eigenes Kolorit aufweist und ein frenetisches Gitarrensolo von John Petrucci enthält. Ob man die Melodielinien letztlich noch anders gestaltet hätte, bleibt natürlich hypothetisch – aber rein von der Stimmfärbung her macht der hier zu hörende John Hendricks eine glänzende Figur, singt glasklar, fürchtet sich auch nicht vor größeren Höhenlagen, auch wenn er zumeist in angenehm halbhohen Lagen bleibt, und erinnert den Rezensenten an jemanden, der ihm noch nicht eingefallen ist. Das auch noch zu Dominici-Zeiten geschriebene und folgerichtig auf When Dream And Day Reunite live dargebotene „To Live Forever“, als Halbballade beginnend und nach hinten raus härter, schaffte es letztlich auch nicht auf Images And Words, wurde aber später zumindest noch zur Single-B-Seite von „Lie“. In der Frühfassung deutet Hendricks mal ganz kurz an, dass er es auch ein bißchen angerauhter könnte, bleibt aber ansonsten bei dem Stil, den er schon in „Don’t Look Past Me“ gepflegt hat.
„To Live Forever“ diente dann in identischer instrumentaler Form auch gleich als Backing-Track für den nächsten Sangeskandidaten, nämlich Steve Stone. Höhe ist auch für ihn kein Problem (zumindest nicht im Studio – er schied letztlich aus, weil er bei seinem ersten Gig mit der Band am 9.6.1990 total überperformte und schon nach einem halben Song keinen vernünftigen Ton mehr herausbrachte), aber seine Stimme besitzt eine latente Grundrauhigkeit, die ihr eine völlig andere Färbung verleiht. In den tiefen Passagen ist sie zu weit in den Hintergrund gemischt, um ihre Stärken dort richtig beurteilen zu können, aber ansonsten fallen einige Parallelen zu Bernhard Weiß (Axxis) ins Ohr, wenn der nicht gerade die allerhöchsten Lagen aufsucht.
Den letzten Song darf Chris Cintron besingen – aber was für einen! Wir haben hier die früheste offiziell erhältliche Fassung von „A Change Of Seasons“ vor uns (falls es nicht irgendwo eine noch ältere instrumentale Version geben sollte – eine Instrumentalfassung aus der gleichen Session, die auch die eingangs gehörte Fassung von „Metropolis“ ergeben hatte, existiert zwar tatsächlich, aber die liegt in identischer Form auch als Backingtrack hinter Cintrons Gesang, und mit Dominici hat die Band laut Portnoy an diesem Song nie gearbeitet, so dass also keine ältere Vokalfassung vorhanden sein dürfte), noch mit einigen markanten Unterschieden in der Struktur etwa gleich in der ersten Minute, aber auch schon mit vielen Passagen, die auch gesanglich der 1995 veröffentlichten Fassung entsprechen, etwa der Teil ab „I always remember that day in November“, so dass entweder LaBrie die Linien von Cintron übernommen oder aber selbständig die gleichen Lösungen gefunden hat. Cintron seinerseits singt gleichfalls glasklar, aber mit etwas anderer Farbe als Hendricks, und ganz oben neigt er zu leicht rauherer Artikulation. Dass er in der in der Endfassung bei Minute 12 liegenden Stelle, in der man bombastisch zur Habacht—Stellung gezwungen wird, singt, ist später zum Glück zugunsten eines Instrumentalparts revidiert worden (in der 1993er NYC-Livefassung ist immer noch die alte Idee zu hören) und wirkt in der Albumfassung viel eindringlicher als hier – aber das ist eine der wenigen Stellen, wo man in der Frühfassung wirklich nicht überzeugt ist, und zwischen Minute sieben und siebeneinhalb der Frühfassung findet man mal wieder so spacige Anwandlungen, die man durchaus auch in der regulären Fassung noch hätte goutieren können, ebenso wie die klassischen Anwandlungen ab Minute dreizehneinhalb. Das geht freilich als Jammern auf hohem Niveau durch – nahezu jede andere Progband hätte die hier vorliegenden siebzehneinhalb Minuten ohne viel Nachdenken 1:1 übernommen und damit ein Highlight sondersgleichen auf ihr Album gepackt, aber wir reden hier vom Anspruch von Dream Theater, und da satteln die dreiundzwanzigeinhalb Minuten der Endfassung dann halt noch ein paar gute Einfälle drauf und überkompensieren damit die kleinen Streichungen. Und Musikhistorie ist das hier zu Hörende wie erwähnt gleich im doppelten Sinne.

Letztlich bekam keiner der drei auf CD 1 zu hörenden Vokalisten den Job am Mikrofon der Band, sondern der Kanadier Kevin James LaBrie, der, da es in Gestalt des Keyboarders schon einen Kevin in der Formation gab, fortan unter seinem zweiten Vornamen firmierte. Mit diesem entstanden nun weitere Demoaufnahmen, u.a. ein im Mai 1991 eingespielter Drei-Tracker, mit dem CD 2 eröffnet und der der Band einen Deal bei Atco einbrachte. Die Soundqualität sattelt dem bisher gutklassigen Gehörten zwei Schippen drauf und ist quasi albumreif, und zwei der drei Songs schafften den Sprung auf Images And Words letztlich auch, nur „To Live Forever“ tat das bekanntermaßen nicht. Gut, wer das Talent der Band anhand dieser drei Songs nicht erkannt hätte, der hätte dringend einen Termin mit seinem Ohrenarzt vereinbaren müssen (oder besitzt generell keinen Zugang zum anspruchsvollen Metal) – aber zwischen dem Erkennen von Talent und der Realisation desselben in Gestalt von (Album-)Aufnahmen bestand auch bzw. gerade in den frühen Neunzigern nicht selten noch eine breite Kluft, die Dream Theater aber zu überbrücken in der Lage waren. Der Rest, wie man so schön sagt, ist dann Geschichte, auch wenn im hier dokumentierten Stadium noch niemand damit gerechnet haben dürfte, dass der spätere Albumopener „Pull Me Under“ sich zu einem Hit entwickeln würde, der sich in der Zukunft gleichermaßen als Fluch wie als Segen für die Band entpuppte.
Die folgenden sechs Tracks bilden die nächste Zwischenstufe ab – es handelt sich um im Oktober 1991 entstandene Pre-Production-Demos für das Album, und zwar stehen sie hier schon in der Reihenfolge wie dann auch auf Images And Words. Zu „Metropolis“ und „Take The Time“ wurden nicht nochmal solche Demos angefertigt (von denen gab es als Basis für die Produktion ja schon die Atco-Demofassungen), wohl aber eins zu „A Change Of Seasons“, das allerdings spielzeitseitig nicht mehr auf die vorliegende Demo-Sammlungs-CD paßte und hoffentlich mal noch anderweitig ausgegraben wird. Jedenfalls machen die sechs hier zu hörenden Songs (gegenüber den Atco-Demos soundlich wieder ein wenig abfallend, allerdings auch nur auf zwei Spuren aufgenommen und hernach noch mit dem Gesang overdubbed) deutlich, wie die Struktur bereits festgelegt ist, aber die konkrete Ausgestaltung bei den finalen Aufnahmen noch weiter verfeinert wird. Das betrifft nicht nur Elemente wie das in der Demofassung noch fehlende Gastsaxophon in „Another Day“, sondern auch Feinheiten etwa in der Instrumentenbalance, wenn beispielsweise die Beckenarbeit Mike Portnoys unter dem Refrain von „Pull Me Under“ später deutlich heruntergefahren wird, aber auch im Gesamtausdruck, wenn etwa der finale Charakter von „Another Day“ ruhiger und entspannter ausfällt als in der hier und da etwas nervöser wirkenden Demoversion. „Pull Me Under“ gibt es im Finale hier übrigens in einer Art Mischfassung, die zunächst ausgeblendet wird, in der Ausblendung aber dann den bekannten abrupten Schluß durchhören läßt. Auch das Intro von „Surrounded“ hat Produzent David Prater in der Finalversion noch ein wenig geglättet und tat gut daran, was auch immer die Band im nachhinein über die Zusammenarbeit berichtet. Gleiches gilt für die Klavier-Einleitung von „Wait For Sleep“, die hier noch etwas mehr metallische Schärfe besitzt und die Moore in der Albumfassung einen Tick perlender und damit ergreifender spielte. Das sind allerdings wieder einmal Nuancen, die in der hier gegebenen Konstellation ein Meisterwerk noch einmal verbessern, während sich nahezu alle anderen Bands schon nach der Urfassung der Meisterwerke die Finger lecken würden.
Der letzte Track von CD 2 ist in der Tracklist gleichfalls als Pre-Production-Demo ausgewiesen und heißt „Oliver’s Twist“. Wer darunter aber einen weiteren bisher unbekannten Song zu finden hofft, der irrt: „Oliver’s Twist“ war der Arbeitstitel für „Pull Me Under“, und so versteckt sich hier nur eine etwas ältere instrumentale Demoversion, deren Zuordnung zu den Pre-Production-Demos etwas irritiert und die u.a. noch einen klassikbeeinflußten Teil enthält, der aber in der finalen Ausarbeitung gestrichen und statt dessen Jahre später in „Erotomania“ inkludiert worden ist. Hinter dem Namen Oliver verbirgt sich übrigens Derek Oliver, seines Zeichens A&R bei Atco und damit derjenige, der maßgeblich für den Plattendeal verantwortlich war – aber auch derjenige, auf dessen Geheiß hin „A Change Of Seasons“ letztlich nicht auf Images And Words inkludiert werden durfte. Details hierzu kann man im Booklet der 2005er Erstveröffentlichung (in deren Tracklist „Oliver’s Twist“ übrigens gar nicht auftaucht – möglicherweise war das ein Hidden Track) dieser Doppel-CD nachlesen – der hier vorliegende Re-Release im Digipack enthält zwar unter den Cleartrays einige historische Bandfotos und nennt wenigstens die Namen der Sangeskandidaten von CD 1, geizt aber ansonsten wie die komplette Re-Release-Reihe mit Detailinformationen. Musikalisch beeinträchtigt dieser Umstand den Wert dieser Aufnahmen natürlich nicht, auch wenn man vermutlich hier langfristig zu einer Doppelstrategie greifen wird, nämlich von dieser Doppel-CD den ersten Silberling und danach aber die reguläre Images And Words-CD zu hören.



Roland Ludwig

Trackliste

CD 1
1. Metropolis (09:27)
2. Take The Time (09:22)
3. Learning To Live (11:09)
4. Under A Glass Moon (07:25)
5. Don’t Look Past Me (06:25)
6. To Live Forever (04:46)
7. To Live Forever (04:44)
8. A Change Of Seasons (17:35)

CD 2
1. Metropolis (09:16)
2. To Live Forever (09:16)
3. Take The Time (07:58)
4. Pull Me Under (07:38)
5. Another Day (04:27)
6. Surrounded (05:42)
7. Under A Glass Moon (07:12)
8. Wait For Sleep (02:39)
9. Learning To Live (12:08)
10. Oliver’s Twist (09:43)

Besetzung

John Hendricks (Voc, CD 1, 5+6)
Steve Stone (Voc, CD 1, 7)
Chris Cintron (Voc, CD 1, 8)
James LaBrie (Voc, CD 2)
John Petrucci (Git)
Kevin Moore (Keys)
John Myung (B)
Mike Portnoy (Dr)
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