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Reviews

Sacrati, F. (Alacrón, L. G.)

La Finta Pazza


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 03.06.2022

(CVS / Note 1 / 3 CD / DDD / 2020 / Best. Nr. CVS070)

Gesamtspielzeit: 148:18

BAROCKWAHNSINN

Besser kann man’s nicht machen! Unter der beflügelnden Leitung von Leonardo García Alarcón erwecken die barockbunt besetzte Capella Mediterranea und ein Sänger:innen-Ensemble mit famosen Charakter-Stimmen Francesco Sacratis einzig erhaltene Oper „La Finta Pazza“ zum prallen Leben. Das 1641 mit großem Erfolg in Venedig uraufgeführte Werk war der erste Hit der Operngeschichte und wurde vier Jahr später sogar vor der französischen Regentin und dem damals siebenjährigen Sohn, dem zukünftigen Ludwig XIV., gegeben. Die dafür stark überarbeitete Fassung hat sich allerdings nicht erhalten; das Ensemble musiziert nach einem vollständig erhaltenen Manuskript eine nach 1641 entstandene italienische Tournee-Fassung, mit der die venezianische Truppe damals auf Reisen ging.

Sacrati und sein Librettist Guido Strozzi erweisen sich dabei ganz auf der Höhe der damaligen Opernkunst. Das hübsch verschwurbelte Libretto mit seinem Mix aus Mythos, Anekdote, Tragödie und Komödie kennt kein Pardon, macht sich über Götter und Helden gleichermaßen lustig, parodiert Geschlechterrollen und soziale Hierarchien: Um ihn vor dem Trojanischen Krieg zu bewahren, hat Thetis hat ihren halbgöttlichen Sohn Achill am Hof von König Lykomedes versteckt, wo er sich als Frau verkleidet unter die Prinzessinnen gemischt hat. Trotz der etwas genderfluiden Situation verliebt er sich in dessen Tochter Deidamia, und, uups, man hat bereits einen gemeinsamen Sohn, Pyrrhus. Auf der Suche nach dem großen Krieger kommt ein anderer Bekannter, der berühmte Odysseus, an den Hof, entdeckt Achill und weckt in ihm alte Kampfeslust: Auf nach Troja! Doch Götterstreit und dunkle Vorzeichen deuten auf den Tod des Achill in der Schlacht. Die listige Deidamia spielt die Wahnsinnige (die fingierte "Pazza" aus dem Titel), um ihre Geliebten aufzuhalten. Bis zum glücklichen Hochzeits-Finale sorgen ein eitler Capitan, eine burschikose Amme und ein hysterischer Eunuch für weitere Komik …
Sacrati hat diese Vorlage in überwiegend rezitativisch-ariose Musik gefasst, in die strophische Arien, Monologe und Mini-Ensembles eingeflochten sind. Man kennt dies auch so von Monteverdi und Cavalli, mit denen Sacrati wohl zusammengearbeitet hat. Das berühmte nachkomponierte Duo „Pur ti mio“ aus Monteverdis „Poppea“ könnte von ihm stammen – tatsächlich klingt ein Trio in der 5. Szene des 1. Aktes von „La Finta Pazza“ wie eine Variation des berühmten Stücks.

Was diese Interpretation auszeichnet, ist die Fähigkeit der Musiker:innen, die kürzeren oder auch längeren Szenen in einer geradezu durchkomponierten Manier zu präsentieren. Der musikalische Fluss kommt nie zum Stocken, das Werk zerfällt in keinem Moment in „trockene“ Rezitative und „Einlagen“. Musiktheater im wahrsten Sinne. Das heißt aber auch, dass die akustischen Reize sich meist nur für kurze Augenblicke entfalten, größere Architekturen ergeben sich so nicht. Die Einfälle folgen aufeinander, wie es das Libretto erfordert.
Dass man dies trotzdem durchweg genießen kann, daran hat nicht zuletzt das farbelhafte Begleitentsemble einen wesentlichen Anteil. Eine Handvoll Melodieinstrumenten und eine große Continuo-Gruppe breiten einen farbenreichen und fast schon orchestralen Teppich aus. Da sitzt jede kleine Geste, hat jedes Intervall und jeder Klangfarbenwechsel seine dramatische Bedeutung, die Rhythmen pulsen mit unwiderstehlichem Groove.
Auf diesem Grund bewegen sich die hervorragenden Sänger:innen mit markanter, charaktervoller Tongebung und hauchen ihren Figuren ein überzeugendes musikalisches Leben ein. Stimmlich geht man aufs Ganze, allen voran die feurige Deidamia der Mariana Flores und der countertenoral heldische Achill des Paul-Antoine Bénos-Dijan. Noch die Nebenrollen der Amme und des Eunuchen sind mit dem unvergleichlichen Marcel Beekman und dem mit farbenreichen Registern gesegneten Counter Kacper Szel??ek perfekt besetzt.

Das macht einfach viel Spaß. So vergehen die durchaus textlastigen zweieinhalb Stunden, die praktisch ohne umfangreichere instrumentale Einlagen, Tänze oder Chöre auskommen müssen, wie im Fluge.



Georg Henkel

Besetzung

Alejandro Meerapfel; Carlo Vistoli; Mariana Flores; Marcel Beekman, Paul-Antoine Benos-Dijan, Carlo Vistoli, Fiona McGown, Anna Piroli u.a.

Cappella Mediterranea

Leonardo Garcia Alarcon, Leitung
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