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Reviews

Rameau, J.-Ph. (Christie, W.)

Platée


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 29.10.2021

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD DDD / live 2020 / Best. Nr. HAF 8905349)

Gesamtspielzeit: 134:00

STYLE PLATÉEIQUE!

Wie Marcel Beekman die Rolle der Platée in Jean-Philippe Rameaus gleichnamiger komischer Oper interpretiert, ja mit jeder Faser verkörpert, ist eine Klasse für sich. Mit seinem hohen Tenor kreiert er dafür eine ganz eigene Manier des Singens, den man als ‚Style Platéeique‘ bezeichnen könnte: ein französischer Kaugummi-Belcanto mit vokalen Bubbles und Wobbles, Knautschungen, Quäkern und Quietschern – es klingt großartig, großartig komisch! Die Vulgarität der Figur, von Rameau genau kalkuliert, wird darin zur reinsten Kunst erhoben.
Diese Platée, plump und distanzlos, strotzt vor Vitalität und Selbstbewusstsein. Bis zum bitteren Ende sitzt sie der Illusion auf, das ausgerechnet sie, die hässlichste der Sumpfnymphen, vom höchsten der Götter, von Jupiter höchstpersönlich, zur Geliebten auserkoren wurde, Hochzeit inklusive. Das Erwachen ist natürlich ein böses, gemeines: Platée wird zum Gespött der oplympischen Hofgesellschaft und verbleibt am Ende einsam und tiefbeschämt auf der Bühne. Dieser Spaß hat eine grausam-giftige Füllung.

Rameau hat das 1745 uraufgeführte Werk auch musikalisch als Kippbild angelegt: Schon die aufgekratzte Ouvertüre mündet in ein eigentümlich gebrochenes Tragödienfinale. Und immer wieder blitzt in dieser durchgeknallten Oper zwischen all den Gags etwas Trauriges auf, manchmal nur in einer eigentümlichen harmonischen Wendung, dann wieder in einem seltsam melancholischen Tanz oder ergreifendem Ensemble mit Chor – das bringen William Christie und seine Arts Florissants in ihrer quicklebendigen Einspielung immer wieder eindringlich zu Gehör. Da sitzt jede Geste, jeder Schnörkel, vor allem aber das Timing, das bei diesem tanzwütigen Werk heikel ist. Doch das Ensemble hält die Spannung auch da, wo das Tempo ganz bewusst zurückgenommen wird.

Harmonia Mundi veröffentlicht jetzt auf zwei CDs die Tonspur der kürzlich erschienenen DVD des Wiener Aufführungs-Mittschnittes (coronabedingt ohne Publikum), bei der Robert Carsens kongeniale Regie diese Doppelbödigkeit noch um die visuelle Dimension ergänzt. Von daher gibt es hier einige akustische Effekte, die ihren witzigen Hintersinn erst in der Video-Version enthüllen (Jupiter als Karl-Lagerfeld-Avatar knippst z. B. munter drauflos, sobald er Platée vor der Linse hat). Doch die CD-Ausstattung mit einem umfangreichen Booklet inklusive Libretto und zahlreichen Szenenfotos kompensiert das ein wenig. Man ist sozusagen immer „im Bild“ und genießt das „Hörspiel“.

Das hält auch sonst, was die übrige Besetzungsliste verspricht: Langjährige Christie-Sänger:innen wie Cyril Auvity, Marc Mauillon oder Emmanuelle de Negri übertrumpfen sich mit sing-schauspielerischem Talent gleich in mehreren Neben-Rollen. Janinie De Bique legt die Narrheit flippig, aber ohne überzogene vokale Grimassen an. Edwin Crossley-Mercers schnöseliger Jupiter verströmt jovialen Balsam, Emilie Renard gibt als Juno die eifersüchtige Zicke. Mit dem Arnold Schoenberg Chor und seinem hauseigenen Orchester ist William Christie eine weitere Rameau-Aufnahme gelungen, die Maßstäbe setzt.



Georg Henkel

Besetzung

Marcel Beekman, Jeanine de Bique, Cyril Auvity, Marc Mauillon, Edwin Crossley-Mercer, Emmanuelle de Negri, Emilie Renard u. a.

Arnold Schoenberg Chor

Les Arts Florissants

William Christie, Leitung
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