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Reviews

Rameau, J. Ph. (Kossenko, A.)

Achante et Cephise


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 05.11.2021

(Erato / Warner / CD DDD / 2020 / Best. Nr. Erato 0190296693946)

Gesamtspielzeit: 130:25

VIVE RAMEAU!

Gelegenheit macht … schöne Kunst! Und großes Vergnügen! Zumindest bei dieser Oper von Jean-Philippe Rameau, die aktuell eine der letzten Repertoire-Lücken bei diesem Komponisten schließt. Damit dürfte das Bühnenschaffen des Franzosen sowohl in den großen wie den kleineren Werken auf CD verfügbar sein, einiges davon auch mehrfach.
Dieses Werk, obschon seit 20 Jahren in einer kritischen Ausgabe vorliegend, hat freilich besonders lange gebraucht, um wieder zu Gehör gebracht zu werden. Das mag daran liegen, dass „Achante et Cephise“ 1751 zur Geburt des lange ersehnten (und mit neun Jahren wieder verstorbenen) Bourbonen-Thronfolgers Louis Ferdinand komponiert wurde und das anlassgebende Ereignis im Libretto von Autor Jean-François Marmontel als dramaturgischer Fluchtpunkt konstruiert wurde: Die Liebe der beiden pastoralen Hauptfiguren, die durch einen eifersüchtigen Windgeist bedroht und von einer guten Fee beschützt werden, findet ihre rettende Erfüllung in dem Moment, wo in der Oper die Geburt eines neuen Ludwigs verkündet wird! Triumph, Triumph! Es lebe das Geschlecht der Könige von Frankreich! Rameau hat sich bei der Komposition des Schlusschores nicht lumpen lassen; er setzt das ganze große Orchester ein, dem es mit Pauken, Trompeten, Klarinetten und Hörnern an nichts mangelt, um den dynastischen Jubel in rauschendem Überschwang zu zelebrieren. Royale Propagandamusik? Ja und nein. Denn Rameau ist auch in solchen Moment einfach zu gut, um nur Schablonen zu bedienen. Wenn es bei ihm pompös zugeht, dann immer auch mit einem gewissen Augenzwinkern, wie die keck dreinschnatternden Klarinetten beweisen.
Letztere waren ein für Frankreich seinerzeit ein noch recht neues Instrument, das Rameau begeistert aufgriff, um neue Orchesterfarben zu etablieren. Zusammen mit den ebenfalls vielgeforderten Hörnern sorgen sie im Jagd-Divertissement des 2. Akten für erstaunliche Kolorierungen. Man hört eine Harmoniemusik à la Rameau, denen gewiss auch Mozart seine Anerkennung nicht verweigert hätte.

Auch sonst wartet die Partitur mit zum Teil spektakulären Einfällen auf. Bereits in der Ouvertüre brennt der Komponist im wahrsten Sinne ein musikalisches Freudenfeuerwerk ab, arbeitet mit einer Art Klangfarben-Kontrapunkt, um zischende Raketen, Böllerschüsse und feuersprühende Bouquets zu suggerieren, aber dies nie rein illustrativ, sondern auch formal überzeugend. Reinste Avantgarde - kaum zu glauben, dass dies immer noch Musik des Spätbarocks ist!

Dass Achante und Cephise von einem bösen Genius bedroht werden, ermöglichte es Rameau, die Hirtenidylle mit tragisch-dramatischen Tönen zu kontrastieren. Oroès, wie der finstere Geist mit Namen heißt, erweist sich hier als kleiner Verwandter des Inka-Hohepriesters Huascar aus "Les Indes Galantes", eines der großen tragischen Porträts Rameaus. Wie dieser neidet der besessene Oroès den Liebenden ihr Glück, droht, manipuliert und rast mit seinem Gefolge. Rameau hat daraus vor allem im 3. Akt dichte Mixturen aus Ariosi, Chören und Orchestereinlagen komponiert, die sein musikdramatisches Talent zeigen.
Das hat Tempo, Attacke und Grandeur, selbst da, wo am Ende die Rokoko-Schönheiten obsiegen müssen, wie es sich gehörte. Dass die gute Fee Zirphile am Ende mit Gegenzauber und Blitz die Ketten des Verhängnisses sprengt, mag weder psychologisch noch dramaturgisch überzeugen. Doch diese Konventionen haben Rameau nicht davon abgehalten, originelle Musik zu schreiben (nicht ohne darauf zu verzichten, eingängige Motive aus früheren Werken hier und da einzuflechten und zu variieren).

Der Erfolg dieser Produktion, die durch die Corona-Pandemie als Konzertereignis mehrmals verschoben werden musste, bevor sie kurzerhand für das digitale Medium aufgenommen wurde, verdankt sich freilich auch ganz wesentlich dem hingebungsvollen Einsatz sämtlicher Beteiligter.
Dirigent Alexis Kossenko, Leiter der hier versammelten Ensembles „Les Ambassadeurs“ und „La Grande Ecurie“ sowie des von Oliver Schneebeli vorbereiteten Chores „La Chantres du Centre de musique baroque de Versailles“, hat versucht, den ursprünglichen Besetzungsstärken so nahe wie möglich zu kommen. Und die waren beachtlich. Allein neun Celli und ein Kontrabass tragen in dieser Aufnahme die Bassstimme. Neben den übrigen reichlichen Streichern je vierfaches Holz, dazu zwei Hörner & Trompeten plus Schlagzeug. Drei Paare historischer Klarinetten in unterschiedlicher Stimmung wurden eigens nachgebaut.
Die Freude an der Wiederentdeckung hat offenbar alle Beteiligten beflügelt: Die Oper wirkt wie aus einem Guss, es hängt nicht durch, selbst die ausladenden Tanz-Szenen habe einen unwiderstehlichen Schwung und bezaubern durch ihre immer neuen Einfälle.

Erstklassig ist auch das Solist:innen-Ensemble mit Sabine Devieilhe, Cyrille Dubois, Judith van Wanroij und David Witczak in den Hauptrollen. Sie tragen dem im unterhaltsamsten Sinne histrionischen Ansatz der Musik, die Pathos und Geziertheit in einer ganz eigenen Manier zusammenbringt. Selbst da, wo man über die stereotypen und infantilen Wendungen des Librettos schmunzeln könnte, sorgt die vollblütige Darstellung für den nötigen Thrill und Emotionalität.
Schwärmerisch klingen die Liebesschwüre der Protagonisten; die Timbres von Devieilhe, deren Stimme weiter an Körper und Farbigkeit gewonnen hat, und der passionierte, leuchtende hohe Tenor von Dubois verbinden sich glänzend in den vielen Duetten. Judith van Wanroijs Zirphilie verströmt Eleganz und Autorität, während der attraktiv düstere Oroès von David Witczak bei aller ausgesungenem Aggressivität zugleich auch ein wenig Mitgefühl ob seiner vergeblichen Liebesmühen weckt. Diverse Nebenrollen sind ebenfalls gut besetzt, einzig Artavazd Sargsyan kämpft als einer der beiden Koryphäen etwas mit den manchmal expansiven Höhen seiner Tenorpartie.

Dass das Ganze in einer Kirche aufgezeichnet wurde, ist wegen der Akustik durchaus ein Wagnis, da Rameau ein Meister feiner Nuancen ist. Doch die Bigger-than-Life-Resonanz des Klangraumes unterstreicht trotz gelegentlich überschäumender Obertöne den spektakulösen Charakter des Ganzen.

Vive Rameau? Angesichts dieser prächtigen Produktion kann daran kein Zweifel bestehen!



Georg Henkel

Besetzung

Sabine Devieilhe, Cyrille Dubois, Judith van Wanroij, Daid Witczak u. a.

Les Ambassadeurs & La Grande Ecurie

Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles

Alexis Kossenko, Leitung

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