····· Verlosung: Drei Mal zwei Tickets zur Record Release Party der Leipziger Metaller Factory of Art ····· Kurz nach seinem 80sten Geburtstag ist Maschine erneut auf #4 ····· Osterei - Luxus-Haydn auf Vinyl ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Reviews

Bach, J.S. (Gardiner)

Kantaten Vol. 24


Info

Musikrichtung: Barock

VÖ: 20.06.2005

Soli Deo Gloria / Harmonia Mundi (2 CD (AD: 2000, live) / Best.nr. SDG 107)

Gesamtspielzeit: 128:13

Internet:

Soli Deo Gloria

MUSIKALISCHE PREDIGT

Die Deutsche Grammophon (sprich: Universal) wird sich möglicherweise noch ärgern über ihre Entscheidung, John Eliot Gardiner vor die Tür zu setzen und ihn auch gleich noch die Masterbänder von den Aufnahmen der "Bach Cantata Pigrimage" mitnehmen zu lassen. Bei jenem Projekt im Jahre 2000 reiste Sir John mit seinem Team rund um den Globus, um in einem Jahr sämtliche Bach-Kantaten zur Aufführung zu bringen. Die Aufführungen (und sicherheitshalber auch die Generalproben) wurden jeweils mitgeschnitten. Nach den ersten Veröffentlichungen verließ die Deutsche Grammophon aber der Mut, zumal mit den Kantatenzyklen unter Koopman (Challenge) und Suzuki (BIS) starke Konkurrenz im Rennen ist. Gardiner veröffentlicht seitdem die CDs sukzessive in anderer (schmucker, wenn auch nicht unbedingt leicht zu handhabender) Aufmachung unter seinem neu gegründeten, eigenen Label "Soli Deo Gloria". Für Deutschland konnte er dabei Harmonia Mundi als Vertriebspartner gewinnen.

Es ist ein Glücksfall, dass auf diese Weise jene Dokumente doch noch zugänglich gemacht werden. Gardiner selbst sah die Mitschnitte eher als "Abfallprodukt" der musikalischen Pilgerreise an. Vielleicht ist seine Annährung gerade deshalb zu einer der überzeugendsten auf dem Gebiet der zahlreichen Bach-Kantateneinspielungen geworden.
Die Interpretationen stützen sich vor allem auf einen textausdeutenden und dramatischen Ansatz. Dabei hat Gardiners Zugriff aber nicht mehr die aggressive Ruppigkeit früherer Jahre, mögen ihm auch die Choralsätze bisweilen etwas zügig geraten. Unverändert ist hingegen sein Bekenntnis zur subjektiven Deutung von Text und Musik, zur Betonung der existentiellen Botschaft dieser Werke. Insofern begegnet man hier keiner pietistischen Frömmelei, sondern jederzeit echten menschlichen Empfindungen. Dass Bachs Tonsprache dabei manchmal, wie seine Zeitgenossen durchaus bemängelten, geradezu opernhafte Züge annimmt und seine Instrumentalsätze und -begleitung nicht weniger ambitioniert ist, als in seinen Orchesterwerken, tritt in diesen Einspielungen deutlicher als sonst zutage.

Über Gardiners Ausdeutungen des textlichen, theologischen Gehalts der jeweiligen Kantaten mag man sich trefflich streiten. Wenn man ihm aber vorwirft, nicht immer auf die Einhaltung des Stimmtones zu achten, den Chor zu dick zu besetzen oder die Textverständlichkeit zu vernachlässigen, so nehmen sich diese Vorwürfe arg philisterhaft aus. In diesem Punkt nämlich ist die historische Aufführungspraxis an ihre Grenzen gekommen: man nähert sich dem musikalischen und textlichen Sinngehalt nicht zwingend an, wenn man nur auf (vermeintliche) Authentizität in diesem Sinne schielt.
Der Geist jener Werke erschließt sich oftmals eher, wenn man Bachs Musik auch einmal die Freiheit läßt, zu tanzen, zu poltern, zu stürmen oder zu flüstern. Man höre sich bei dieser CD nur den jeweiligen instrumentalen und chorischen Einstieg der Kantaten BWV 12 und 146 an. In erschütternd eindringlicher Weise wird hier die irdische Not des Menschen dargestellt, ganz ungeschönt und unverblümt. Umso nachhaltiger ist dann die Kontrastwirkung etwa der Arien "Ich will nach dem Himmel zu" oder "Wie will ich mich freuen" (beide BWV 146).

Gardiner predigt nicht ÜBER Bach, sondern er predigt im besten Sinne höchst spannend MIT Bach und so steht auf einmal etwas im Mittelpunkt, das mehr ist, als nur Musik.
Dieser jedoch läßt Gardiner dabei alle Sorgfalt angedeihen. Er denkt sich ganz hinein in jeden Satz und bemüht sich auch um die kleinsten Details. Die Phrasierung und die Wahl der Tempi sind fast immer schlüssig. Natürlich geht bei so einer Live-Aufnahme und einem solchen Mammutprojekt auch mal (höchst selten) ein Ton daneben und natürlich sind die Solisten nicht alle gleich gut. Die Vielzahl der Solisten macht die CDs aber untereinander in spannender Weise abwechslungsreich und einen "Ausfall" gab es unter ihnen bislang nie zu verzeichnen.
Das solide Fundment bilden stets die präzise zupackend musizierenden English Baroque Soloists. Über jeden Zweifel erhaben zeigt sich auch der Monteverdi Choir, der eindringlich, gut artikuliert und trotz der Besetzungsstärke (zumeist jede Stimmlage vierfach) außerordentlich transparent singt.

Dank der Möglichkeiten, auf Material aus den Generalproben zurückzugreifen, sind kaum störende Nebengeräusche der Live-Aufzeichnungen zu bemerken.
Wer von Bach-Kantaten mehr erwartet, als "nur" schöne Musik und bereit ist, sich in vielfacher Hinsicht mitreissen zu lassen, liegt mit diesen CDs richtig.



Sven Kerkhoff

Trackliste

CD I (Kantaten zum 3. Sonntag nach Ostern, Jubilate)
1-7 Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, BWV 12 22:38
8-13 Ihr werdet weinen und heulen, BWV 103 15:10
14-21 Wir müssen durch viel Trübsal BWV 146 38:53

CD II (Kantaten zum 4. Sonntag nach Ostern, Cantate)
1-6 Wo gehest du hin? BWV 166 17:08
7-12 Es ist euch gut, dass ich hingehe, BWV 108 13:49
13-21 Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, BWV 117 20:35

Besetzung

Brigitte Geller, Sopran
William Towers / Robin Tyson, Altus
Mark Padmore / James Gilchrist, Tenor
Julian Clarkson / Stephen Varcoe, Bass

The Monteverdi Choir
The English Baroque Soloists

Ltg. John Eliot Gardiner
Zurück zum Review-Archiv
 


So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger