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Reviews

Gay, J. – Pepusch, J. Ch. (Christie, W. – Carsen, R.)

The Beggar’s Opera


Info

Musikrichtung: Barock / Moderne Musiktheater

VÖ: 19.02.2021

(Opus Arte / Naxos / CD oder Blueray / 2019 / Best. Nr. OA1328D)

Gesamtspielzeit: 119:00

BAROCKES-BALLADEN-MUSICAL

John Gays Ballad Opera “The Beggar’s Opera” schlug um 1728 in London wie eine Bombe ein: Die Mischung aus Milieutheater mit Gangstern und Huren, korrupten Kleinbürgern und Politikern sowie mitreißenden Songs, für die Gay über 60 Gassenhauer und Folktunes neu vertextete, zündete: Allabendlich volles Haus, Sensation! Dagegen kam Händels berühmte italienische Oper selbst zu ihren besten Zeiten nicht an.
John Gay und sein Arrangeur Johann Christoph Pepusch lieferten mit ihrem Stück eine zeitlose Blaupause, die noch Kurt Weill und Berthold Brecht zu ihrer „Dreigroschenoper“ inspirierte: Bitterböse Satire, allgemeinverständlich (hier: auf English), mitten aus dem prallen Leben und in Form, Sound und Inhalt auf der Höhe der Zeit.
Rekonstruktionsversuche gab es schon viele: Unter anderem hat Benjamin Britten eine mehr oder weniger vollständige Neufassung komponiert, eine charmante Musikkomödie. J. E. Gardiner dirigierte 1983 eine historisierende Edel-Version mit den „English Baroque Soloists“, deren Mitschnitt auf DVD heute arg betulich wirkt. Beide Versionen setzten auf eine gewisse künstlerische Gediegenheit, Opulenz und Schönklang.

Regisseur Robert Carsen und das Theatre des Bouffes du Nord gehen mit einer Truppe handverlesener Sänger-Schauspielerinnen, die mehrheitlich aus dem Musicalbereich stammen, und den Barock-Instrumentalisten des Ensembles „Les Arts Florissants“ unter William Christie einen eigenen Weg: Zwischen radikaler szenischer Modernisierung und barocker musikalischer Rekonstruktion, beides ohne Weichzeichner.
So wurden die Personen in die Gegenwart versetzt, Sprech- und auch die Songtexte im Geiste Gays mit deftigem Straßenjargon angereichert. Auf der kleinen Bühne, mit beinahe direktem Publikumskontakt gelingt so eine zeitgenössische Übertragung der Vorlage, die neben den ja irgendwie immer aktuellen Themen (Gewalt, Drogen, Armut, Korruption, Sex & Crime) noch die eine oder andere tagesaktuelle Prise Politik hineinmischt (Brexit). Das ist vielleicht nicht sonderlich tiefgründig, aber man holt aus dem Stoff heraus, was möglich ist.

Bei der Musik liegen die Dinge etwas anders: Pepusch richtete die diversen Melodien, u. a. Songs von Henry Purcell, John Eckles oder auch das unverwüstliche „Greensleves“, für die Aufführung ein. Er recycelte also bereits, was „in“ war. Seine Originalpartitur ist verloren, nur die Basso-Continuo-Version mit den Harmonisierungen hat sich erhalten. Das genügt für das Spezialistenteam von „Les Arts Florissants“. Das vorhandene Material wurde für eine kleine Barockband stilgerecht und witzig aufbereitet – selbst die Handyklingeltöne kommen vom Cembalo.
Christies neobarocke Fassung rockt: Mit Flöten, Oboe, Streichern, Laute, Cembalo und Schlagzeug klingt das 18. Jahrhundert ganz modern. Die jungen Musiker, die mit Feuer dabei sind, sitzen links auf der Bühne im gleichen Gangsta-Hoodie-Schlabberlook wie die Schauspieler. Christie selbst hat das schüttere weiße Haar eigens noch einmal auf beachtliche Längen „wachsen“ lassen. Eine tolle Truppe, die den musikalischen Nummern unplugged einheizt.

In Carsens minimalistischem Einheitsbühnenbild aus Pappkartonmauern, das mal Warenlager, mal Pub und mal Gefängnis ist, liefern die DarstellerInnen beste Unterhaltung, dank toller Charakterstimmen, akrobatischer Tanznummern und auch Chor-Einlagen: Mit kleinbürgerlichem Verbrecher-Charme sorgen sich der Tenor Robert Burt und die großartige Stimmakrobatin Beverley Klein als Ehepaar Peachum um das (finanzielle) Wohlergehen ihrer naiven Tochter Polly (quirlig: Kate Batter), die sich in den erfolgreichen Halunken Macheath verliebt hat und ihn, noch schlimmer, sogar geheiratet hat. Der wird von Benjamin Purkiss (Typ „Toni aus der Westside Story“) in jeder Hinsicht ausgesprochen sexy verkörpert. Leider hat der flotte Macheath eine Schwäche für die Damen, zu denen er diverse Verhältnisse parallel unterhält, und landet durch Verrat im Gefängnis, das vom korrupten Emporkömling Lockit (herrlich schmierig: Kraig Thornber) sehr gewinnbringend verwaltet wird. Zum Glück ist Lockits Tochter Lucy (temperamentvoll und, wenn nötig, very nasty: Olivia Brereton) nicht nur ebenfalls in Macheath verliebt, sondern auch gleich schwanger von ihm, und will ihren Liebsten retten – oder vielleicht doch nicht?! Unter dem Galgen finden sich Ende auf jeden Fall noch weitere Damen mit Kinderwagen ein …
Auch das übrigen Ensemble gibt in den kleineren Rollen ordentlich Gas.

So ist das Ganze ein großer böser Spaß, je nachdem eine moderne Ballad Opera oder ein barockes Musical, der schön direkt und ungekünstelt serviert wird. Gay und Pepusch würden ihren Segen gewiss nicht verweigern und in den Applaus mit einstimmen.



Georg Henkel

Besetzung

Robert Burt, Beverley Klein, Kate Batter, Benjamin Purkiss, Kraig Thornber, Olivia Brereton u. a.

MusikerInnen von Les Arts Florissants
William Christie: Cembalo & Leitung

Robert Carsen: Regie
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