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Reviews

ReidGraves

Two Flies


Info

Musikrichtung: Pop (?)

VÖ: 05.06.2020

(Secret Shark / CDBaby)

Gesamtspielzeit: 51:16

Internet:

http://www.reidgraves.com

Album Nummer 3 von ReidGraves – der Rezensent kennt das Debütalbum Lovely As Suspicion (siehe Rezension auf www.crossover-netzwerk.de), aber das Zweitwerk Slacking On Pain ist ihm bisher apocryph geblieben. Von grundsätzlichen Änderungen dürfte freilich weder konzeptuell noch musikalisch auszugehen sein, das kreative Duo Ron Graves (Texte) und David Reid (Kompositionen und nahezu alle Instrumente und Vocals) ist nach wie vor beieinander, und während Reid mit seiner Band The Contrast irgendwo zwischen Gitarrenpop und 60er-/70er-Rock landet, agiert er bei ReidGraves nochmal eine Stufe vielschichtiger, obwohl die abermals 14 Songs (das Debüt hatte die gleiche Anzahl aufgewiesen) andererseits auch wieder zusammengehörig genug anmuten, um den Werkcharakter zu rechtfertigen. Allerdings wird man das Gefühl nicht los, dass sich Reid mit diesem Album ein Stück weit auf The Contrast zu bewegt. Der Quasi-Hit „Fold“ beispielsweise, eingesungen von Reids Tochter Aimee, lagert irgendwo zwischen den Cranberries und klassischen Westcoast-Elementen, und stammte er von einer elaborierten Combo mit Majorunterstützung und nicht von einem Undergroundprojekt, es hätte hier ein realer veritabler Hit draus werden können. Auch der Opener „The Other Side“, wie bei ReidGraves nicht unüblich an einen sehr stark elektrifizierten Bob Dylan erinnernd, gerät ziemlich eingängig, wenngleich er zugleich die Grenzen von Reids Stimme offenbart: Für einen Singer-Songwriter-artigen Vortrag ist sie geeignet, für klassisches AOR-Crooning eher weniger. Der Titeltrack wiederum vollführt noch ein neues vokales Experiment: Hier greift Graves nämlich selbst zum Mikrofon, allerdings nicht als Sänger – er rezitiert vielmehr über einem musikalischen Background von Reid die titelgebende Geschichte von den beiden in die Wohnung des lyrischen Ichs gekommenen Fliegen, von denen die eine die Räumlichkeiten bald wieder verläßt, während die andere bleibt, dem lyrischen Ich mit ihren Geräuschen (die auch kräftig eingesampelt werden) gehörig auf die Nerven geht, sich auch durch Zeitungwedeln und andere Maßnahmen nicht vertreiben läßt und schließlich dem Tode überantwortet wird. Hier haben wir also sozusagen die Auferstehung des klassischen Konzertmelodrams des frühen 20. Jahrhunderts vor uns, freilich auf dreieinhalb Minuten reduziert. Weil Graves offenbar Gefallen an dieser neuen Rolle gefunden hat, gibt es mit „Tick Tock“ und „Brewery Field Blues“ gleich noch zwei weitere Songs mit ihm am Erzählmikrofon, beide allerdings wiederum etwas anders strukturiert, um keine Langeweile aufkommen zu lassen: ersteres pink-floyd-collagenartig, letzteres bluesangehauchten Siebzigerrock auffahrend, wobei Reid hier singt und Graves nur in der Bridge spricht. Überhaupt ist wie bereits erwähnt Vielfalt auch diesmal wieder Trumpf: „Anorexia Rag“ verrät ebenso wie „Brewery Field Blues“ schon im Titel, welch musikalischen Geistes Kind es ist, wenngleich man natürlich keinen klassischen Ragtime erwarten darf, sondern Reids originäre Interpretation dieses Genres. „Flagrante Delicto“, mit reichlich fünfeinhalb Minuten längster Song der Scheibe, atmet einen gewissen Einfluß des Sechziger-Psychedelic, ohne zu verdrogt zu klingen, während das gleich folgende „Solar Flare“ diesen Stil weiter in Richtung Pink Floyd verfolgt und damit quasi den Boden für das drei Trackpositionen weiter lagernde „Reach“ bereitet, bei dem man sich rein instrumental durchaus nicht wundern würde, fände man es auf einer Pink-Floyd-Platte wieder, dort dann freilich mit anderem Gesang und vermutlich mit etwas kristallinerem Klang. Der leicht verwaschene Sound dürfte hier Absicht Reids sein, aber man fragt sich durchaus, wie diese Nummer mit seiner Tochter als Sängerin geklungen hätte (sie singt nur beim erwähnten „Fold“ Leads, sonst nur wie auch ihr Kompagnon Neil Saunders Backings). Zwischen diesen beiden Songs lagern noch der erwähnte „Anorexia Rag“ und „Heroine Fix“, dessen Titel schon eine gewisse musikalische Erwartungshaltung aufkommen läßt, die Reid dann auch prompt erfüllt: Hier gibt es Grunge zu hören, allerdings die zurückhaltende Variante, wie man sie nicht selten beispielsweise bei den Stone Temple Pilots oder bei Blind Melon erleben konnte, nicht aber die krachige Herangehensweise Nirvanas oder die Metalkante von Alice In Chains. Und so schlängelt sich Two Flies weiter durch den musikalischen Gemüsegarten, übrigens etwas kompakter als das Debütalbum: Dauerten dessen 14 Songs noch über eine Stunde, brauchen die 14 neuen nur noch knapp über 51. Die These, dass ReidGraves mit dem neuen Werk ein wenig näher an The Contrast herangerückt sind, untermauern Songs wie „Fight Night“ oder „News From Gaza“, die beide auch von Tom Cochrane stammen könnten – und der diente schon im The-Contrast-Review zu Madhouse Of Inventions als einer von einer ganzen Anzahl stilistischer Ankerpunkte. Große dramatische Arrangements darf man freilich nicht erwarten, auch in den „News From Gaza“ nicht, wo mit solchen inhaltlich bedingt vielleicht am ehesten zu rechnen gewesen wäre. Der „Brewery Field Blues“ markiert diesbezüglich die Speerspitze des Albums und wäre wohl ein geeigneter Closer gewesen, aber in der Realität folgen noch die reichlich zwei Minuten von „When I Miss Her It’s As If The Stars Are Melting“, die die Erwartungshaltung des Hörers mal wieder gekonnt unterlaufen, der anhand des ausschweifenden und wichtig klingenden Titels mit etwas ganz anderem gerechnet haben dürfte als damit, was er dann real zu hören bekommt, nämlich eine hübsche kleine Klavierballade, die nur am Ende mit dem Synthiebackground überraschend viel Raum greift. So erfordert auch Two Flies einen Hörer mit offenem Verstand, der auch mal um die Ecke denken kann und ein Herz für ungewöhnliche, dabei aber keineswegs extrem unkonventionelle, sondern über weite Strecken durchaus zugängliche Musik mitbringt. Zweifler hören sich zunächst den potentiellen Hit „Fold“ an und können dann immer noch entscheiden, ob sie sich weiter vorwagen wollen – es lohnt sich jedenfalls. Und beim Betrachten des wieder mal äußerst hintergründigen, von Sharon Reid angefertigten Covers, das die beiden Helden mit Fliegenkopfmasken beim Mahl zeigt (und ganz ohne Horrorelemente – komme also niemand und denke an den Film Die Fliege!), bekommt man auch eine Ahnung, wieviel spitzbübischen Spaß Reid und Graves hier wieder einmal hatten.



Roland Ludwig

Trackliste

1The Other Side4:04
2Soul Weekend3:38
3Fold3:31
4Two Flies3:31
5Flagrante Delicto5:39
6Solar Flare2:39
7Heroine Fix3:43
8Anorexia Rag3:24
9Reach3:28
10Fight Night4:42
11News From Gaza3:21
12Tick Tock2:37
13Brewery Field Blues4:42
14When I Miss Her It’s As If The Stars Are Melting2:15

Besetzung

David Reid (fast alle Instrumente und Vocals)
Ron Graves (Voc: 4, 12, 13)
Aimee Reid (Voc: 3, 7)
Neil Saunders (Voc: 2, 5, 7)
Thorin Dixon (Dr)
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