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Reviews

Trivium

The Sin And The Sentence


Info

Musikrichtung: Metal

VÖ: 20.10.2017

(Roadrunner)

Gesamtspielzeit: 57:57

Internet:

http://www.trivium.org

Mit dem Vorgängeralbum Silence In The Snow hatten sich Trivium nach Meinung mancher Kollegen quasi in die Stadionrock-Ecke manövriert, was eine gewisse Übertreibung in der Wortwahl birgt, aber von den Fakten der verstärkten Zugänglichmachung der Kompositionen, dem weitgehenden Verzicht auf Metalcoreelemente und harsche Vocals und der überschaubaren Spielzeit der Songs her durchaus eine nachvollziehbare Einschätzung darstellt. Auf The Sin And The Sentence nun vollziehen Matt Heafy, Corey Beaulieu, Paolo Gregoletto und ihr wieder mal neuer Drummer Alex Bent aber zumindest eine halbe Rolle rückwärts, und zum Gewinnen dieser Einschätzung reicht das Hören des eröffnenden Titeltracks schon aus: Heafy singt zunächst clean, wechselt im Refrain aber in harschere Lagen, die alten Metalcoreelemente scheinen zumindest diffus wieder durch, die durchschnittliche Grundhärte dieses Songs liegt über der des Vorgängeralbums, und mit seinen sechseinhalb Minuten Länge bietet er auch Platz für etwas ausladendere Ideenbehandlungen, wobei Bent gegen Ende gar in Blastbeatgefilde wechselt. Diese Nummer nicht nur an den Anfang des Albums zu stellen, sondern zudem noch vorab als Single auszukoppeln (und auch bereits live zu spielen) darf einerseits als Symbol für Wagemut und andererseits als Symbol für die angesprochene halbe Rolle rückwärts angesprochen werden: Trivium laufen durchaus Gefahr, den einen oder anderen Neu-Anhänger, den sie mit Silence In The Snow gewonnen haben, wieder zu verlieren, obwohl The Sin And The Sentence durchaus auch etliche Songs enthält, die man sich problemlos auch auf dem Vorgänger vorstellen könnte, beginnend mit „Other Worlds“ an Position 3, von den kurzen eingebrüllten Schlagworten im Refrain mal abgesehen. Aber Heafy kultiviert sein mit dem Vorgängeralbum auf ein neues Niveau gehobenes Gespür für den geschickten Einbau von Elementen des traditionellen Melodic Rock und Melodic Metal in ein über weite Strecken immer noch (oder wieder) recht hartes und durchaus im moderneren Bereich angesiedeltes Umfeld natürlich weiterhin, und mit „The Heart From Your Hate“ hat er dabei auch gleich eine Art Hit geschrieben, mit akustischen Strophen und nur gelegentlich heftigeren Stakkatoriffs – und auch hier darf es wieder als programmatisch gewertet werden, dass diese Nummer als zweite Single ausgewählt wurde, nur drei Wochen nach der ersten und immer noch zwei Monate vor dem Album erschienen, so dass der potentielle Anhänger also die zu erwartende Dualität bereits erahnen konnte. Bisweilen zeigt sich diese Dualität sogar innerhalb ein und desselben Songs: „Beyond Oblivion“ bringt das schräge Kunststück fertig, Elemente, wie sie Metallica auf Kill ‘Em All eingesetzt hatten, mit solchen zu koppeln, wie sie die gleichen Metallica acht Jahre später auf der Schwarzen zu Gehör brachten, dabei aber trotzdem nicht wie eine Kopie der Bay-Area-Megaseller zu klingen. Mit „Betrayer“ setzen Trivium ein weiteres Ausrufezeichen: Klar, der neuzeitliche Metalcore, mit dem die Band einst startete, hatte seine Wurzeln im Göteborg-Death der Neunziger – aber so nahe an ebenjenem Göteborg-Death wie in diesem Song waren Heafy & Co. zumindest im dem Rezensenten bekannten Teil ihres Schaffens noch nie. Inwieweit der neue Drummer diesbezüglich Einflüsse ausgeübt hat, kann nicht explizit entschieden werden – auszuschließen ist es anhand seiner Betätigung bei den traditionsmetallisch durchwirkten Battlecross oder Dragonlord nicht, aber als Songwriter ist er in den Credits nicht mit genannt und zudem auch erst relativ kurz vor den konkreten Arbeiten am Album zur Band gestoßen. Gelohnt hat sich der Ausschlag in diese ungewohnte Richtung aber definitiv: „Betrayer“ heimste immerhin eine Grammy-Nominierung ein. Eine gewisse Überraschung hingegen markiert „The Wretchedness Inside“: Bis aufs weitgehend traditionsmetallische, allerdings harmonisch eigentümliche Solo hören wir hier weitgehend klassischen Metalcore – und das ist eine Nummer, die Heafy eigentlich gar nicht für Trivium, sondern für eine andere Band geschrieben hatte, welche sie aber nicht verwendete, so dass letztlich doch ein Trivium-Song draus wurde, der auf The Sin And The Sentence einen in gewisser Weise logischen Platz gefunden hat, indem er den Blick in die eigene Bandgeschichte abrundet. Das Album, so bemerkte ein Kollege treffend, sei nämlich quasi eine Best Of, ein Rückblick auf das bisherige Schaffen der Band. Von daher mutet der Hintergrund des besagten Songs freilich eigentümlich an, so als ob Heafy für andere Bands Songs schreibt, die sich wie seine eigene Band früher anhören, während er seine eigene Band aktuell eher anders klingen läßt. Möglicherweise stellte aber die Beschäftigung mit solchem Material auch die Initialzündung für die allumfassende Ausrichtung des neuen Werkes dar, wobei man freilich auch festhalten muß, dass nicht jede Idee funktioniert: „Endless Night“ etwa kann nur mit seinem interessanten Solo überzeugen, „Sever The Hand“ lediglich mit dem Refrain und dem Arrangement des Speedparts sowie gleichfalls dem Hauptsolo, schön zweistimmig gehalten und ununterrifft. Hier wird wieder ein Hauptproblem Triviums und des ganzen neuzeitlichen (Post) Metalcores deutlich – das baukastenartige Songwriting, das nicht immer das zusammenfügt, was zusammengehört, so dass gerade der angesprochene Speedpart und das anhängende Solo wie Fremdkörper in diesem auch recht metalcorigen Song wirken. Zudem gibt es das Phänomen, dass sich die stärkeren Songs in der ersten Albumhälfte konzentrieren, wie man es bereits auf Silence In The Snow fand, auch auf The Sin And The Sentence zu konstatieren. „Beauty And The Sorrow“ etwa ist ein guter Song, aber „nur“ der kleinere Bruder des stärkeren „The Heart From Your Hate“, und das Epos „The Revanchist“ erweist sich als reichlich sperrig, auch wenn man sich hier und da, gerade beim Refrain, dabei ertappt, an Disillusion zu denken, und das ist als Kompliment für Trivium gemeint, obwohl die Zeilenmelodiegestaltung von „Submit for salvation“ irgendwie ins Leere läuft. Zumindest haben Trivium mit dem Closer „Thrown Into The Fire“ nochmal ein echtes Highlight in petto: der Bruder von „Betrayer“ aber diesem durchaus gleichwertig – und wie in der Bridge die Spannung bis zur Wiederkehr des melodischen Motivs verlängert wird, indem das rauhe Motiv zwei Zeilen länger ist, als man gemeinhin erwarten würde, das stellt der Band ein exzellentes Zeugnis aus, ebenso wie das großartige Wimmerhakensolo.
Zu erwähnen ist noch die optische Gestaltung. Ashley Heafy, Angetraute des Bandkopfs, entwarf zu jedem der elf Songs ein pseudomythologisches Symbol, und das zum Titeltrack findet sich auch auf dem Cover – in der Pressung, die dem Rezensenten vorliegt, steht es dort komplett allein, während das Netz sagt, es gäbe auch Versionen, wo unter dem Symbol noch Bandname und Albumtitel aufgedruckt sind. Entweder die Band ist also so selbstbewußt, Bandname und Albumtitel auf dem Cover für unnötig zu halten (das war auf dem Albumvorgänger übrigens auch schon so), oder der Rezensent hat einen Fehldruck erwischt, der in einigen Jahren mit Gold aufgewogen würde (das übrigens die Farbe für die Symbole und alle Textelemente im Booklet stellt). Wie auch immer: Trivium zählen nach wie vor zu den ideenreichsten modernen, aber traditionsverhafteten Metalbands, und selbst wenn sie es auch auf The Sin And The Sentence nicht schaffen, ihr komplettes Potential abzurufen, so ist das Album doch wieder über weite Strecken äußerst hörenswert ausgefallen und zudem eine „Beruhigungspille“ für alle, die befürchtet hatten, nach Silence In The Snow einen weiteren Entwicklungsschritt hin zur Demetallisierung aushalten zu müssen. Die rückblickende Ausrichtung der Scheibe wird auch noch durch einen strukturellen Aspekt gestärkt: Die Japan-Edition enthält „Pillars Of Serpents“ als Bonustrack, und das ist eine Neueinspielung eines Tracks vom Debütalbum Ember To Inferno. Wo die Reise der Band in Zukunft hinführt, bleibt hingegen mit Spannung zu beobachten, und wer das unlängst erschienene neunte Album What The Dead Men Say kennt, kann zumindest den nächsten Schritt begutachten – der Rezensent besitzt besagtes Werk bisher allerdings noch nicht.



Roland Ludwig

Trackliste

1The Sin And The Sentence6:22
2Beyond Oblivion5:16
3Other Worlds4:49
4The Heart From Your Hate4:03
5Betrayer5:26
6The Wretchedness Inside5:31
7Endless Night3:38
8Sever The Hand5:25
9Beauty In The Sorrow4:31
10The Revanchist7:16
11Thrown Into The Fire5:29

Besetzung

Matthew K. Heafy (Voc, Git)
Corey Beaulieu (Git)
Paolo Gregoletto (B)
Alex Bent (Dr)
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So bewerten wir:

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06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger