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Reviews

Schubert, F. (Bostridge/Adès)

Winterreise


Info

Musikrichtung: Romantik

VÖ: 30.08.2019

(Pentatone / Naxos / CD / 2018, live / Best. Nr. PTC 5186 764)

Gesamtspielzeit: 72:26

Internet:

Ian Bostridge auf Twitter

AUF DAUERREISE

Über 25 Jahren dauert die intensive Beschäftigung des Tenors Ian Bostridge mit Schuberts bekanntestem Liederzyklus, der „Winterreise“, nun an. Er hat sich ihm nicht nur in unzähligen Konzerten, sondern auch bereits 2004 in einer CD Einspielung bei EMI mit Leif-Ove Andsnes als Klavierpartner (MAS-Review) sowie 2007 in einem Film-Projekt auf DVD gemeinsam mit dem Pianisten Julius Drake gewidmet. Ja, mehr als das: Bostridge hat ein äußerst lesenswertes und kundiges Buch über das Werk vorgelegt, das mittlerweile auch auf Deutsch und als Taschenbuchausgabe (C.H. Beck) erhältlich ist.

Und die Musik fesselt ihn - und uns - noch immer. Nunmehr nämlich ist eine weitere Einspielung beim Label Pentatone erschienen, die als Live-Mitschnitt die Früchte dieser jahrelangen Auseinandersetzung mit allen Tiefen und Untiefen der Musik in hervorragender Tonqualität dokumentiert. Im Vergleich zur früheren Einspielung bei EMI fährt Bostridge hier die dramatischen Zuspitzungen zurück, agiert sublimer, aber eine romantische Winterreise traditioneller Lesart erlebt man deswegen beileibe nicht. Vielmehr arbeitet der Tenor jetzt stärker die Verzweiflung, den Zynismus und die abgründige Hoffnungslosigkeit heraus. Dieser Reisende leidet nicht mehr nur an der verratenen, verlorenen Liebe und einer Phase der Einsamkeit, sondern am Sein schlechthin. Schubert schreibt 1824 in sein Tagebuch: „Keiner, der den Schmerz des Andern, und Keiner, der die Freude des Andern versteht! Man glaubt immer, zu einander zu gehen, und man geht immer nur neben einander. O Qual für den, der dieß erkennt!“ Die Unüberbrückbarkeit, das Auf-Sich-Zurückgeworfen-Sein koppelt Schubert und kongenial Bostridge mit dem urmenschlichen Versuch, zumindest die Erfahrung der Einsamkeit zu teilen und mitzuteilen. Diese Sichtweise prägt die musikalische Darstellung.

Bostridges Stimme ist dabei über die Jahre erstaunlich unverändert, in der Höhe eher noch runder und klangschöner als zuvor. Notgedrungen fehlt ihm als Tenor an einigen wenigen Stellen die profunde, dunkle Tiefe, aber Bostridge weiß dies jederzeit durch eine bis ins letzte ausgetüftelte, kluge, bisweilen auch überraschende Gestaltung und einen erstaunlichen Reichtum an stimmfarblichen Nuancen auszugleichen. Dabei imponiert auch, wie er jedes Liedende veredelt, es nicht einfach nur als Abschluss hinnimmt, sondern eigenständig wie eine Zusammenfassung ausarbeitet und mit einer charakteristischen Farb- und Tongebung versieht.

Das allein wäre allen Lobes wert. Frappierend ist aber darüber hinaus, welch neuen Seiten der Komponist und Pianist Thomas Adès dem Klavierpart abgewinnt. Adès lässt diesen nur selten über das ganze Lied hindurch fließen, sondern begreift sich als „Mitspieler“ auf Augenhöhe: seine Klavierfiguren sind weniger Untermalung als vielmehr Kommentar und Bebilderung zugleich – und dies in einer Intensität, die einen mitunter erschauern lässt.

Diese Winterreise ist wahrlich kein Spaziergang, sondern eine existenzielle musikalische Erfahrung!



Sven Kerkhoff

Trackliste

1 Gute Nacht 05:36
2 Die Wetterfahne 01:37
3 Gefrorne Tränen 02:17
4 Erstarrung 02:57
5 Der Lindenbaum 04:42
6 Wasserflut 03:41
7 Auf dem Flusse 03:26
8 Rückblick 01:52
9 Irrlicht 02:35
10 Rast 03:02
11 Frühlingstraum 04:27
12 Einsamkeit 02:39
13 Die Post 01:55
14 Der greise Kopf 02:52
15 Die Krähe 03:36
16 Letzte Hoffnung 01:59
17 Im Dorfe 03:43
18 Der stürmische Morgen 00:50
19 Täuschung 01:16
20 Der Wegweiser 04:37
21 Das Wirtshaus 04:45
22 Mut 01:18
23 Die Nebensonnen 02:35
24 Der Leiermann 03:55

Besetzung

Ian Bostridge: Tenor
Thomas Adès: Klavier
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