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Reviews

Dystopia

Building Bridges


Info

Musikrichtung: Modern (Prog) Metal

VÖ: 11.07.2018

(Edge Records / Hammer Music)

Gesamtspielzeit: 37:37

Internet:

http://www.dystopia.hu
http://www.metalshop.hu

Ungarns Antwort auf Disturbed heißt Dystopia – mit dieser Feststellung liegt man nicht hundertprozentig richtig, aber auch nicht gar zu weit daneben: Die Szegediner (man verzeihe dem Rezensenten, wenn diese in DDR-Zeiten übliche Herkunftsbezeichnung für gewisse Fleischspezialitäten im humanen Kontext sprachlich ähnlich inkorrekt sein sollte wie etwa Hannoveraner für die Bewohner Hannovers) weisen durchaus manche Parallele zum Schaffen von David Draiman & Co. auf, aber sie kopieren die Amerikaner nicht, sondern lassen auch andere Stilmittel in ihre Mixtur einfließen, wodurch eine Art moderner Progmetal entsteht, der allerdings stets nachvollziehbar bleibt und zudem mit widerhakenartigen Ohrwurmrefrains ausgestattet wurde, welchselbige dem Hörer das Einarbeiten in das allerdings auch grundsätzlich nicht so extrem komplex gestaltete Material erleichtern. Für den gemeinen Mitteleuropäer erleichternd wirkt der Fakt, dass sich die Dystopia-Sänger nicht im heimatlichen Ungarisch artikulieren, wie das viele Kollegen in magyarischen Metalbands zu tun pflegen (bekanntlich gehört Ungarisch zur finno-ugrischen Sprachgruppe und weist daher sowohl zum Indogermanischen als auch zum Romanischen kaum Parallelen auf), sondern sich des Englischen befleißigen und damit etwaige Mitsingaktivitäten nicht auf ein rein lautierendes Prinzip beschränken.
Der Plural vor dem zusammengesetzten Substantiv Dystopia-Sänger“ im Satz zuvor ist Absicht: Das Quartett besitzt zwei Vokalisten, nämlich Gitarrist Gábor Vári für den dominierenden Cleangesang und Bassist Péter Bajusz für die in einigen Songs eingestreuten Growls. Die Kombination funktioniert auf dem aktuellen Album Building Bridges durchaus gut, wenngleich Vári nicht zu den Allerbesten seiner Zunft zählt – aber das, was er tut, das tut er durchaus kompetent, und dank seines Melodiehaltevermögens kommt auch der erwähnte Ohrwurmfaktor der Refrains zustande, während die Strophenmelodien durchaus uneingängiger geraten. Hier und da wird seine Stimme leicht angezerrt, etwa in der Bridge vor dem Refrain von „Purge Yourself“, und in Verbindung mit dem oftmals verschleppten Groove von Drummer András Rácz und den feist-modernen Rhythmusgitarren von Vári und seinem Kompagnon Balász Mezey sorgen diese Komponenten für den Modern-Bestandteil in der Stilbeschreibung. Dazu tritt die für jüngerzeitliche Bands nicht nur im Progsektor typische Songwritingeigenart, bisweilen noch zusätzliche Ideen in einen Song einzubringen, anstatt eine Grundidee nach allen Regeln der Kunst durchzuexerzieren – das sorgt für Fragezeichen etwa in „Purge Yourself“, wo man sich schon auf einen schleppenden Groover eingestellt hat, der Drummer im hinteren Bereich der Strophen indes plötzlich das Tempo erhöht und ein ganz anderer Eindruck entsteht als bisher, bis der Refrain für einen abermaligen Wechsel sorgt. Bei Dystopia bleiben solche Fälle allerdings zum Glück selten – der Prog-Faktor bemißt sich also im wesentlichen aus Rácz‘ Schlagzeugarbeit, und auch bei der hat man nach etlichen Durchläufen die meisten Ideen irgendwann verstanden. Und Ideen gibt es in der Musik des Quartetts durchaus eine ganze Menge: Da bauen sie in „Stranded And Confined“ nach einem rhythmisch verschleppten ersten Hauptsoloteil als zweiten Soloteil plötzlich ein klassisches Gitarrenheldensolo ein, da arrangieren sie die hintere Hälfte des Refrains von „The Door That Never Opened“ so, wie das Dream Theater im neuen Jahrtausend auch nicht wesentlich anders getan hätten – und dann ist da noch „Silent Observer“, wo dem Hörer, so er auf Nevermores „The Heart Collector“ sensibel reagiert, ein diesem Song auch im Sound sehr ähnliches Leadgitarrenthema den einen oder anderen Schauer über den Rücken laufen läßt. Überhaupt taugen Nevermore für Dystopia als anderes Ende einer Einflußfeldabsteckung, an deren einem Ende bekanntlich Disturbed angesiedelt sind: An Jeff Loomis‘ Gitarrenarbeit denkt man auch in anderen Songs gelegentlich, während Váris Gesang allerdings überhaupt nichts mit dem Warrel Danes (RIP!) zu tun hat. Bisweilen flechten Dystopia auch Halbakustikelemente geschickt ein, und zwar so unauffällig, dass man sie oft erst beim zweiten oder dritten Hören entdeckt, aber ihre Wirkung dennoch schon vorher latent wahrnehmen konnte. So zeigt sich das Quartett als durchaus songwritingkompetent – es nimmt sich allerdings auch gehörig Zeit dafür: 2004 gegründet, ist Building Bridges vierzehn Jahre später erst das dritte Album der Szegediner, und alle drei, in jeweiligen Mehrjahresabständen erschienen, drehen sich nur knapp 40 Minuten im Player. Masse gibt es von Dystopia also eher wenig, aber dafür weiß die Qualität des Gebotenen zumindest auf Building Bridges durchaus zu überzeugen – von den Vorgängerreleases hat der Rezensent zwar auch irgendeinen auf dem großen Stapel der Ungehörten liegen, aber eben noch keinen akustischen Eindruck gewonnen. Zumindest sind aber große Teile der Band gut aufeinander eingespielt: Die drei Saitenbediener zählen alle zu den Gründungsmitgliedern der Band (ganz zu Anfang war noch ein anderer Sänger beteiligt, der aber noch im Gründungsjahr wieder ausstieg), und lediglich der Drumhocker gleicht einem Schleudersitz in bester Spinal-Tap-Manier. Nimmt man allerdings Rácz‘ Anteil am progressiven Faktor Dystopias zum Maßstab, so wäre gespannt zurückzuverfolgen, wie die Band mit seinen Vorgängern klang. Derweil kann sich aber jeder, der mit der erwähnten Mixtur aus Disturbed und Nevermore klarzukommen glaubt oder der die Finnen VIP mag, an die so manche Melodielinie erinnert, erstmal mit dem sauber und druckvoll produzierten Building Bridges befassen.
Die dem Rezensenten vorliegende Pressung kommt ähnlich wie schon neulich die von Invaders Egyszer Élsz! als Doppel-CD: Scheibe 2 ist der die zeitliche Einordnung „2007/09“ tragende Let The Hammer Fall-Sampler Vol. 59 mit einem bunten Potpourri von Bands, die Hammer Music im Ungarnvertrieb haben. Das Spektrum der 19 Beiträge reicht von bluesrockigen Anklängen bei Daczi Zsolt És Barátai bis zum sinfonischen Black Metal von Graveworm, womit gleichzeitig klar wird, dass sich neben dem Gros internationaler Acts auch hier einige heimische ungarische finden, unter denen sich übrigens auch die alten Helden Ossian tummeln.



Roland Ludwig

Trackliste

1Free-Fall4:05
2The Door That Never Opened4:33
3Silent Observer4:39
4Purge Yourself3:36
5Stranded And Confined4:31
6What Does The Beast Say?3:18
7Building Bridges4:51
8Hate Is Not A Part Of Me4:13
9The Remedy Engine3:45

Besetzung

Gábor Vári (Voc, Git)
Balász Mezey (Git)
Péter Bajusz (B, Voc)
András Rácz (Dr)
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So bewerten wir:

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