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Reviews

Dowland, J. - Byrd, W. - Phlipps, P. u. a. (stile antico)

In a Strange Land (Elizabethan Composers in Exile)


Info

Musikrichtung: Renaissance vokal

VÖ: 25.01.2019

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2018 / Best. Nr. HMM 902266)

Gesamtspielzeit: 71:34

WOHKLANG, TRANSPARENZ UND SUBSTANZ

Die vorzügliche Qualität so vieler heutiger Vokalensembles führt beim Hörer leicht zu einer gewissen hedonistischen Gewöhnung. Wie schnell vergisst man die immense Arbeit, die nötig ist, um einen derart vollkommen ausgewogenen und zugleich betörend schönen, sinnlichen Chorklang wie auf der vorliegenden Platte zu kultivieren!

Dabei zeichnet sich der britische Kammerchor stile antico durch die bemerkenswerte Verbindung von englischer Tradition - sprich: Perfektion - und einer entspannten Klangschönheit aus, die man eher mit franko-flämischen Chören wie La Chapelle Royale in Verbindung bringt. Die kühle, laserfeine Brillanz und Virtuosität der kleineren englischen Formationen wie den Tallis Scholars, die ja auch schnell etwas penetrant und gleichförmig klingen können, gibt es hier nicht.
Die individuellen Timbres mischen sich bei stile antico zu einem runden, vollen und warmen Gesamtklang, ohne sich darin anonym zu verlieren. Bemerkenswert auch, wie nahe die Stimmen der Damen dem Klang der "Trebles" in den berühmten englischen Knabenchören kommen, ohne gläsern und irgendwie irreal über den tieferen Registern zu schweben. Zudem gelingt den sechs Sängerinnen und sechs Sängers die Synthese zwischen solistischer und chorischer Besetzung derart, dass das Beste der jeweiligen Welten vereint scheint: Wohlklang, Transparenz und Substanz.

Beste Voraussetzungen also für das wie immer ambitionierte Programm, das dieses Mal Musik aus der - zumal für katholische Komponisten - wildbewegten und oft auch gefährlichen Epoche der englischen Reformationszeit zusammenstellt. Inspiriert sind die Werke durch das innere und mitunter auch äußere Exil dieser Komponisten: Der Kampf der protestantischen Königin Elisabeth I. um die Durchsetzung königlicher Macht gegen die katholische Konfession zwang viele altgläubige Musiker, im Geheimen für Untergrundgemeinden zu komponieren oder sich den neuen Verhältnissen zumindest äußerlich anzupassen. Mitunter bot aber gerade die offizielle Kirchemusik einen Ausdrucksrahmen für die Trauer um das Verlorene, eine Art diskrete Solidaritätserklärung mit den verfolgten katholischen Glaubensgenossen - selbst wenn die Musik in der angklikanischen Liturgie erklang.

Für diesen Trauerton boten insbesondere die Klagepsalmen oder auch die Klagegesänge des Propheten Jeremia eine angemessene Vorlage. Die fünfstimmigen Lamentations von Robert White beschließen dann auch das Programm mit einem Gipfelwerk aus der Tudorepoche: Erhaben, bei aller modalen Monumentalität zugleich von durchscheinender Farbigkeit, wie ein großes gotisches Kirchenfenster.
Doch auch die "kleineren" Stücke sind durchweg hörenswert: Von der ergreifenden Chorversion von Dowlands schmerzvollem Flow my tears über Peter Philips katholischen Alleluja-Jubel in der Marienmotette Gaude Maria virgo bis hin zu Philippe de Montes inniger, von zarter Trauer erfüllter Psalmvertonung Super flumina Babylonis spannt sich ein großer, abwechslungsreicher Bogen, der sich an vorletzter Stelle sogar bis zur Gegenwart hin öffnet: Mit der Vertonung des enigmatischen Shakespeare-Sonetts The Phoenix and the Turtle von Huw Watikins (geb. 1976) integriert stile antico ein zeitgenössisches Chorwerk, das sich trotz aller Modernität nahtlos in das Gesamtprogramm einfügt.
Warum nicht einmal ein ganzes Programm solcher Auftragswerke, die für stile antico komponiert wurden?



Georg Henkel

Trackliste

John Dowland: Flow my tears; In this trembling shadow
William Byrd: Tristitia et anxietas; Motette "Quomodo cantabimus"
Peter Philips: Gaude Maria virgo; Regina caeli laetare
Richard Dering: Factum est silentium
Philippe de Monte: Super flumina Babylonis
Huw Watkins: The Phoenix and the Turtle
Robert White: Lamentations a 5

Besetzung

stile antico
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