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Reviews

Böhse Onkelz

Die Weiße


Info

Musikrichtung: Deutscher Hard Rock

VÖ: 04.10.1993

(Bellaphon)

Gesamtspielzeit: 48:05

Internet:

http://www.onkelz.de

1993 ist ein einschneidendes Jahr in der Geschichte der Onkelz gewesen – aus mehreren Gründen. Zwar sollte es noch drei Jahre dauern bis z.B. der Media Markt den Onkelz-Boykott einstellt. Aber während der Vorgänger Heilige Lieder noch mehr oder weniger als Szene-Album erschienen und dann durchgestartet war, konnten es sich die Onkelz jetzt leisten, dem Vorbild der Guns’n’Roses zu folgen und zwei Alben am selben Tag zu veröffentlichen ohne kommerziellen Selbstmord zu begehen. Seitdem waren die Onkelz eine Macht, an der man nicht mehr vorbei kam.
Nach dem Schwarz / Weiß-Doppelschlag haben alle Onkelz-Alben die Top 5 erreicht; die letzten fünf Alben sind allesamt auf die Pole Position vorgerückt.

Mit Die Weiße haben die Frankfurter auch zu einen neuen Umgang mit der Rechtslastigkeit gefunden, die ihnen noch lange anhing. (Manch einer hat es bis heute nicht gelernt.) Ihre F**k mich Attitüde gegenüber dem Rest der Welt hat sie immer sehr starrköpfig gemacht. Die Onkelz sind nie eine linke Band gewesen und hatten keine Berührungsängste mit der Hooligan-Szene, aber wenn man von ihnen verlangte sich mit klaren Statements eindeutig von Rechts zu distanzierten, gab es bestenfalls den Stinkefinger.

…und dann kam Rostock-Lichtenhagen! Und die Onkelz waren wohl auch schon ein Stückchen erwachsener geworden. Nach den Gewaltexzessen und vor allem der offenen Zustimmung von weiten Teilen der Bevölkerung Lichtenhagens dazu, war offenbar eine Grenze überschritten. Bereits „Entfache dieses Feuer“, ein zorniger Protest gegen den Zustand der Welt enthält mit der Zeile „Ich seh Bullen töten Schwarze in L.A.“ eine antirassistische Note. Klartext wird dann mit „Deutschland im Herbst“ gesprochen. Eingeleitet von einem Nachrichten-Sample, das die Vorgänge am 24. August 1992 schildert, wird eine bitterböse Abrechnung mit der rechten Gewalt vollzogen, die in den Worten gipfelt „Ich seh braune Scheiße töten.“ Der direkt nachgesetzte Refrain „Ich seh Dich – Deutschland im Herbst“ macht deutlich, dass hier nicht nur die enge rechte Szene an den Pranger gestellt wird.

Musikalisch hat die Band sich gehäutet, ist professioneller und schlicht besser geworden. Mit dem instrumentalen „Tribute to Stevie“ beweist Gonzo, dass er sich nicht blamiert, wenn er sich an eine Legende wie Stevie Ray Vaughn heranwagt.
Harter deutscher Rock ist angesagt, manchmal noch etwas am Punk oder Hardcore orientiert, aber gerne auch mit Gitarren die an Priest („Deutschland im Herbst“) oder Purple erinnern. „Es“ scheint klar von den Gitarrenduellen auf Made in Japan inspiriert zu sein.
Fantastisch! Lasst Euch nur von der Power des Motorradliebeslieds „Sie hat ‘nen Motor“ packen!

In den Texten setzen die Onkelz die Tradition von intelligenten Texten fort. Dazu gehören „Deutschland im Herbst“ und das ebenfalls bereits erwähnte „Entfache dieses Feuer“, aber auch die sehr reife Reflektion des Gottesbildes in „Es“, die haushoch über die oft - auch von den Onklez - gepflegte Kirchen- und Religionskritik hinaus greift.

Aber natürlich wird auch das Bild des verkannten Underdogs weiter gepflegt. Man wird „Lieber stehen sterben“ als sich zu beugen und die Presse wird – wie gehabt – auf die „Fahrt zur Hölle“ geschickt!

Dieses Mal bekommen die Verächtern der Band aber mit der gesamten Aufmachung der beiden CDs Die Weiße und Die Schwarze eins über gezogen. Auf den ersten Blick erscheint es so, als wären die Cover einfach nur einfarbige schwarze, bzw. weiße Flächen. (Die Farbwahl war natürlich kein Zufall.) Erst beim genauen Hinsehen entdeckt man, dass der Bandname drei Mal auf dem Cover erscheint – einmal weiß auf Weiß das Band-Logo, einmal weiß auf Weiß die Buchstaben des Bandnamens in den Handhaltungen der Taubstummen-Sprache und einmal in aufgeprägter Blindenschrift.

Wie das gemeint ist, verrät die aggressive Anti-Presse-Nummer „Fahrt zur Hölle“. Mit ätzender Kritik werden die Pressevertreter überzogen, deren extrem negative Berichterstattung oft erkennbar nicht auf Recherchen, sondern auf gegenseitigem Abschrieben von Vorurteilen beruhte. Damit sich auseinanderzusetzen haben die Onkelz 1993 offenbar keine Lust mehr. So lautet die Refrain-Zeile, die den Song zum heimlichen Titelsong macht, „Für die Blinden und die Tauben – noch ein allerletztes Mal.

Es sollte kein allerletztes Mal sein, aber die Frankfurter hatten sich soweit in den Blickwinkel geschoben, dass die unisono Verurteilung der Band langsam zu bröckeln begann. Wolfgang Niedecken von BAP war einer der ersten prominenten Künstler in Deutschland, die dem Verdikt die Onkelz seien eine Rechtsrock-Band öffentlich widersprach. Die Hosen und die Ärzte, die wenige Wochen vor der Veröffentlichung von Weiß / Schwarz noch ihren (an sich genialen) „Schrei nach Liebe“ ausgekoppelt hatten, brauchten etwas länger.

Nun, das ist lang her. Heute sind die Onkelz eine Legende – und meiner Ansicht nach befinden sie sich mit dem frühneunziger Triple Wir ham‘ noch lange nicht genug, Heilige Lieder und Weiß / Schwarz auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.



Norbert von Fransecky

Trackliste

1Lieber stehend sterben 3:48
2Entfache dieses Feuer 4:19
3Das Wunder der Persönlichkeit 5:12
4Fahrt zur Hölle 3:31
5Alles F.A.M. 3:36
6Willkommen 3:04
7Für immer 5:33
8Deutschland im Herbst 4:29
9Es 4:30
10Sie hat 'nen Motor 2:55
11Tribute to Stevie 1:50
12Schöne neue Welt 4:26

Besetzung

Stephan Weidner (B, Voc)
Peter Schorowsky (Dr)
Gonzo (Git)
Kevin Russel (Voc)
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