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Reviews

Charpentier, M.-A. (Daucé, S.)

La Cescente d'Orphée aux Enfers


Info

Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 18.08.2017

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2016 / Best. Nr. HMM 902279)

Gesamtspielzeit: 54:52

FEINSINNIGE OPERNMINIATUR

Nur zwei Akte sind von Marc-Antoine Charpentiers Miniatur-Oper La Cescente d'Orphée aux Enfers (1686/87) überliefert: Nachdem der halbgöttliche Sänger Orpheus seine Braut Euridike durch einen heimtückischen Schlangenbiss verloren hat, steigt er auf Geheiß seines Vaters Apollo in die Unterwelt hinab, um die Geliebte zurückzugewinnnen. Mit seinem betörendem Gesang gelingt es ihm, die Geister der Unterwelt und Pluto höchstpersönlich zu betören und schließlich die Erlaubnis zu erlangen, Euridike in die Welt der Lebenden zurückzuführen - allein: Auf dem Weg nach oben darf er sich nicht zu der Schönen umwenden.
An dieser Stelle endet Charpentiers Oper. Der bekannte tragische Schluss mit dem Blick zurück und dem endgültigen Verlust Euridikes fehlt in der Handschrift. Man kann darüber spekulieren, ob er nie komponiert wurde oder nicht erhalten ist. In jedem Fall ist das überlieferte Werk es mehr als wert, dass es aufgeführt wird.
Charpentier stand damals in den Diensten der Mademoiselle de Guise und gebot über ein kleines, aber erlesenes Ensemble von zehn Sängerinnen bzw. Sängern und etwa die gleiche Anzahl Instrumentalisten. Auf dieser Basis komponiert er seine Oper, die es an Abwechslungsreichtum, Dramatik und Sinnlichkeit durchaus mit den großen Hofopern Lullys aufnehmen kann. Was dieser an vokaler und orchestraler Masse mobilisieren konnte, wird von Charpentier durch musikalische Klasse mehr als wettgemacht. Den "Chor", der von allen Solostimmen bestritten wird, setzt Charpentier in alle möglichen Kombinationen ein, bildet kleinere und größere, bis zu sechstimmige Ensembles, die mal die Hirtinnen und Hirten, dann wieder Unterweltgeister darstellen.
Grundiert wird das durch ein dreistimmiges "Orchester", das neben Gamben und Violinen auch über zwei Flöten verfügt. Sein Einfallsreichtung und die meisterliche Beherrschung von Kontrapunkt und Harmonik erlaubten es Charpentier, für alle Szenen des Liberettos die richtigen Farben und Stimmungen zu entwickeln. Dabei nehmen neben den Chören vor allem solistische Airs einen breiteren Raum ein, als es in den rezitativlastigereren Hofopern der Fall ist. Bei Charpentier hört man allenthalben durch die französische Stilmaske hindurch seine Vertrautheit mit der itatlienischen Barockmusik, immerhin ist er bei Carissimi in Rom in die Lehre gegangen. Es ist diese Mischung, die seine Musik für heutige Ohren so attraktiv macht - während er seinerzeit dafür kritisiert wurde.

Nach den Weihnachtspastoralen hat sich Sébastien Daucé mit dem Ensemble Correspondances dieses kleinen Meisterwerks angenommen - und wie zu erwarten, ist das Ergebnis wieder ausgesprochen überzeugend. Daucé hört auch beim "weltlichen" Komponisten Charpentier den Kirchenmusiker heraus: madrigalhaft, innig und delikat formt er vor allem die zahlreichen Ensemble- und Chorsätze aus; kunstvoll wird die oft ausdrucksvoll dissonante Harmonik zur Geltung gebracht. Zusammen mit der feinsinnigen Instrumentalmusik erscheint die vom dunklen Klang der Gamben gefärbte Musik in einem warmen herbstlichen Licht.
Die Vokal-Besetzung ist exquisit; durchweg gelingt die Balance zwischen Homogenität in den mehrstimmigen Besetzungen und der Profilierung der Stimmen in den Soli. Allen voran besticht der feine, jugendlich-schlanke Tenor von Robert Getchell, wenngleich dieser nicht ganz über die Differenziertheit und den ergreifenden Schmerzenston verfügt, mit dem Paul Agnew in der Orphée-Einspielung von William Christie und Les Arts Florissants den Hörer berührte. Christie verfügte seinerzeit über die individuelleren, "dramtischeren" Stimmen für die Soli. Was aber die Feinziselierung der Musik angeht, die organische Durchformung der Vokalpartien und den tänzerischen Gestus der Instrumentalsätze, bringt Daucés Version im Ganzen die Qualitäten der Musik vielleicht noch stärker zur Geltung.

Dass der Zauber dieser Musik die Ohren und vor allem die Herzen der heutigen Hörenden erreicht, verdankt sich nicht zuletzt der vorzüglichen Aufnahmetechnik, die Räumlichkeit und Intimität glücklich ausbalanciert.



Georg Henkel

Besetzung

Ensemble Correspondances

Sébastien Daucé: Orgel und Leitung
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