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Reviews

Messiaen, O. (Cambreling)

Eclairs Sur l au-delà


Info

Musikrichtung: Neue Musik

VÖ: 05.05.2003

Hänssler Classic DDD (AD 2002) / Best.Nr. 93.063

MESSIAENS OPUS ULTIMUM

Was soll man bloß davon halten? Da zwitschern fünfundzwanzig verschiedene Vögel in den "Bäumen des Lebens" so übermütig und mit naiver Freude, dass man als Hörer des 21. Jahrhunderts schon ratlos dasteht. Allein die Namen! Goldbrustbülbül, Grauwangenbülbül, Schama, Steinrötel, Graubauchtimalie, Helmlederkopf, Gelbköpfchen, Spiegelhäherling, Lärmpitta ... Ist das Musik für Ornithologen? Am besten wohl noch mit botanischer Zusatzausbildung: "Bäume des Lebens" sind bestimmt nicht jedem oder jeder ein Begriff ...

Olivier Messiaens letztes großes Werk verdankt sich einem Auftrag Zubin Methas und der New Yorker Philharmoniker zum 150jährigen Jubiläum dieses Orchesters. Entstanden in den Jahren 1987-1991, vereinigt es noch einmal alle Mittel seiner musikalischen Sprache, um einen "theologischen Regenbogen" von großer Pracht erstrahlen zu lassen: die farbigen Harmonien seiner "Modi" (ein eigenes Tonartensystemtem, das nur begrenzte Transpositionen zuläßt und deshalb eigentümlich statisch wirk), Anklänge an die Gregorianik, griechische, indische und selbsterfundene Rhythmen und vor allem wieder zahllose Vogelstimmen, die der Komponist der Natur abgelauscht und in seinen unverwechselbaren style de oiseaux sublimiert hat. Das alles wird mit einem riesigen Apparat von über 120 Musikern realisiert. Kompositionstechnisch hat es der Komponist einmal so gesagt: "Ich verzichte auf nichts!" Die Kraft zur überzeugenden Synthese dieses unglaublich breiten Spektrums dürfte vor allem im katholischen Glau en Messiaens begründet sein: Alles Schöne kann Gott loben, alles Schöne kann Abbild seiner Herrlichkeit sein.

Womit wir beim Thema wären: Den Titel des Werkes, Éclairs sur l'Au-delà, könnte man mit Streiflichter über das Jenseits übersetzen. Die elf Sätze sind eine Art musikalische Vision über den Himmel. Vorausblicke auf Zukünftiges. Himmlische Klangbilder. Jenseitsimaginationen für die Ohren.
Damit ist die Komposition für das Schaffen Messiaens durchaus repräsentativ. Messiaens Faszination für das letzte biblische Buch, das verzerrend auch gerne als Johannes-Apokalypse bezeichnet wird, hat ihren Niederschlag in einer ganzen Reihe von Werken gefunden. Was Messiaen an dieser heute zu unrecht marginalisierten Schrift anzog, sind ihre kraftvollen, in ihrer Erfindungskraft nachgerade surrealen Bilder. Da wird z. B. der himmlische Thronsaal beschrieben: Gott erscheint auf seinem Thron rotleuchtend wie die Edelsteine Japsis und Karneol, überwölbt von einem smaragdgrünen Regenbogen, vor dem Thron erstreckt sich ein kristallenes Meer. Oder das himmlische Jerusalem, das am Ende der Zeiten vom Himmel auf die Erde herabkommt: ein gewaltiger würfelförmiger Bau aus Edelsteinen, Perlen, Glas und Gold, der in allen Regenbogenfarben leuchtet. Oder die Posaunen-Engel, die die Menschen zum göttlichen Gericht rufen und das Ende der Welt einleiten.
Messiaen, der mit Klangeindrücken ganz konkrete Farbvorstellungen verband - man nennt dieses Phänomen Synästhesie - fand in solchen Bildern unerschöpfliche Inspirationsquellen für seine musikalische Imagination. Aber es bleibt nicht nur bei diesen biblischen Bezügen: Tierkreiszeichen wie das des Schützen (unter dem Messiaen geboren ist) und überhaupt die Sterne und andere Naturerscheinungen werden hier unter christlichen Vorzeichen als Zeichen göttlicher Herrlichkeit in einer kosmischen Liturgie vereinigt.

HIMMLISCHE SÜSSE UND FILMMUSIKALISCHER FARBZAUBER

In seinem Spätwerk - seit der Franziskus-Oper von 1983 - tendierte Messiaen, wohl auch angeregt durch eine erneute Beschäftigung mit der Musik Mozarts, zu einer "neuen Einfachheit". Nicht nur findet sich jetzt auch wieder der "spätromantische" Ton seiner frühen Werke, sondern er disponierte seine vielfältigen musikalischen Mittel weiträumiger und übersichtlicher. In den Éclairs wird das insbesondere in den Außensätzen und dem fünften Satz ohrenfällig: Die "Erscheinung des verherrlichten Christus" (1) ist ein Bläserchoral von großer meditativer Ruhe und Intensität; "Bleiben in der Liebe" (5) spielt auf ein Wort des 1. Johannesbriefes 4, 16 an: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm". Messiaen komponiert dazu einen Streicherchoral, der in unendlicher Langsamkeit die höchsten Höhen erklimmt und harmonisch von einer Süße ist, die - würde das SWR-Orchester unter Cambreling nicht so "abstrakt" spielen - in Kitsch umschlagen würde. nd diese Süße wird im letzten Satz, "Christus, Licht des Paradieses", sogar noch gesteigert!
Was frappiert, ist die Aufhebung von Zeit und Raum. Cambreling wählt hier ganz bewußt äußerst langsame Tempi (vielleicht sogar langsamere, als vom Komponisten intendiert). Lässt sich der Hörer erst einmal auf diese Musik ein, ist die Wirkung ungeheuer, insbesondere beim 5. Satz. Die endlos gedehnten, schillernden Streichflächen bewirken psychoakustisch wirklich eine Art Entrückung.
In anderen Sätzen, so z. B. "Der Prachtleierschwanz und die bräutliche Stadt", die den stilisierten und mit weiteren Vogelmusiken angereicherten Gesang des prächtig gefärbten australischen Leierschwanzes mit mystischen Vorstellungen der Vereinigung von Gott und Mensch bzw. des himmlischen Jerusalems verbindet, ist ein einziges Feuerwerk von Klangfarben. Bedrohlich in Blech- und Schlagzeugklänge gehüllt gerät dagegen der geradezu filmmusikalische Auftritt der "Engel mit den sieben Trompeten", die zum jüngsten Gericht blasen.
Messiaens Mischung von Avanciertem und Klassischem, von Christlichem und Kosmischem steht in der Musik des 20. Jahrhunderts einzig da.

ÜBERZEUGENDES PLÄDOYER

Dass diese fremde musikalische Welt heutigen Hörern überzeugend nahegebracht werden kann, zeigt diese Neueinspielung. In manchem übertrifft sie sogar die orchestral und klangtechnisch überragende Einspielung unter Myung-Whun Chung und dem Orchestre de l'Opéra Bastille (Deutsche Grammophon 1994). Die Technicolor-Brillanz des Bastille-Orchesters und die ungemein plastische, tiefenscharfe Abbildung der Details hat mich jedoch nicht wirklich berührt oder überzeugt. Es scheint so, als wenn diese Art von Perfektion die besondere Atmosphäre der Musik nicht recht herausbringt. Der diffusere Klang der Hänssler-Aufnahme sorgt da für ein ganz andere, eher indirekte Beleuchtung der Partitur, die viel geheimnisvoller und unwirklicher - jenseitiger - klingt. Cambreling braucht mit einer Spielzeit von 76'29'' rund 14 Minuten länger als Chung! Wie bereits oben gesagt: Die hypnothische Langsamkeit im 1., 3. und 5. Satz kommt der Wirkung sehr zugute. Auch der Auftritt der Posaunenengel verliert an filmmusikalischer Plakativität.

Also: Wer den Gesang des "Prachtleierschwanzes" in allen Facetten hören möchte, dem sei Chung empfohlen. Für denjenigen, der die transzendente Dimension des Vogelgesangs erfahren will, ist Cambrelings Aufnahme die erste Wahl.



Georg Henkel

Besetzung

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Ltg. Sylvian Cambreling
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