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Reviews

Dumont, H. (Daucé, S.)

O Mysterium. Motets & Élévations pour la Chapelle de Louis XIV.


Info

Musikrichtung: Barock Geistliche Musik

VÖ: 13.05.2016

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2015 / Best. Nr. 902241)

Gesamtspielzeit: 71:10

GROSSMEISTERLICH

Interpreten Alter Musik sind oft auch Restauratoren, die aus den vorhandenen oft lückenhaften oder fehlerbehafteten Quellen überhaupt erst aufführbares Notenmaterial erstellen müssen. Im Fall der hier eingespielten Motetten von Henry Dumont (1610-1684) galt es, Ergänzungen aus zweiter Hand zu korrigieren. Denn für den auf könglichlichen Befehl publizierten Druck ausgewählter Kirchenwerke Dumonts, die nach seinem Tod im Jahre 1686 erschienen sind, waren diese offenbar um harmonische Füllstimmen im mittleren Register ergänzt worden, die aber so ungeschickt sind, dass sie kaum von Dumont stammen können. Allerdings entspricht die fünfstimmige Besetzung des Orchesters in dieser Epoche der französischen "Norm".
Es ist sehr interessant, den Begleittext von Thomas Leconte zu dieser Einspielung lesen: Offenbar wurde der Instrumentalapparat für die Gottesdienste nach und nach immer weiter aufgestockt. Die Besetzungsstärke der Musik entwickelte sich gleichsam wie der Schlossbau von Versailles, das sich von einem kleinen Jagdschloss zu einer regelrechten Palaststadt auswuchs ...

Für seine Einspielung hat Sébastien Daucé, der Leiter des Ensembles Correspondances, gleichsam aus dem Vollen der Besetzungsmöglichkeiten geschöpft und präsentiert uns Dumonts herrliche Musik in einem repräsentativen Querschnitt, der leidenschaftliche Solostücke mit kleiner Instrumentalbegleitung ebenso umfasst wie Grand Motets mit unterschiedlichen starken "Begleitorchestern", wobei die fehlerhaften Stimmen neu geschrieben wurden. Das Ergebnis ist teilweise überwältigend. Insbesondere die dichte Verzahnung von kleineren und größeren Besetzungen, von kurzen Soli, Duetten oder Triobesetzungen, die dann vom Tutti-Chor aufgegriffen oder kontrastiert werden, machen den großen Reiz von Dumonts Kompositionen aus. Ihre komplexe "Oberfläche" - aber auch ihre "Tiefe" - bietet dem Ohr immer wieder neue Schönheiten, man kann sie wie ein reich gegliedertes barockes Bauwerke erleben. Man höre nur die kunstvoll aus harmonischen Blöcken gefügte Schlusskadenz des Grand Motet Super flumina Babylonis und wie hier auf kleinem Raum mit doch relativ überschaubaren Kräften eine majestätische Steigerung mit durchschlagender Klangwirkung erreicht wird. Das geschieht, wie gesagt, nicht einfach nur durch Masse, sondern durch eine dichte kompositorische Struktur.

Doch nicht nur Dumonts Musik, sondern auch die Kunst der Interpretation durch das Ensemble Correspondances erscheint hier auf einem Höhepunkt. Die Sängerinnen und Sänger sind sozusagen handverlesen. Sie treten immer wieder solistisch hervor und bilden zugleich ein homogenes Ensemble, das sich dieser Musik mit Emphase annimmt, ohne einen vielleicht typisch französischen, noblen Ton darüber zu vergessen. Trotzdem klingt dieses Repertoire stellenweisen überraschend leidenschaftlich, ja geradezu von mediterranem Feuer erfüllt. Dumonts Musik ist gewissermaßen barocker als die Werke seiner Nachfolger wie Delalande, die mehr einen französischen Klassizismus kultivieren: großräumiger, flächiger, beruhigter.
Vielleicht rührt der starke Eindruck auch daher, dass die Ausführenden einen vollen, obertonreichen Klang pflegen, der harmonische Schärfen und archaische Momente Dumonts Musik noch einmal besonders herausstreichen.
Gleiches gilt für das temparmentvoll und präzise aufspielende Orchester, bei dem Daucé für jedes Stück passende Klangfarben zusammengestellt hat. Die Instrumente sorgen auch bei den kleineren Kompositionen für eine farbsatte Einbettung der Solostimmen. Zusammen ergibt dies eine perfekte Vorlage für die nicht minder vorzügliche Aufnahmetechnik.

Dumont erscheint in dieser sinnlichen Lesart nicht als ein Kleinmeinster von (leider!) weitgehend verschollenem Motettenrepertoire. Vielmehr versteht man, wieso er über zwei Jahrzehnte der Kapellmeister der Chapelle royale Ludwigs XIV. war: Ähnlich wie Lully für die Oper, so hat Dumont Maßstäbe für die französische Kirchenmusik gesetzt und den Rahmen der Gattung "Grand Motet" definiert, der bis zur Französischen Revolution gültig blieb. Sébastien Daucé und das Ensemble Correspondances sind zwar nicht die Ersten, die sich dieses Repertoire annehmen, aber sie zählen derzeit sicherlich mit zu den stärksten Anwälten, die man sich für diese Musik wünschen kann: Großmeisterlich!



Georg Henkel

Trackliste

1Memorare7:36
2Jesu dulcedo cordium3:41
3Desidero te millies3:07
4O aeterne misericors Deus8:50
5Sub umbra noctis profundae4:21
6O Mysterium7:19
7Allemanda Gravis3:10
8Ave Regina caelorum3:29
9O dulcissima10:55
10Quam pulchra es4:57
11O praecelsum3:27
12Super flumina Babylonis10:18

Besetzung

Ensemble Correspondances

Sébastien Daucé: Orgel & Leitung
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So bewerten wir:

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06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
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19 bis 20 Überflieger