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Reviews

Boësset, Cavalli, Lambert u. a. (Daucé, S.)

Le Concert Royal de la Nuit


Info

Musikrichtung: Barock Ballett

VÖ: 11.09.2015

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2014 / Best. Nr. HMC952223.24)

Gesamtspielzeit: 154:00

MUSIKALISCHER SONNENAUFGANG

Mit seinen bisherigen Interpretationen von Musik des Grand Siècle hat sich das Ensemble Correspondances in die oberste Liga der Alten Musik gespielt. Nach mehreren Aufnahmen mit geistlicher Musik legen die junger Musiker und Sänger um den Cembalisten und Organisten Sébastien Daucé nun eine erste Einspielung mit einem ausgesprochen weltlichen Programm vor: Nach mehrjähriger Forschungs- und Rekonstruktionsarbeit erklingt anlässlich des 300. Todesjahrs des Sonnenkönigs das Ballet Royal de la Nuit, das 1653 Premiere hatte. Da war Ludwig der XIV. 15 Jahre alt; Frankreich erholte sich gerade von einem mehrjährigen Bürgerkrieg, bei dem auch der Adel gegen die Krone opponiert hatte. Das Ballet Royal de la Nuit war nichts weniger als der mit allen künstlerischen Mitteln unternommene Versuch, den zukünftigen König als neu aufgehende Sonne Frankreichs und damit als Mittelpunkt des aristokratischen „Planetensystems“ zu etablieren. Ludwig tanzte die Rolle der „Sonne“ höchstpersönlich.
Wie die Geschichte zeigt, gelang die Installation des „Sonnenkönigs“ mit durchschlagendem Erfolg: Ludwig XIV. wurde zum Musterbeispiel für einen absolutistischen Herrscher. Und Musik, Tanz und Mythologie sollten seinem Königtum selbst in den dunkelsten und gewalttätigsten Momenten einen betörenden Glanz verleihen (was heutzutage den Genuss all der schönen Werke aus dieser Zeit zu einem mitunter zwiespältigen Vergnügen macht)!

Man fragt sich, wieso das Ballet de la Nuit in unserem rekonstruktionsbesessenen Zeitalter nicht schon viel früher wieder aufgeführt worden ist. Die Antwort ist ganz einfach: Während die vokalen Parts vollständig überliefert sind, liegen die zahllosen instrumentalen Tänze nur in Gestalt der ersten Violin-Stimme vor! Sébastien Daucé hat auf dieser schmalen Grundlage die Instrumentalstücke im Grunde neukomponiert. Das ist ihm großartig gelungen: An dieser Einspielung wirkt alles authentisch, der Zeitstil ist perfekt getroffen.
Doch nicht nur aufgrund der zahlreichen Neukompositionen hat Daucé dem berühmten Ballett für die CD-Produktion einen etwas anderen Titel gegeben: Le Concert Royal de la Nuit. Denn für die Einspielung wurden zwar alle Vokalstücke, aber nur 60% der Tänze verwendet. Die „Freiräume“ hat Daucé mit Musik aus zwei italienischen Opern gefüllt, die Ludwig XIV. in jungen Jahren kennenlernte: „Orfeo“ von Luigi Rossi (1647) und „Ercole amante“ von Francesco Cavalli (1662). Zwar scheiterte der Versuch, die italienische Oper dauerhaft in Frankreich populär zu machen. Aber als luxuriöse und exotische Schmuckstücke fügen sich die ausgewählten Szenen klanglich und dramaturgisch durchaus harmonisch in den Reigen aus französischen Tänzen und Airs ein. Für Daucé kompensieren sie den in der Einspielung fehlenden optischen Showeffekt des originalen Ballet Royal de la Nuit.

In vier großen Teilen geht es da durch die Nacht. Es beginnt mit der Abenddämmerung, bei der allerlei pittoreskes lichtscheues Volk seinen Auftritt hat: Bettler, Gaukler, Narren, Krüppel. Die tieferen Nachtstunden bevölkern mythologische Gestalten – Diana und ihr Hirte Endymion, Herkules, Orpheus und Eurydike –, sowie Hexen und Zauberer, die einen unheimlichen Sabbat aufführen. Zum Abschluss kündigt Aurora einen neuen Sonnenaufgang an.
Das Ganze ergibt eine große Nummernrevue, die lose durch die Idee einer „Nachtwache“ oder „Nachtfahrt“ zusammengehalten wird und auf die finale Pointe, denn Aufgang der neuen Sonne, ausgerichtet ist. So unterhaltsam und bunt kann Politik also sein. Und damit man sich auch heute noch einen Eindruck davon machen kann, wie es einmal ausgesehen hat, gibt es die Aufnahme in einer Luxusausgabe in Buchform, in der die farbenprächtigen Kostümentwürfe für die einzelnen Ballette abgedruckt wurden. Ein Panoptikum aus mitunter recht drastischen und fantastischen Kreationen!

Interpretatorisch bleiben bei diesem Gesamtkunstwerk keine Wünsche offen: Als Organist und Cembalist bringt Leiter Sébastien Daucé das richtige Gespür für Klangpracht, Eleganz und Transparenz mit – für die Darbietung französischer Barockmusik unverzichtbar. Daucé hat ein junges Team aus großartigen Sängern und Instrumentalisten um sich versammelt, das die Musik der alten Meister ebenso feinsinnig wie sinnlich zu interpretieren weiß. Der Glanz der Stimmen und Instrumente, die Leichtigkeit, Vitalität und Kraft der Ausführung sind schlicht hinreißend. Die Vielgestaltigkeit der Tänze wird noch durch Schlagzeug bereichert, diverse Klangeffekte (Windmaschine) sorgen für die nötige theatralische Atmosphäre. Und auch das Potpourri verschiedener Genres und Stile fügt sich bei diesem Konzeptalbum am Ende zu einem großen Ganzen. Wahrlich ein großartiger musikalischer Sonnenaufgang!



Georg Henkel

Trackliste

Musikalische Rekonstruktion des Ballet Royal de la Nuit von 1652 mit Werken von Cambefort, Boesset, Lambert, Cavalli, Rossi

Besetzung

Ensemble Correspondances

Sébastien Daucé: Cembalo, Orgel & Leitung
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