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Reviews

Ayreon

The human Equation


Info

Musikrichtung: Progressive Metal

VÖ: 24.05.2004

(InsideOut / SPV)

Gesamtspielzeit: 102:25

Internet:

www.arjenlucassen.com

Manche Künstler brauchen Jahre, um eine magere CD an den Start zu bringen. Wenn Arjen Lucassen das Studio verlässt, kommt er nicht ohne eine fette Doppel-CD heraus. The human Equation ist in gleich in drei üppigen Formaten erhältlich: als reguläre Doppel-CD, als Special Edition mit 24-seitigem Booklet und Bonus-DVD und als limited Deluxe Edition im Buchformat mit Bonus-DVD und 36-seitigem Booklet.

Hinter The human Equation steckt - wie bei Ayreon bereits Tradition - wieder ein anspruchsvolles Konzept.
Wir erleben einen Mann, an dessen Krankenbett seine Frau, sein Vater und sein bester Freund stehen - zwischen Bangen und Hoffen. Dann entwickelt sich ein über anderthalbstündiges Gespräch, das sich im wesentlich im Kopf des offenbar bewusstlosen Unfallopfers abspielt. Beteiligt sind neben den bereits genannten Personen die Furcht, die Agonie, Wut, Stolz, Liebe, Vernunft und Leidenschaft. Wie bei den vorausgegangenen Ayreon-Werken ist es Lucassen auch diesmal gelungen, für die einzelnen Gesangsrollen hochkarätige Stimmen zu gewinnen, während er den Großteil der Instrumente selber eingespielt hat.

Im Verlauf der Doppel-CD entsteht Mosaikstein um Mosaikstein das Lebensbild des Kranken: frühkindliche Traumata, schulische Versagungsängste, Vaterkonflikte, ödipale Beziehungen zur früh verstorbenen Mutter und schließlich die Karriere eines rücksichtslosen Mannes, der seinen Freund betrügt und seine Frau vereinsamen lässt, was dazu führt, dass die beiden ihn miteinander betrügen.
Die vier „realen“ Personen bringen die nötigen Erinnerungsfetzen ein, während die diversen Wesenzüge darum ringen, dem Kranken „ihren“ Weg aufzunötigen, mit seinem verfahrenen Leben umzugehen, bzw. daran zu resignieren.

Musikalisch ist The human Equation wieder eine zutatenreiche Sahneschnitte. Bei aller Begeisterung lässt sich aber kaum übersehen, dass Lucassen an seinem hohen selbst gesetzten Anspruch aber letztlich scheitert. Denn leider gelingt es nicht, die unterschiedlichen Emotionen umzusetzen, geschweige denn eine wirkliche Entwicklung musikalisch darzustellen. Das wäre angesichts der handelnden „Personen“ aber dringend nötig gewesen. So bleibt die Musik ähnlich klischeehaft, wie die Handlung, die sich auf der Ebene einer angelesenen Hobby-Psychoanalyse bewegt und inhaltlich nicht wirklich zu überzeugen weiß. Immerhin hebt allein das Vorhandensein eines solchen Anspruchs Lucassens Werk schon weit aus der sonst veröffentlichten Dutzendware heraus, die in der Regel nicht einmal zu wissen scheint, was Anspruch überhaupt ist.

Greifen wir uns einen der überragenden Songs des Albums heraus. Denn am sechzehnten Tag kann man die kennzeichnenden Vorzüge und Probleme von The human Equation sehr schön vedeutlichen.
Eingeleitet vom Didgeridoo versprüht vor allem Ken Hensley (Ex-Uriah Heep) mit einem gigantischen Hammond-Solo 1000 Watt Lebensfreude. Allein das lohnt die Anschaffung. Aber das passt nun gar nicht zu dem Text, in dem der Vater seinen Sohn höhnisch als “Loser“ verspottet. Die wütende Reaktion des „Zorns“ (Devin Townsend) passt dann zwar, aber der viel zu lieb intonierende Mike Baker (Shadow Gallery) trifft den Charakter des Vaters genauso wenig wie die Musik.

Auch in den anderen Rollen können Stimmen wie James LaBrie, Eric Clayton oder Devon Graves (klingt gelegentlich wie ein junger David Bowie) für sich gesehen überzeugen und begeistern. Aber sie füllen nur selten die zu erwartenden Rollen. Claytons düster-mystische Stimme ist zwar einzigartig, passt aber gerade wegen ihres Charakters nur bedingt zur Vernunft.

Aber - so könnte man etwas böse formulieren - wer interessiert sich schon für Texte und Inhalte? Und bei aller Kritik daran bleibt The human Equation eine hochwertige Prog-Scheibe, die sich genauso sorgfältig vom Neo-Prog, wie vom Neo-Klassizismus fernhält und von Pink Floyd-Sounds, die an Dark Side of the Moon (“Day Five“), bzw. The Wall erinnern (“Day Twenty“), über folkige Jethro Tull-Flöten und Hard Rock-Orgeln (á la Kansas, “Day Five“) bis zum Death Metal Growlen reichlich Untergenres im und am Rand des Metals bedient.
Weniger wäre bei dem holländischen Workaholic auch enttäuschend gewesen. Manchmal überlegt man, ob Lucassen nicht häufiger mit seinem Projekt Star One arbeiten sollte, das stärker auf Power als auf Gefühl setzt und damit wesentlich überzeugender ist. Dort scheint seine wirkliche Stärke zu liegen.



Norbert von Fransecky

Trackliste

CD 1:
01 Day One: Vigil (1:33)
02 Day Two: Isolation (8:42)
03 Day Three: Pain (4:58)
04 Day Four: Mystery (5:37)
05 Day Five: Voices (7:09)
06 Day Six: Childhood (5:05)
07 Day Seven: Hope (2:47)
08 Day Eight: School (4:22)
09 Day Nine: Playground (2:15)
10 Day Ten: Memories (3:57)
11 Day Eleven: Love (4:18)

CD 2
01 (0:05)
02 (0:05)
03 (0:05)
04 (0:05)
05 (0:05)
06 (0:05)
07 (0:05)
08 (0:05)
09 (0:05)
10 (0:05)
11 (0:10)
12 Day Twelve: Trauma (8:50)
13 Day Thirteen: Sign (4:47)
14 Day Fourteen: Pride (4:42)
15 Day Fifteen: Betrayal (5:24)
16 Day Sixteen: Loser (4:46)
17 Day Seventeen: Accident? (5:42)
18 Day Eighteen: Realization (4:31)
19 Day Nineteen: Disclosure (4:42)
20 Day Twenty: Confrontation (7:03)

Besetzung

Die Gesangsrollen:
“Ich” – James LaBrie (Dream Theater)
Seine Frau – Marcela Bovio
Sein bester Freund – Arjen Lucassen
Sein Vater – Mike Baker (Shadow Gallery)
Die Wut – Devin Townsend (Strapping young Lad)
Der Stolz – Magnus Ekwall (The Quill)
Die Leidenschaft – Irene Jansen (Star One)
Die Agonie – Devon Graves (Dead Soul Tribe)
Die Liebe – Heather Findlay (Mostly Autumn)
Die Vernunft – Eric Clayton (Saviour Machine)
Die Furcht – Mikael Akerfeldt

Musiker:
Arjen Anthony Lucassen (Git, B, Keys)
Ed Warby (Dr)
Robert Baba (Geige)
Jeroen Goossens (Flöten, Didgeridoo, Bassoon)
Marieke van der Heyden (Cello)
John McManus (Flöte, Whistle)

Keyboardsolos:
Ken Hensley (Hammond <16>)
Martin Orford (Synth <15>)
Joost van den Broek (Synth <2>, Spinett <13>)
Oliver Wakeman (Synth <17>)
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger