Varese – Poulenc – Delibes u. a. (Aristidou, S.)

Aether, Ether, Akasha?


Info
Musikrichtung: Recital Gesang

VÖ: 05.11.2021

(Alpha / Note 1 / CD DDD / 2021 / Best. Nr. Alpha 761)

Gesamtspielzeit: 65:29



GEWOLLT

Kein Recital mehr ohne ein entsprechendes Narrativ, mit dem der oder die Künstlerin ihre persönliche Geschichte mit der dort präsentierten Musik erläutert. Bei der Sängerin Sarah Aristidou ist es die Faszination des esoterischen fünften Elements, des Äthers, der sie zu ihrem Debutprogramm auf CD inspirierte.

Das Ergebnis ist eine extrem kurvenreiche Reise durch das Repertoire für Koloratursopran, das u. a. ein Lied Edgar Varèse und einen barockgitarrenbegleiteten anonymen schwedischen Folksong, Arien aus Leo Delibes Oper „Lakmé“ und Händels Oratorium „Trionfo de tempo e del desinganno“ als Stationen berührt. Auch Claude Debussys Abendlied der Melisande findet sich da, ebenso wie die Klage der Sophie Scholl aus Udo Zimmermanns Politoper „Die Weiße Rose“. Ausschnitte aus Francis Poulencs feierliches „Stabat Mater“ bringen neben dem Orchester noch einen Chor in Spiel.

Der Äther ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass er gewissermaßen metaphysisch als ewige Substanz zugleich ungreifbar bleibt. Sublimität, Zartheit, Schwebezustände mag man mit dem Begriff im Bereich der Kunst assoziieren. Aber was hat das mit den Stücken eigentlich zu tun? Die Sopranlage, den Höhenrausch?
Vielleicht zeigt die Unbedarftheit, mit der hier in einem denkbar vagen Assoziationsraum alles Mögliche zusammengezwungen wird, auch schon ein Problem eines solchen rein narrativen Programmkonzepts an. Am Ende muss zumindest sich also die Interpretation zumindest so überzeugend gestalten, dass man die Unwuchten einer eklektischen Programmatik akzeptiert.

Aristidous Sopran ist leicht, geschwind und flexibel. Es erstaunt, wie mühelos sie die Stile und Register wechselt und z. B. ein an John Cages „Aria“ erinnerndes Stück von Jörg Widmann, das Lachen, Singen, Schreien und diverse Schnalzlaute verbindet, selbstverständlich darbietet. Allerdings scheinen viele der ausgewählten Werke schlicht ein wenig zu groß, zu extrem in ihren Anforderungen, was man nicht erst dann merkt, wenn die Stimme virtuos gefordert ist und in höchste Höhen hinaufschnellt. Das Organ gerät hier unter Druck, klingt relativ einfarbig, eher eisig gleißend als leuchtend. Die Brillanz hat etwas Forciertes.
Auch die Textverständlichkeit ist unbefriedigend – aber wenn die Form alles ist und Äther-Ästhetik jedweden anderen Aspekt dominiert, ist es vielleicht ist es auch egal, ob nun Sophie Scholl vor der Hinrichtung ihrer Lebenssehnsucht Ausdruck verleiht oder man der berühmten „Glöckchenarie“ aus Lakmé lauscht.
Alles wird bewältigt, aber beim Hören stellt sich fast durchweg Anspannung ein. Das selten gesungene dreigestrichene e in der „Glöckchenarie“ beeindruckt vielleicht, aber es ist am Ende auch nur ein hoher Ton, es berührt nicht. Diese Performance verbindet weniger „Ätherisches“ als ein Kraftakt, mit dem die Sängerin ihre Vielseitigkeit demonstrieren möchte. Und trotz der zum Teil sehr prominenten Begleiter stellt sich selten ein Gefühl musikalischer Erfüllung und noch weniger eines von Sinnhaftigkeit ein.



Georg Henkel



Trackliste
Edgar Varese: Un grand sommeil noir
Francis Poulenc: Fac ut portem & Quando corpus aus Stabat Mater
Leo Delibes: Sous le ciel etoile & Chanson de la fille des parias aus Lakme
Ambroise Thomas: Le voila, je crois l'entendre aus Hamlet
Jörg Widmann: Labyrinth V
Claude Debussy: Mes longs aus Pelleas et Melisande
Igor Strawinsky: Song of the Nightingale aus Le Rossignol
Thomas Ades: Ariel's Song aus The Tempest
Georg Friedrich Händel: Arie aus Il Trionfo del tempo e del disinganno HWV 46a
Udo Zimmermann: Einmal noch einmal aus Die weiße Rose
Anonymus (Schweden): Näckens Polka
Besetzung

Sarah Aristidou, Sopran

Daniel Barenboim, Klavier
Emmanuel Pahud, Flöte
Christian Rivet, Barockgitarre

Chor der Klangverwaltung

Orchester des Wandels

Thomas Guggeis, Leitung



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