Berg, A. - Schönberg, A. - Webern, A. u. a. (Hanningan, B. - De Leeuw, R.)

Vienna - Fin de Siècle


Info
Musikrichtung: Spätromantik / Klassische Moderne - Klavierlied

VÖ: 20.09.2018

(Alpha / CD / DDD / 2017 / Best. Nr. Alpha 393)

Gesamtspielzeit: 77:41



EROS UND THANATOS

Abgründige Melancholie und schwärende Sehnsucht, Eros und Thanatos: Was die Herren Schönberg, Berg und Webern, Zemlinsky und Wolf sowie die Dame Alma Mahler im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert auf den Ruinen der Tonalität komponierten, ist ebenso sinnlich wie sinnenverwirrend. Eine chromatisch übersättigte Harmonik, die einen Geschmack hat wie überreifes Obst kurz vor der Gärung oder bunt schillert wie welkes Herbstlaub; irrlichternde Melodien, die unbewusste Gefühlszustände beschwören und nirgendwo hinführen (außer vielleicht in die Praxis von Sigmund Freud) - all dies bezeugt auch musikalisch eine Zeit im Umbruch, eine Epoche, die ihrem Ende entgegenfiebert.
Bevor mit der Zwölftonmusik ein neues, streng reguliertes Kompositionssystem etabliert wurde, öffnete sich für einen Moment das Tor zu einer Klangwelt, der zwar ihr tonales Gravitationszentrum zunehmend abhanden kam, die aber neue Freiheiten eröffnete. Vielleicht war diese Freiheit jenseits traditioneller harmonischer Regeln auf Dauer zu beunruhigend, um sie nicht gleich wieder in die Gesetzmäßigkeiten eines neuen Verfahrens zu pressen. Bis dahin würde es aber noch ein paar Jahre dauern.

Mit ihrem Liederprogramm Vienna: Fin de Siècle präsentieren Barbara Hannigan und Reinbert de Leeuw einen Querschnitt durch das Repertoire dieser dekadenten und experimentierfreudigen Spätzeit. Hannigans an neuer Musik geschulter schlanker, ausdrucks- und nuancenreicher Sopran bringt genau die richtige Mischung aus kantablem Raffinement und rhetorischer Zuspitzung für dieses Programm mit.
Zwar mögen andere Sängerinnen mögen Alban Bergs Sieben frühe Lieder mit mehr Stimmfülle dargeboten haben. Bei Hannigan überzeugt die Gratwanderung zwischen Gesang und Sprechgesang. Sie beherrscht die Kunst, mit fahlen Klangfarben eine unwirkliche, geisterhafte Stimmung zu erzeugen, um den Ton im nächsten Augenblick wieder verheißungsvoll aufglimmen zu lassen und so gleichsam mit musikalischen Mitteln einen irritierenden Augenaufschlag zwischen Entsagung und Verlangen zu inszenieren. Oder auch die Mignon-Lieder von Hugo Wolf: ein Musterbuch für den genau dosierten Einsatz des Vibratos als Ausdrucksmittel. So gelingt es, das Sirenen- wie Sphinxhafte dieser Stücke gleichermaßen zu vergegenwärtigen und die Musik in all ihrer Ambiguität zu präsentieren.
De Leeuw begleitet auf dem Klavier ebenso sensibel wie klar, weiß die Entrückungen ebenso zu inszenieren wie die gelegentlichen heftigen emotionalen Ausbrüche.
Auch klanglich ist dies eine sehr ansprechende Produktion. Als Hörer ist man nur allzu bereit, sich von dieser Musik davontragen zu lassen - und sei es in den Untergang, ins Verlöschen.



Georg Henkel



Trackliste
01-04 Arnold Schönberg: Vier Lieder op. 2
05-09 Anton Webern: 5 Lieder nach Gedichten von Richard Dehmel
10-16 Alban Berg: 7 frühe Lieder
17-23 Alexander von Zemlinsky: Lieder op. 2, 5, 7
24-27 Alma Mahler: Die stille Stadt, laute Sommernacht, ich wandle unter Blumen, Licht in der Nacht
28-31 Hugo Wolf: Mignon-Lieder nach Gedichten von Goethe
Besetzung

Barbara Hannigan: Sopran
Reinbert De Leeuw: Klavier



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