Musik an sich


Reviews
Pergolesi, G. B. (Prohaska/Fink)

Stabat Mater


Info
Musikrichtung: Barock

VÖ: 15.10.2010

(harmonia mundi / harmonia mundi / CD / DDD / 2009 / Best. Nr. HMC 902072)

Gesamtspielzeit: 59:53

Internet:

Akademie für Alte Musik Berlin



ZUM WEINEN SCHÖN

Es ist eine überraschend stimmige Kombination: Anna Prohaskas junger Sopran und Bernarda Fink, deren Mezzo inzwischen zum Alt nachgedunkelt ist, interpretieren Pergolesis berühmtestes Werk musikalisch überzeugend und zugleich erschreckend konsequent. Hier wird nicht transzendent, sondern sehr irdisch gelitten und zwar mit solch bittersüßer Inbrunst, dass der Schmerz wollüstige Züge annimmt. Das steht in der Tradition mittelalterlicher Mystikerinnen und entsprechender Darstellungen in der bildenden Kunst, man denke an Berninis Skulptur der heiligen Teresa von Avila oder an Botticellis Gemälde "Die Beweinung Christi", welche sinnfällig das CD-Cover schmückt. Uns mag - trotz allem medialen Voyeurismus´ - diese Intensität des Gefühls, diese Unmittelbarkeit und die Verknüpfung von Andacht und Ekstase befremden, aber kaum ein Werk der Musikgeschichte ist besser geeignet, sich einer solchen Vorstellungswelt zu nähern als das "Stabat Mater". Nur selten ist heute noch der Mut vorhanden, den entsprechenden Ansatz musikalisch in aller Tiefe auszuloten und dabei auch die opernhaften Züge der Komposition nicht zu verdrängen. Fink und Prohaska legen insoweit keinerlei Scheu an den Tag: Da wird reich verziert geseufzt, gestöhnt, gezittert, innegehalten und dann wieder expressiv die Qual herausgeschrieen. Wenn das schockiert, so dürfte der Komponist auch heute noch seine Intention erreicht und die Unermesslichkeit jenes Leidens der Mutter Jesu angesichts des Kreuzestodes ihres Sohnes ideal versinnbildlicht haben.
Anna Prohaskas Vortrag behält dabei durch die Strahlkraft und Stabilität ihres Soprans stets auch einen triumphalen Zug, während Bernarda Fink noch stärker die vom Schmerz gebrochene, höchst menschliche Seite verkörpert. Dass ihre Stimme dabei bisweilen in der Höhe nicht mehr die frühere Intensität besitzt, fällt nicht negativ ins Gewicht, sondern fügt sich hier sogar eher adäquat ein.

Die Akademie für Alte Musik begleitet dieses ergreifende musikalische, stimmlich blühende Schauspiel mit kongenialer Ausdrucksstärke. Programmatisch klug ist die Entscheidung, dem knapp 40minütigen Stabat Mater einige kleinere Werke voranzustellen, die teils orchestral, teils vokal die Pianto-Tradition aus der ersten Hälft des 18. Jahrhunderts repräsentieren. Das macht deutlich, welchem musikalischem Umfeld das Stabat Mater entstammt, aber auch, dass diese Entwicklung in dem Werk ihren Kulminationspunkt erfahren hat. Konsequent also, dass dem Stabat Mater auf der CD kein Stück mehr folgt - noch mehr Leiden geht eben nicht.



Sven Kerkhoff



Trackliste
1 Vivaldi: Sinfonia RV 169 "Al Santo Sepolcro"
2 Pergolesi: Salve Regina a due voci
3-5 Locatelli: Concerto a 4 "Il Pianto d´Arianna"
6-17 Pergolesi: Stabat Mater
Besetzung

Anna Prohaska: Sopran
Bernarda Fink: Alt

Akademie für Alte Musik Berlin
Bernhard Forck: Konzertmeister


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>