Musik an sich


Reviews
Messiaen, O. (Kodama)

Catalogue d‘Oiseaux


Info
Musikrichtung: Neue Musik - Klavier

VÖ: 01.10.2010

(Triton – Octavia Records / Sunnymoon 3 SACD hybrid / 2009 / Best. Nr. OVCT-00060)

Gesamtspielzeit: 158:38



SPIEL DER NATURKRÄFTE

Dass die Natur nicht einfach nur schön, sondern dynamisch, mysteriös und erhaben ist, so dass man sich darin regelrecht verlieren kann, steht als Erfahrung hinter Olivier Messiaens monumentalem Klavierzyklus Catalogue d’Oiseaux, dessen sieben Hefte mit insgesamt 13 Stücken zwischen 1955 und 1958 entstanden.
Mitten in der Hochzeit des abstrakten Serialismus komponierte Messiaen eine sehr konkrete Naturmusik, deren Hauptmaterial der Gesang von Vögeln seiner französischen Heimat war: Alpendohle, Loriot, Uhu, Kalanderlerche, Teichrohrsänger, Bussard und Großer Brachvogel heißen z. B. die großen Solisten, denen der Komponist unermüdlich in der Natur lauschte und deren Gesänge er minuziös notierte, wieder und wieder, um aus dem so gewonnenen Material ein ideales Porträt entstehen zu lassen. Dabei werden nicht nur der jeweils titelgebende Vogel vorgestellt, sondern auch andere „begleitende“ Sänger und Tier- oder Insektenlaute, die Landschaft, die Tageszeit, das Licht und die Farben schlagen sich in der Musik nieder. Zweimal klingt sogar von Ferne Menschlärm herein, am eindruckvollsten das Nebelhorn im letzten Stücke „Der Brachvogel“. Interessanterweise führt das mitunter zu Texturen, die ähnlich komplex und rhapsodisch sind, wie die Musik, die damals in Köln, Darmstadt und Donaueschingen die Musikwelt aufmischte. Und dann wieder ist der Catalogue ganz anders: sinnlich, mystisch, verspielt, in schönsten Farb-Harmonien schwelgend. Keine abstrakte Materialstudie, sondern ekstatische Naturbeschwörung. Zwar fehlt anders als sonst bei Messiaen ein ausdrücklicher religiöser Bezug. Doch geht man sicherlich nicht fehl, den Catalogue als eine Naturmeditation zu hören.

Messiaens Hauptinteresse gilt Rhythmus und Klangfarbe; formal besteht seine Musik meist aus der strophen- oder refrainartigen Montage ganz unterschiedlich „gefärbter“ Blöcke. Es findet keine Verarbeitung statt, es gibt nur Variationen des in der Natur Gefundenen oder Erlebten. Dabei stehen ergreifend atmosphärische Naturimpressionen in der Nachfolge Debussys neben verwickelten „Konzerten“ einzelner oder mehrere Vögel, deren hochkomplizierte, nichttemperierte Klangfarbenmelodien und Rhythmen Messiaen ingeniös auf das Klavier übertragen hat. Im einen Moment verweilt der Komponist bei der unheimlichen Dunkelheit der Nacht, die mit wuchtigsten, wirklich pechschwarzen Tonkomplexen herandrängt, im nächsten Moment vernimmt man das befremdliche Quaken von Fröschen, um danach in einer aufsteigenden Linie farbiger Tonkomplexe das Farbspiel des beginnenden Sonnenaufgang zu gewahren, bevor unvermittelt Gesänge verschiedener Vögel – Amsel, Rotkehlchen, Zaunkönig – den aufziehenden Tag musikalisch begrüßen. Zum Glück gibt es vom Komponisten ausführliche Kommentare und es ist tatsächlich möglich, den im Grunde recht übersichtlich disponierten Stücken zu folgen.

Dem Interpreten wird ein Höchstmaß an technischer Meisterschaft und Einfühlungsvermögen abverlangt. Die bloße Ausführung der Noten, und mag sie noch so korrekt sein, kann völlig unpoetisch und tot wirken, wenn sie nicht innerlich von eigenem Naturerleben befruchtet ist. Im Grunde muss man sich mit den originalen Vogelgesänge einmal wirklich intensiv beschäftigt haben, um ein Gespür dafür zu bekommen, wie so etwas klingt!
Die Japanerin Momo Kadoma bringt beides mit: perfekte Technik, stupende Virtuosität und Gespür für die geistige und poetische Welt von Messiaens Musik. Das Spiel der Naturkräfte wird in ihrer konzentrierten Interpretation erlebbar. Dabei ist sie eine objektive Sachwalterin: Anders als z. B. Anatol Ugorski (DG) ist ihre Interpretation sehr notengetreu, frei von den launigen, gar jazzigen Zwischentönen, die die Einspielung des Russen so persönlich und plastisch machen. Kadoma betont gewissermaßen die abstrakte Seite des Catalogue, während Ugorski sich des Zyklus nicht nur nachschaffend, sondern stärker mitgestaltend annimmt. So erkennt man in der Neueinspielung den Catalogue als ein Werk der 1950er Jahre , bei Ugorski hört man schon den späteren Messiaen heraus, der sich auch in seinen späteren Vogelmusiken von den rigideren Tonkonstruktionen dieser Zeit wieder entfernt, bei aller naturgetreue wieder harmonischer und weicher klingt.
Ugorski hat noch das 1970 nachkomponierte Stück La Fauvette des jardins (Die Gartengrasmücke) aufgenommen – geistig und inhaltlich gehört es zum Zyklus dazu. Schade, dass Kadoma dieses Werke nicht berücksichtigt hat. Auch für die späten Petites Esquisses d’oiseaux (1986) wäre noch Platz gewesen. Aber vielleicht ist für diese beiden Werke ja ein weiteres Album vorgesehen.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1 Buch 1-3 63:04
CD 2 Buch 4-5 48:49
CD 3 Buch 6-7 46:45
Besetzung

Momo Kadoma, Klavier


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>