Musik an sich


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THERAPY? + RICKY WARWICK – Drei Akkorde, die Wahrheit und ein Haufen Lärm




Info
Künstler: Therapy? - Ricky Warwick

Zeit: 20.11.2009

Ort: Augsburg - Kantine

Besucher: ca. 150

Internet:
http://www.rickywarwick.com
http://www.myspace.com/rickywarwick
http://www.therapyquestionmark.co.uk
http://www.myspace.com/therapyquestionmark

Es gab eine Zeit da gehörten die Nordiren THERAPY? zu den großen im Alternative-Zirkus. Das ist allerdings lange her. 1994 kam ihr unumstrittener und vor Hits nur so strotzender Klassiker Troublegum heraus. Ein Jahr später folgte das nicht viel weniger erfolgreiche Infernal love mit der populären Hüsker Dü-Coverversion „Diane“. Man war auf dem Höhepunkt angekommen. 1999 erschreckte die Band die gesamte Szene mit dem kantigen Suicide pact – you first und der Stern begann zu sinken. Zehn Jahre später folgte mit Crooked timber ein ähnlich garstiges und schroffes Noiserock-Album, welches auch nicht weniger umstritten ist. Also wieder keine gute Voraussetzung für die aktuelle Tour? Neugier war auf jeden Fall geweckt. Als Begleitung hatten THERAPY? ihren Landsmann RICKY WARWICK aus Belfast dabei, der ebenso Anfang bis Mitte der 90er seine Hoch-Zeit mit seiner ehemaligen Band The Almighty hatte. Und auch er schwankte früher stilistisch immer wieder etwas in andere Richtungen. Seit einigen Jahren zieht er als hemdsärmeliger Singer/Songwriter durch die Lande. So auch an diesem Abend in der Kantine in Ausgburg, als beide Acts gegen den Deutschrocker Wirtz anlärmen mussten, der im Erdgeschoss des zweigeschossigen Gebäudes die Decke zum vibrieren brachte.

Doch bevor der Nordire in seine Saiten haute, durfte erst eine lokale Vorband auf die Bretter um zu zeigen was sie kann. Und das war leider nicht allzu viel. Glücklicherweise hatten sie einen recht unverständlichen Bandnamen, den man sich nicht so schnell merken konnte. Denn ansonsten müsste ich sie jetzt anschwärzen. Was sie boten war ein zwar an sich netter, leicht rotziger Alternative Rock, aber die Darbietung war schlicht und einfach einschläfernd. Dafür hätte man sich nicht erst in schicken Zwirn hüllen müssen. Die Bassistin stand auf der Bühne als würde sie nicht dazu gehören, der schüchterne Sänger stolperte von einer hilflosen Ansage zur nächsten und die beiden Gitarristen spielten irgendwie für sich selbst. Lediglich der Drummer zeigte sich engagiert. Es strotze eigentlich nur so vor Proberaummuff. Bitte dorthin zurückkehren!

Ganz anders die Aufführung des drahtigen und voll tätowierten Belfasters RICKY WARWICK. Er stürmte zwar mit seiner akustischen Gitarre recht unauffällig auf die Bühne, brannte dort aber sofort förmlich und stürzte sich voller Elan eine knappe Dreiviertelstunde in seine Songs. Musikalisch hat er das Singer/Songwriter- bzw. Folk-Genre nicht neu erfunden, aber was er und vor allem wie er es bietet, hat einfach Hand und Fuß. Die Sechssaitige hängt (ganz Rock ´n Roller) tief bis zu den Knien und er erzählt Geschichten aus dem harten Leben. „Tough folk for the masses“ nennt der Musiker das selbst. Und das passt wie das berühmte Hinterteil auf den Eimer. Dem Charme von Titeln wie „Can’t wait for tomorrow“, „Three sides to every story“, „Johnny or Elvis?” oder der Ode am seine Heimatstadt, „Belfast Confetti“, kann man sich so schnell nicht entziehen. Er klopft ohne große Pausen seine Songs mit voller Kraft runter. Da fällt es zuerst fast nicht auf, dass sich bereits an dritter Stelle eine Coverversion von Motörheads „Ace of Spades“ eingeschlichen hat. Wer hätte gedacht, dass diese Nummer auch im akustischen Gewand funktioniert. Das Publikum honoriert das dementsprechend und der Launepegel schlägt nach oben aus. Noch viel mehr bei Cashs „Ring of fire“. Auch Rickys Almighty-Vergangenheit blieb nicht unberührt. Ein paar Nasen war seine Ex-Band doch noch bekannt und die Auswahl des Publikums zischen „Free ´n easy“ und „Jesus loves you“ fiel schwer. Die Freiheitshymne machte schließlich das Rennen - rotziger Akustikrock in Reinkultur. Das wurde nur noch vom starken „The arms of Belfast town“ übertroffen, bei dem die anwesenden (zukünftigen?) Fans lautstark den Farewell-Chor mimten. Eine tolle Vorstellung des Iren, welche definitiv Lust auf mehr macht!

Sollte es danach bei THERAPY? vielleicht noch besser werden? Der anwesende Rezensent war da doch etwas skeptisch. Aber die Vorfreude ein paar alte Jugendhelden wieder zu sehen war dann doch größer und die Eröffnung mit „Turn“ war doch eine gute. Die anschließenden „Rain hits concrete“ und „Stories“ machen noch mehr Spaß. Das sahen die meisten Anwesenden genauso und hießen das recht spartanisch auftretende Trio herzlich willkommen. Und viel hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Sänger/Gitarrist Andy Cairns wirkt immer noch wie der nette Nachbar von nebenan und sein Bass spielender Kompagnon Michael McKeegan hüpft immer noch wie ein angestachelter Gummiball über die Bühne. Mit Neil Cooper haben sie dafür seit einigen Jahren den wohl besten Drummer ihrer Bandgeschichte. Das fällt besonders bei den sehr rhythmischen und auf einfachen Riffs aufgebauten Songs von Crooked timber auf, die ohne sein Spiel nur halb soviel wert wären. Überhaupt die neuen Songs, zwischen all den schmissigen Oldies wirkten sie stellenweise wie Fremdkörper, besonders für Neulinge, was man auch an den eher zurückhaltenden Publikumsreaktionen merkte. Am interessantesten von ihnen kamen das leicht gotisch angehauchte „Exiles“ und der stimmige Titelsong rüber.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen für die meisten mit Sicherheit ältere und griffigere Songs, was doch schon immer die Spezialität von Therapy? war. „Isolation“ ist zwar kein Eigengewächs, sondern ein Joy Division-Cover, doch das Trio machte sich den Song schon lange zueigen. An diesem Abend war es ein erstes großes Highlight und entfachte den ersten Moshpit. „Teethgrinder“ und „Nausea“ führten das noch weiter. Der vorläufige Stimmungshöhepunkt war allerdings „Die like a motherfucker“, dessen Refrain laut und begeistert vom Publikum mitgesungen wurden. Und dieses scheint in den letzten Jahren nicht unbedingt jünger geworden zu sein. Leute unter 25 waren nur wenige zu sehen. Die Nordiren scheinen langsam aber sicher auch zum Alternative-Oldie zu werden. Aber sei’s drum, wer schon in den 90ern zu „Die laughing“ und „Diane“ (dieses Mal als starke, ursprüngliche Punkfassung) feierte, tat das auch an diesem Abend. Nicht einmal Andy Cairns’ Gitarrentechniker konnte mehr stillhalten und ging begeistert mit, während Michael auf und ab hüpfend den Saal anfeuerte.
Nachdem das Trio verschwitzt diese beiden Songs zum Besten gab, war leider erste einmal Schicht im Schacht. Glücklicherweise aber nicht für lange. Nach kurzer Pause und einem letzten Exkurs Richtung „Crooked timber“ (kühlte die Atmosphäre nochmals ab), brachen endgültig alle Dämme: „Lonely, cryin’, only“ (geil!), „Potato junkie“ (noch geiler!) und „Screamager“ (am geilsten!). Und als Andy kurz The Beatles’ „Nowhere man“ anspielte war klar, dass jetzt nur der Überhit „Nowhere“ folgen konnte. Dem war auch so und die ersten Meter vor der Bühne waren nur noch eine ausflippende und wogende Masse. Am Ende gab es wohl keinen der unzufrieden nach Hause ging. Nicht einmal die Band selbst, der man die Dankbarkeit für den begeisterten Empfang wirklich ansah. Die drei sind also immer noch (oder wieder?) drei bodenständige Musiker mit Spaß an dem was sie tun. Das merkt man auch an ihren Alben, denn dort gibt es nur das zu hören was die Band persönlich will und Anbiederung an den Massengeschmack zeigt man den gestreckten Mittelfinger. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass man heute nur noch vor geschätzten 150 Fans spielt, und nicht mehr vor 1.500. Aber unbeschadet dessen kann man nur feststellen, dass Therapy? es immer noch können und nach wie vor eine starke Liveband für Clubs sind!

Setlist Therapy?:
Turn
Rain hits concrete
Stories
Enjoy the struggle
The head that tried to strangle itself
Clowns galore
Isolation
Our white noise
Teethgrinder
Nausea
Bad excuse for daylight
Exiles
Rust
Die like a motherfucker
Die laughing
Diane
---
Crooked timber
Lonely, cryin’, only
Potato junkie
Screamager
Nowhere



Mario Karl



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