Musik an sich


Artikel
THE AMENTA – "n0n" in allen Einzelheiten




Info
Gesprächspartner: The Amenta

Stil: Industrial Death/Black Metal

Internet:
http://www.theamenta.com
http://www.myspace.com/theamenta

Mit seinem zweiten Album n0n hat das Bandprojekt THE AMENTA ein interessantes Stück extremer Musik auf die Menschheit losgelassen. Die radikale Mischung aus Death- und Black Metal, sowie einer gewaltigen Portion Industrial und elektronischer Spielereien erschafft ein gewaltiges, aber nicht gerade leicht zu konsumierendes Klanginferno. Doch nicht nur in dieser Hinsicht geben sich die Australier radikal. Auch in textlicher Hinsicht stehen THE AMENTA auf starke, unbequeme und sozialkritische Aussagen, welche man hinter dieser Lärmwand nicht unbedingt vermutet hätte, aber zusammen mit der Musik ein recht stimmiges Bild abgeben. Um etwas Licht in das inhaltliche Dunkel zu bringen, erläutert das Musikerkollektiv hier nun jeden Song im Einzelnen.


On
Das Albumintro „On“ wurde aufgenommen um die Medienüberflutung, welche Teil des modernen Lebens ist, zu simulieren. Es beginnt mit dem Einschaltgeräusch von elektronischen Geräten. Verschiedene Samples von Radios und Fernsehern wurden zusammen geschnitten um einen verwirrenden Effekt zu schaffen. Die Samples werden immer wieder von elektronischem Krach unterbrochen.
Wir leben in einer Welt in der Medien allgegenwärtig sind. Jeder Haushalt hat einen Fernseher, der stundenlang am Tag Meinungen und „Wahrheit“ hinausbrüllt. Der Krach so ist laut, dass die Leute nicht mehr selbst denken können.

Junky
„On“ geht thematisch in „Junky“ über. „Junky“ handelt von der menschlichen Sucht nach Fernsehen, Radio und Internet. Die Meinungen der meisten Leute wurden durch Nachrichten geformt, welche von diesen Medien vor ihnen ausgespieen wurden. Leute denken nicht mehr länger für sich selbst. Sie erlauben ihrem Geist sich zu entspannen und saugen die Meinung auf, welche am lautesten hinausgeschrieen wurde.
Dieser Song behandelt die Idee, dass die menschliche Psyche durch die Reize geformt wird, welchen es ausgesetzt ist. In der Vergangenheit wurde die menschliche Psyche von Eltern, Gleichaltrigen und pädagogischer Bildung beeinflusst. Aber was passiert mit der Psyche wenn sie dem Fernsehen ausgeliefert ist? Wenn durch einen einfachen Klick auf der Fernbedienung das Bild eines Laufstegmodels dem eines dreifachen Mordes nebeneinander gestellt werden kann? Wenn ein Nachrichtenbericht über die Zerstörung von New Orleans durch eine Werbung für Waschmittel unterbrochen wird? Welche Art von Psyche wird dadurch geformt?
Musikalisch soll dieser Song den Schnipselcharakter der Medien mit einer Fernbedienung darstellen. Riffs werden zu seltsamen Zeitpunkten ein- und ausgeblendet. Der Song führt vom einem explodierenden Chaos zu einem epischeren Chorus und dann to einem elektronischen Mittelteil. Über das ganze Lied hinweg werden Samples von Radiointerviews mit Terroristen und Politikern zusammengefügt.

Vermin
„Vermin“ handelt von der Idee, dass Menschen, vom natürlichen Standpunkt aus, sehr primitive Tiere sind. Was uns vom Affen unterscheidet, ist die Fähigkeit über unsere Urinstinkte hinaus zu denken. Aber wenn man sich anschaut wie sich Menschen benehmen, sind sie doch Sklaven ihrer Urinstinkte. Ficken, kämpfen und fliehen. Leute agieren nicht, sie reagieren. Wie Tiere. Nur Wenige nehmen sich die Zeit über diese natürlichen Instinkte hinaus zu denken. Diejenigen die das tun verdienen den Titel Mensch. Leute welche das nicht tun, sind nur Tiere mit Geld.
Einer der kürzeren Songs auf dem Album. „Vermin“ ist ein musikalischer Schlag ins Gesicht. Die Botschaft ist simpel und richtet sich an einfache Leute. Deshalb ist das Arrangement möglichst knapp und bündig um für einen maximalen Einschlag zu sorgen.

Entropy
Dieses Lied handelt von der melodramatischen und der MySpace-Kultur. Die beiden schlimmsten Eigenschaften des modernen Menschen sind sein Exhibitionismus und sein Voyeurismus. Jeden Tag verbreiten Leute private Informationen auf ihrer MySpace- oder Facebookseite. Und andere saugen es auf. Unbedeutende persönliche Dinge werden auf Seifenoperenniveau aufgeblasen. Es ist widerlich. Denkst Du mich interessiert das?
Der Song basiert auf einem Sounddesignexperiment. Perkussionssounds wurden aus einfachen Signalwellen geformt und Verzerrung wurde an zufälligen Stellen hinzugefügt um einen Riesentumult zu erschaffen. Es ist ein elektronischer Punksong. Eine Hasshymne.

Slave
Religion ist nicht mehr länger der Feind an man seinen Hass richten sollte. So zu denken ist äußerst primitiv. Es ist lange her, dass Religion für die westliche Welt eine Art Bedrohung war. Die neue Bedrohung ist die Politik hinter der Religion. Links oder rechts, jegliche westliche Politik beruht auf binären Prinzipien. Schwarz oder Weiß, das Ignorieren jeglichen Graus. Das ist das neue Dogma. Es ist viel stärker als das alte Modell, weil es Geld besitzt!
„Slave“ wurde während Wahlen geschrieben, lokalen und internationalen. Das Lied ist das Ergebnis des Anblicks von gehirnlosen Mitläufern die Parolen schreien, in den Straßen kämpfen oder auf Versammlungen für Politiker jubeln, deren Ideale nicht klar erkennbar sind. In einer binären Welt kann es zwei Seiten geben. Das ist die Situation in der wir uns selbst vorfinden. Es gibt keine Möglichkeit, dass eine dieser beiden Seiten die tatsächlichen Gefühle eines denkenden Menschen in ihren Programmen adäquat ausdrückt. Mit was wir zu kämpfen haben, ist ein Massenkompromiss. Was wir sehen sind Menschen, welche die selbe Leidenschaft für etwas entwickeln, dass sie nicht verstehen, wie es eine einfache Person für seinen Gott oder ein Idol fühlt.
Primitive Menschen verspüren einen Drang ihr Ego durch eine höhere Macht auslöschen zu lassen. Etwas das sie nicht verstehen, ihnen aber ein Gefühl von Verbindung gibt. Im Mittelalter war dies Religion. In der heutigen Zeit ist das „Demokratie“. Frag Dich selbst: Verstehst Du wofür Du unterschreibst? Hast Du Dir eine eigene Meinung gebildet? Verstehst Du die Verzweigungen?
Achtet auf den Gastsänger im Outro.

Whore
„Whore“ ist eine Anklage an die menschliche Angst. Speziell die Angst vor dem Unbekannten. Viele Menschen, talentierte und intelligente Menschen, erlauben sich selbst zu stagnieren, rein aus der Angst heraus, aus ihrem bequemen Umfeld heraus zu geraten. Die Behaglichkeit eines Nine-to-Five-Jobs, so Seelen zerstörend ein solcher auch sein mag, wird dem Verfolgen eines Traums, dessen Ausgang unsicher ist, vorgezogen. Diese Menschen sind Opfer ihrer eigenen Angst. Sie könnten etwas besonderes sein, aber so sind sie nichts. Das Wissen, dass sie sich selbst verkauft haben, verwandelt diese einstmals leuchtenden Sterne in zynische, sich selbst hassende Ratten.
Dieser Song besitzt eines der komplexeren Arrangements. Scherben weißen Rauschens und Radiogeplapper werden verwendet, um ein aufgeregtes Gefühl zu vermitteln. Elektronische und akustische Drums spielen gegenläufige Rhythmen. Eine Metapher für das innere Ringen einer Lohnhure. Jason Mendocas (Akercocke) trockene und hämische Vocals spucken unsere Abscheu auf die Welt hinaus.

Spine
„Spine“ ist rund um eine Zeile aus Burroughs „No more Stalins, no more Hitlers“ aufgebaut. Die meisten politischen Systeme, natürlich auch die „Demokratie“, erwecken die Illusion von Macht beim Einzelnen, egal wie die Machtverhältnisse in der Struktur des Systems selbst liegen. Egal welche Partei an der Macht ist, das System verbiegt sich nicht, damit der „Führer“ die Kontrolle übernehmen kann. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein einzelner Mann die Macht über ein Land übernehmen kann, um es nach seinem Willen zu formen. Ob gut oder schlecht. Es gibt in politischen Systemen kein Rückrat mehr, das man in diese oder jene Richtung biegen kann, um seine Ziele zu erreichen. Es gibt lediglich ein starres Gehäuse von Regeln und Abläufen, welches größere Veränderungen verhindert. Die Welt wird politisch ins Stocken geraten, bis entweder eine Revolution kommt (infolge derer der ganze Prozess wieder von vorne beginnt) oder das System so tief verwurzelt, dass die Illusion von Demokratie und Wahlen unnötig werden.
Dies ist der erste Track von The Amenta auf welchem es klaren Gesang zu hören gibt, freundlicherweise von Nathan Wyner (A Secret Death). Verbunden mit Dub-Perkussion, macht das „Spine“ zu einem der ungewöhnlichsten Songs die The Amenta je aufgenommen haben.

Diskografie
Mictlan (EP, 2002)
Occasus (2004)
n0n (2008)
Skin
Hierauf gibt es mit Alica Daquet (Sir Alice) einen Gesangsgast. „Skin“ wird das The Amenta-Publikum spalten. Ursprünglich um ein Loop eines misslungenen Gitarrenleads aufgebaut, nahm es mit der Zeit die Form eines Downbeat Dubinstrumentals an. Heavy verzerrte Gitarren erklingen über großen Perkussionsdelays, die ein hypnotisches Dröhnen erzeugen.
Dies ist ebenso The Amentas erstes Experiment mit einer Erzählung. Der Text von „Skin“ basiert auf einer Auseinandersetzung die wir zwischen einer Prostituierten und einen gut gekleideten Herrn in den Straßen von Kings Cross, Sydneys Rotlichtbezirk, beobachtet haben. Die Themen aller anderen Songs verbinden sich in dieser Erzählung, welche Prostitution in all ihren Formen als Metapher des modernen Lebens benutzt.

Dirt
„Dirt“ handelt von dem Moment indem man realisiert, dass man die Welt nicht verändern kann, egal wie übel sie auch ist. Es ist beides, ein ernüchterndes, sowie ein befreiendes Gefühl, zu merken, dass man machtlos ist. Es lässt einem drei Möglichkeiten. Du kannst aufgeben und dir selbst gestatten sanft im stillstehenden Becken des Lebens zu versinken. Du kannst aufgeben und dich umbringen. Oder du kannst weiterkämpfen, obwohl du weißt, dass du nicht gewinnen kannst. The Amenta haben die letzte Möglichkeit gewählt. Wir wissen, dass die Welt kacke ist. Wir sind nicht damit einverstanden wie diese Welt geführt wird. Wir wissen, dass wir die Welt nicht verändern können, aber wir wissen, dass wir kein Teil davon sein wollen. „Dirt“ beschuldigt jeden der aufgibt, weil er es nicht schafft. Wenn man es weiter versucht, kann man nicht scheitern.
Der Song enthält einen unglaublichen Auftritt von Ruins Alex Pope in den Strophen und als Backing im Refrain. „Dirt“ ist auf den ersten Blick eine epische, langsame Nummer. Aber lass Dich durch das Intro nicht täuschen. „Dirt“ beinhaltet unsere komplexesten Wechsel und Programmierungen. Dies ist der letzte Song den wir von n0n geschrieben haben und das Licht am Ende des Tunnels spiegelt sich in den enormen Akkordwechseln wieder.

Atrophy
Ein weiteres Programming-Experiment von Grund auf. „Atrophy“ verwendet auch ein Sample das von einem versehentlich kurzgeschlossenen Radio stammt. Das Sample wird auf dem Album oft verwendet (offensichtlich, sowie unterschwellig) und stammt von einem irakischen Nationalisten (kein moslemischer Extremist), welcher die Verwendung von Terrortaktiken in der Verteidigung diskutiert. Ein englischer Reporter versucht noch etwas Mitgefühl aus ihm herauszubekommen. Die sachliche Art des Samples und der Zufall seiner Aufnahme inspirierte die sich anschleichende Furcht der Musik.
Sechs Instrumentalstücke wurden für das Album geschrieben. Dieses Sample taucht in drei davon auf. Eines dieser Instrumentalstücke, falls es jemals veröffentlicht wird, wird das Sample in seiner Gänze zeigen.

Cancer
„Cancer“ war das erste Lied, welches für das Album geschrieben wurde. Was als Übung im Erzeugen von atmosphärischen Klängen mit der Gitarre begann, verwandelte sich schnell in den Song auf dem Album mit dem komplexesten Aufbau. „Cancer“ zeigt wie The Amente den Staub des Vorgängeralbums Occasus abschütteln und etwas Neues versuchen. In diesem Song stolpert man über viele Ideen, die in größerer Tiefe in anderen Writingsessions erforscht wurden. Elektronische Perkussion, metallische Musik und Sampleschnitte wurde dazu verwendet, um den Text über die Stagnation moderner Kunst darzustellen. Die Kunst wurde der Idee des Postmodernen untergeordnet, was im besten Fall unoriginelle Kunst oder im schlimmsten, beschissene Ironie hervorbringt.
Auch extreme Musik ist nicht frei von dieser Seuche. Tatsächlich liefert das den perfekten Mikroorganismus. Bands treiben sich nicht mehr nach vorne. Sie bevorzugen es ein Album zu veröffentlichen, das wie eine Summierung ihrer Einflüsse klingt. Bands die In Flames hören, klingen wie In Flames. Bands die Darkthrone hören, klingen wie Darkthrone. Nur sehr wenige Bands veröffentlichen noch wichtige Musik. Niemand versucht mehr sicht selbst auszudrücken, lieber zollen sie anderen Bands Tribut. Diese kriecherische Schmeichelei ist ein Gräuel für jegliche Weiterentwicklung.
Der Krebs (deutsch für Cancer) im Titel steht für die Kriecher, welche sich an Stile und Genres wie ein Tumor klammern und das Leben aus ihnen heraus saugen.

Rape
„Rape“ ist der finale Weckruf. Der Text von „Rape“ vereint alle Themen des Albums und präsentiert dem Hörer eine Option: Entweder kann er sich wie ein Tier in der Mittelmäßigkeit suhlen, oder er kann er kann den kontrollierenden Einfluss des binären Gedankenguts bekämpfen um ein Mensch zu werden.
„Rape“ ist musikalisch zweigeteilt, was die beiden Seiten der binären Gleichung repräsentieren. Sie sind durch ein langes Gitarren- und Synthesizerdröhnen verbunden, was eine neue Seite an The Amenta ist. Diese beiden Seiten zeigen auch die beiden Pole von The Amentas Musik. Von der hässlichen, metallischen Perkussion und den explodierenden Verzerrungen im ersten Teil, zu dem melodischen, fast symphonischen Lärm am Ende. Der Aufbau von „Rape“ spiegelt den von „Sangre“, der Schlussnummer von Occasus wieder. Eine Verbeugung vor dem Alten, während wir es tretend und schreiend in die Gegenwart schleifen.


Mario Karl



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