Musik an sich


Reviews
Reich, St. (Griffiths)

Sextet – Piano Phase – Eight Lines


Info
Musikrichtung: Neue Musik Ensemble

VÖ: 24.09.2007

CPO / JPC
CD (AD DDD 2006) / Best. Nr. 777337-2


Gesamtspielzeit: 57:16



MECHANISCHE POETIK

Hat Steve Reich vielleicht den authentischen Soundtrack zum Industriezeitalter geschrieben? Das Wunder einer sich selbst aus minmal variierten Wiederholungen sich zeugenden, "komplex-einfachen" Musik erinnert durchaus an die mechanische Poesie maschineller Fertigungsprozesse, wo sich eins zum anderen fügt, bis am Ende das vollständige Produkt herauskommt. Dass dabei mehrere Verläufe harmonisch und rhythmisch gegenläufig oder parallel geschaltet werden, versetzt einen immer wieder in eine imaginäre Maschinenhalle, wo sich alles dreht, Bänder auf und ab laufen und unzählige Zahnräder ineinandergreifen. Ein gewisser erhöhter Härtegerad des Klanges, den Reich (erfreulicherweise) bis heute kultiviert, unterstützt diesen technischen Eindruck noch. Selbst die langsamen Abschnitte ähneln eher zeitlupenartig verlangsamten Uhrwerken denn atmenden Organismen. Spirituelle meditative Versenkung hört sich anders an – oder?
Vielleicht. Aber der ebenso bezwingende wie nervtötende Reiz, den Reichs Musik auf den Hörer ausübt, hat einen hohen Verzauberungsgrad. Der rund einstündige Reich-Digest den The London Steve Reich Ensemble soeben bei CPO vorgelegt hat, demonstriert das eindrücklich. Bewundernswert ist die swingende Präzision, die die Spieler erreichen.
Älteste Komposition ist die dem Tonband abgelauschte Piano Phase von 1967, die nur von zwei hochkonzentrierten Pianisten zu realisieren ist. Die leicht divergierenden und immer neue Muster ausspinnenden Klavierparts bieten Reich-Minimalismus pur. Das phase-shifting war die Initialzündung für die nachfolgenden Werke, die schrittweise auch traditionellere Kompositionsverfahren wie Kanontechniken verwenden. Auch harmonisch und klangfarblich wurde die Musik komplexer.
Das Eigth Lines und das Sextet aus den frühen 1980er Jahren frappieren durch Bündigkeit und genaues Timing. Wie sich da beim Sextet synthetische und akustische Klänge mischen und durch sich überlagernde Tempi nicht nur ein Klang-, sondern auch ein Zeit-Kaleidoskop erzeugen, hält das Ohr für rund 30 Minuten unter Spannung. Kernige Akzente prägen die Textur von Eight Lines. Die acht „Linien“ ergeben ein phantastisch gezacktes kontrapunktisches Webmuster.
Die beiden Pianisten und die britischen Reich-Adepten unter Kevin Griffiths bleiben der Musik nichts an Transparenz und detailgenauer Darstellung schuldig, klingen dabei angenehm unangestrengt. Reichs mechanische Poetik kommt kinderleicht, fast selbstvergessen herüber.
Auch wer Minimalmusik einfach exemplarisch kennenlernen möchte, darf bei dieser Platte bedenkenlos zugreifen.



Georg Henkel



Trackliste
01-05 Sextet 27:22
06 Piano Phase 13:40
07 Eigtht Lines 16:10
Besetzung

The London Steve Reich Ensemble

Kevin Griffith, Ltg.


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