Musik an sich


Reviews
Mascagni / Leoncavallo

Cavalleria rusticana / Pagliacci (DVD)


Info
Musikrichtung: Oper / Verismo

VÖ: 15.10.2007

Opus Arte / Naxos (2 DVD (AD: 2007, live) / Best.nr. OA 0983 D)

Gesamtspielzeit: 201:00

Internet:

Opus Arte

Giancarlo del Monaco



PACKENDES DOPPELPACK

Das unvermeidliche Doppelpack und der operngeschichtliche Auftakt zum Verismo sind Mascagnis (1862-1945) "Cavalleria rusticana" (1890) und Leoncavallos "Pagliacci" (1892). Sie passen schließlich nicht nur musikhistorisch und aufgrund ihrer Gesamtspieldauer gut zueinander, sondern auch wegen ihrer verwandten Libretti, in denen es im Milieu der einfachen Leute um Untreue, verletzte Ehre und Eifersucht geht und in denen diese Gefühlsmixtur jeweils schließlich zum Mord mit dem Messer führt. So sind sie in der Kombination dem Opernfreund meist bestens vertraut. Aber: Das schützt in diesem Fall nicht vor Erschütterung. Der hohe künstlerische Rang der musikalischen Deutung, das intensive Spiel und die durchdachte Regiearbeit von Giancarlo del Monaco führen dazu, dass einem trotz der Vertrautheit mit den Geschichten der Atem stockt und man sich als Zuschauer nach rund 2 Stunden Operngenuss mitfiebernd und mitleidend nassgeschwitzt auf dem Sofa wiederfindet, zurückgekehrt aus einer anderen Welt, in die man zwingend hineingezogen wurde. - Etwas besseres kann man über eine Oper aus der Ära des Verismo, dem es genau um diesen Effekt ging, wohl nicht sagen.

Ein solcher Effekt stellt sich nur ein, wenn die Sänger nicht als solche auftreten, sondern als sehr reale Personen, die nicht das Gefühlsleben einer fremden Personen darstellen, sondern nach der Intention dieser Strömung der Operngeschichte, ihre eigene Seele offenbaren. Und genau das gelingt hier. Neben einer präzisen Personenführung sorgt dafür die ungewohnt überzeugende schauspielerische Leistung aller Sänger. Auch ihr musikalischer Vortrag wirkt durchweg eindringlich, jedoch nicht opernhaft überzogen - eine schwierige Gratwanderung, die von fast allen mit Bravour gemeistert wird. Besonders überzeugend gelingt die Personenzeichnung Vincenzo La Scola (Turiddu), Maria Bayo (Nedda) und Vladimier Galouzine (Canio). Violeta Urmanas Santuzza bleibt hingegen etwas zu blass, was nicht zuletzt daran liegt, dass ihre Stimme überanstrengt wirkt.

Jesús López Cobos leitet Chor und Orchester des Madrider Teatro Real mit Verve, dramatischer Zugkraft und orchestraler Farbenpracht. Dabei droht das Orchester manches Mal allerdings die nicht eben schwachen Stimmen der Sänger zu übertönen, die vor allem bei der "Cavalleria rusticana" nicht optimal eingefangen wurden.

Das Bühnenbild ist für die "Cavalleria rusticana" von der Kühle weißen Marmors und einem weiten Bühnenraum geprägt. Die Strenge des gesellschaftlichen Umfelds wird im Sinne einer schwarz-weiß Zeichnung verdeutlicht, indem sämtliche Akteure im Kontrast zum Bühnenbild schwarz kostümiert sind. Das wirkt ein bißchen arg plakativ, wie auch der Einfall, beim Osterchoral eine (verspätete) Karfreitags-Bußprozession mit Selbtsgeißelungsszenen vorbeiziehen zu lassen.
Beim "Pagliacci" ist die Ausstattung zunächst eher schlicht und der Raum durch den Bühnenkarren der fahrenden Schauspieltruppe verengt, ehe er sich in dem Theaterspiel mit einer Bühne auf der Bühne und einer Kulisse mit übergrossen, beleuchteten Fotowänden weitet. Die an der comedia dell´arte orientierten Kostüme der Akteure bilden dabei einen schönen Kontrast zu dieser Kulisse, die eher der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts zuzuordnen ist.

Großartig wird eingefangen, wie Tonio, der aus Rache als einziger Freude am blutigen Ausgang des Spiels hat, mit den Schlussakkorden die Szenerie und den ganzen Raum durch die Zauschauerreihen verlässt, über die er eingangs mit dem Vortrag des Prologs das Theater betreten hat. Die Grenzziehung zwischen Bühnen- und Zuschauerraum ist aufgehoben, wahre und echte Gefühle vermengen sich hier wie da und es dauert einen Moment, bis man wieder weiß, was echt und was gespielt, was eigene und was fremde Geschichte ist.
Ein Opernerlebnis der Extraklasse, das durch die zweite DVD, die ausschließlich ausführliche Intervies mit Regisseur, Dirigent und Sängern beinhaltet, noch aufgewertet wird. Bei der technischen Realisation sind allerdings zwei Punkte zu bemängeln: Die weiße Schrift der Untertitel bei der "Cavalleria" ist vor der weißen Marmorszenerie praktisch nicht lesbar (weißer Adler auf weißem Grund...) und der Schnitt nach dem Schlussakkord des Mascagni-Werkes ist unnötig scharf gesetzt, so dass er den Zuschauer äusserst unsanft aus der evozierten Stimmung hinauskatapultiert.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Cavalleria rusticana:
Violeta Urmana - Santuzza
Vincenzo La Scola - Turiddu
Dragan Jugovic - Lola
Viorica Cortez - Mamma Lucai
Marco di Felice - Alfio

Pagliacci:
Vladimier Galouzine - Canio
Maria Bayo - Nedda
Carlo Guelfi - Tonio
Antonio Gandia - Beppe
Ángel Ódena - Silvio

Chor und Orchester des Teatro Real Madrid

Ltg. Jesús López Cobos

Regie: Giancarlo del Monaco


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>