Musik an sich


Reviews
L’Estorcart – Morlaye – Lasso u. a. (Chant 1450)

Du fond de ma pensée. Musik der frankophonen Reformation


Info
Musikrichtung: Renaissance Reformation

VÖ: 01.10.2007

Christophorus / Note 1
CD (AD DDD 2006) / Best. Nr. CHR 77297


Gesamtspielzeit: 61:32



CALVIN SINGT

Noch vor wenigen Jahren war es gar nicht so einfach, Musik der frankophonen Reformation zu bekommen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Musik hier einfach eine ganz andere Rolle spielte als bei Martin Luther, bekanntlich ein großer Freund und Förderer der Kirchenmusik.
Sein Mitstreiter (und Widerpart) Johannes Calvin schätzte diese zwar durchaus als geistliches Stimulans, das die müden Herzen zu Gott erheben sollte. Aber er wollte sie im reformierten Gottesdienst doch auf schlichte einstimmige Psalmgesänge der Gemeinde beschränkt wissen, die ausschließlich der Verstärkung des biblischen Wortes dienten.
Daher kam der Gottesdienst als Betätigungsfeld für Komponisten kaum in Frage und die Entfaltung geistlicher Musik beschränkte sich auf den Hausgebrauch. Dort wurde sie intensiv im Rahmen privater Andachten gepflegt. Grundlage dafür war der französische „Genfer Psalter“. Dieser enthielt unter anderem Übertragungen aller 150 Psalmen durch Clément Marot, und zwar in Reimform. Jeder dieser Nachdichtungen wurde von Claude Goudimel eine einstimmige Melodie unterlegt. Viele davon waren so eingängig, dass sie im 20. Jahrhundert mit anderen Texten auch ins katholische Gotteslob Eingang fanden. Die einstimmigen Fassungen des „Genfer Psalters“ wurden nach seinem Erscheinen von anderen Komponisten mehrstimmig ausgesetzt und konnten vokal, instrumental oder in Mischform musiziert werden. Hochwertige Gebrauchsmusik also, die ihre Anforderungen auf die kammermusikalischen Möglichkeiten häuslichen Musizierens beschränkte. Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sie bisher selten eingespielt wurde.

Inzwischen ist das umfangreiche Repertoire in mehreren Aufnahmen gut dokumentiert. Das Ensemble Claude Goudimel hat 1994 beim Label Naxos einen Querschnitt der Goudimel-Fassungen vorgelegt, deren Interpretation bewusst „kunstlos“ gehalten wurde. Gut vorstellbar, dass die Musik von geschulten Laien und Gottesdienstbesuchern seinerzeit so geklungen hat.
Ähnlich gelagert, dabei aber im Programm didaktischer angelegt ist die anlässlich einer Ausstellung in Genf entstandene Aufnahme Chants et Musiques de la Réforme, die die Verwandlungen der einstimmigen Vorlagen durch kompositorische Umformungen und unterschiedliche Besetzungen exemplarisch vorstellt (Gallo 2005).
Zu den schönsten Einspielungen der oft ergreifenden Melodien und ihrer Bearbeitungen gehört die feinsinnige Darbietung durch das Ensemble Clément Janequin, die den Kunstcharakter auch der schlichtesten Fassungen betont, ohne die Musik interpretatorisch zu überfrachten (harmonia mundi 2000).

Zwischen dieser und den erstgenannten Versionen bewegt sich die jüngste Aufnahme. Die Gruppe Chant 1450 stellt unter dem Titel Du fond de ma pensée eine ebenfalls repräsentative Auswahl von meist nur minuten-kurzen Stücken vor. Viele davon finden sich nicht auf den älteren Platten. Unter den Komponisten sind bekannte Namen wie Pascal De L’Estocart, Orlando di Lasso, Claude Le Jeune und Claude Goudimel.
Die einfache, rein männliche Besetzung des Ensembles verleiht der Musik eine herbe Note, wobei der mürbe Altus von Akira Tachikawa den Klang leider häufiger unangenehm färbt. So gelingt es den Ausführenden trotz ihrer wohldurchdachten, uneitlen Interpretation nicht immer, die berührende und meditative Kraft dieser „reformierten Gregorianik“ sinnfällig zu vermitteln.



Georg Henkel



Besetzung

Ensemble Chant 1450:
Akira Tachikawa, Altus
Giovanni Cantarini - Daniel Manhart, Tenor
Raitis Grigalis, Bariton

Norihisa Sugawara, Laute & Gambe
Gregor Ehrsam, Orgel


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