Musik an sich


Artikel
Junge Wilde - RENÉ JACOBS Neudeutung des DON GIOVANNI in Köln




Info
Künstler: Mozart, W. A. - Jacobs

Zeit: 26.10.2006

Ort: Kölner Philharmonie


"Das war mit Abstand das Beste, was wir hier seit langem gehört haben!" - "Und -ganz entzückend gespielt!" O-Töne von Zuschauern auf dem Weg zur Garderobe. Die Begeisterung des Publikums war einhellig: Schon zur Pause der Aufführung von W. A. Mozarts "Don Giovanni" in der (leider nicht ganz ausverkauften) Kölner Philharmonie reagierte das Publikum mit frenetischem Beifall, den es nach dem Finale zu standing ovations und reichlich Bravo-Rufen steigerte.

Doch zurück zum Anfang: Gewohnt pointiert und kontrastfreudig ging René Jacobs als Dirigent schon die Ouvertüre an, sorgfältig die dynamischen Abstufungen herausarbeitend. Wo sonst der massige Streicherapparat nur zu gerne klanglich dominiert, gewannen jetzt die vielfältigen instrumentalen Raffinessen der Partitur große Strahlkraft. Das klein besetzte, nichts desto trotz klangstarke Freiburger Barockorchester verstand es, mit diesem packenden Auftakt gleich zu Beginn eine dann nicht mehr abreißende dramatische Spannung aufzubauen. Viel musikalische Energie gewannen die Musiker aus dem Mit- und Gegeneinander der einzelnen Register: die Streicher drängten nach vorne, die leuchtenden Holzbläser steuerten dagegen, das Hammerklavier agierte als Gravitationszentrum und gestaltete zusammen mit dem Cello die gar nicht trockenen Rezitative mit manchmal geradezu überschäumender Phantasie.

Auf diesem sicheren und anfeuernden Fundament wussten dann auch die Sänger zu überzeugen. In der Hauptrolle agierte mit dem Norweger Johannes Weisser endlich einmal ein junger, viriler Bariton, dem man den Frauenheld ohne weiteres abnahm und der mit seiner zwischen kraftvollem und schmeichelndem Ton changierenden Stimme herrisch und verführerisch zugleich wirkte. Der halbszenische Charakter der Aufführung kam dem komödiantischen Talent von Lorenz Regazzo in der Dienerpartie des Leporello sehr entgegen. So brillierte dieser nicht nur im ersten Akt mit einer herrlich vorgetragenen Registerarie, sondern auch durchweg mit äusserst lebendigem Spiel.
Freiburger Barockorchester - Fotograf: Peter Kanneberger - Copyright: Freiburger Barockorchester

Als Don Ottavio war für den erkrankten Werner Güra kurzfristig der Amerikaner Kennth Tarver eingesprungen, der die eher diskrete Rolle mit angenehm tenoralem Schmelz ausfüllte.
Unter den Frauen, die Don Giovanni (beinahe) zum Opfer fallen, ragte an diesem Abend Olga Pasichnyk als Donna Anna besonders heraus. Mit tragfähigem Sopran zeichnete sie höchst differenziert sowohl die verletzliche Seite dieser Figur als auch deren unbändiges Rachebedürfnis nach. Für die hochdramatische Partie der Donna Elvira erwies sich demgegenüber Alexandrina Pendatchanska als weniger glückliche Besetzung, da ihre schmale Stimme häufig nicht über das Orchester hinweg trug, beim Publikum nur die Spitzentöne ankamen und sie sich deshalb zunächst gezwungen sah, stimmlich zu forcieren. Erst bei ihrem Auftritt im letzten Akt überwand sie diese Schwierigkeiten vollständig.
Mit junger, mädchenhafter Sopranstimme und kokettem Vortrag startete Sunhae Im in der Rolle der Zerlina eine Charmeoffensive, der das Publikum schnell erlag.

Gerade an ihrer Figur zeigt sich deutlich, mit wie viel Sorgfalt sich René Jacobs dem Werk nähert und die Personenkonstellationen durchleuchtet: Erkennbar wird die Wandlung, die Zerlina im Laufe der Geschichte durchmacht. Nach einem ersten Auftritt als naives Bauernmädchen geht sie aus der Konfrontation mit der dominanten, zerstörerischen Virilität Don Giovannis deutlich gereift und gestärkt hervor. Ihre an Masetto gerichtete Arie "Batti, batti" hatte in der Kölner Interpretation nichts Unterwürfiges mehr, sondern wirkte eher provokant. Diese Zerlina weiß jetzt auch um ihre eigene verführerische Macht und nutzt diese, um die Verhältnisse nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Masetto setzt dieser Entwicklung keinen Widerstand entgegen, ja er ahnt sie sogar voraus. Jacobs ließ Nikolay Borchev - trotz leichter Stimme - mit einiger Aggressivität agieren, so dass der junge Bauer in seinem hellsichtigen Zorn auf den adeligen Konkurrenten als veritabler Bruder Figaros erscheint - der Bauernbursche trägt den Gedanken der Revolution schon in sich.
Die darin angelegte Konfrontation erreicht ihren Höhepunkt im Finale des ersten Aktes, wenn Jacobs den musikalischen Widerstreit im Laufe der Ballszene, bei der Don Giovanni sich Zerlinas zu bemächtigen sucht, nicht durch bloße Konfusion der Themen und Rhythmen im Orchester aufscheinen ließ, sondern so zuspitzte, dass aus der Konfusion ein echtes Kräftemessen wurde: modisch-aristokratisches Menuett, bürgerlicher Contertanz und volkstümlich-derber Deutsch prallen aufeinander und verhaken sich mit ihren unterschiedlichen Metren ineinander.

Don Giovanni: Johannes Weisser - Quelle: Artefact Website


Das Stück von manch überkommener Tradition des 19. Jahrhunderts zu befreien, ist denn auch das erklärte Ziel Jacobs´, welches er nicht zuletzt in der Darstellung des Komturs verfolgte. Hier setzte er sich ganz klar ab von jedem geisterhaft-romantischen Ansatz. Statue hin oder her: Sein Komtur war auch nach dem Tode noch höchst vital, kein schwerfälliger Untoter, sondern einer, der hier auf Erden noch etwas zu erledigen hat. Dementsprechend bestimmte Alessandro Guerzonis Vortrag nicht wie üblich eine grabesdunkle, dräuende Stimmfarbe. Für seine Auftritte, vor allem in der Schlussszene, gab Jacobs ein hohes Grundtempo vor, so dass sich keine diffuse Gruselatmosphäre ergab, sondern eine höchst bühnenwirksame Dramatik und Dynamik in der Handlung.
Nachdem das Geschehen so stringent auf den Höllensturz zugetrieben wurde, war man als Zuhörer froh, dass Jacobs sich, bei aller Treue zur Wiener Fassung der Oper, entschieden hat, auch den in Forschung und Rezeption umstrittenen "Komödienschluss" zu spielen. Diese moralisierende "Scena ultima" erschien hier geradezu zwingend, um das Publikum wieder ins reale Leben zurückzuholen und den 3 1/2stündigen musikalischen Höhenflug des Abends mit einer sanften Landung abzufedern.

Don Giovanni: Johannes Weisser, Bariton
Il Commendatore: Alessandro Guerzoni, Bass
Donna Anna: Olga Pasichnyk, Sopran
Don Ottavio: Kenneth Tarver, Tenor
Donna Elvira: Alexandrina Pendatchanska, Sopran
Leporello: Lorenzo Regazzo, Bass
Masetto: Nikolay Borchev, Bass
Zerlina: Sunhae Im, Sopran

Opernchor der Bühnen der Stadt Köln

Freiburger Barockorchester

Ltg.: René Jacobs


Georg Henkel & Sven Kerkhoff



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>